Mitten im Corona-Chaos: Die Welt ist ein bisschen kleiner geworden
Coronavirus
Wegen der Corona-Pandemie ist die Welt unerreichbarer geworden, aber gleichzeitig ist sie auch ein bisschen kleiner geworden, findet Familien-Kolumnistin Mareike Graepel.

Wie groß die Welt ist und gleichzeitig wie klein... © Mareike Graepel
Die Ostereiersuche am Sonntag in unserem Garten war eher ungewöhnlich. Es hing noch Wäsche auf der Wäschespinne (was an einem Feiertag sonst undenkbar wäre), ein Teil des Rasens ist eine mit Flatterband abgesperrte Baustelle, auf der gerade eine Turnstange nach der nächsten (in der Summe: drei) einbetoniert wird. Und ich habe noch kein einziges Beet für den Frühling vorbereitet.
Aus einem einfachen Grund: Ich komme nicht an meine Garten-Werkzeuge, die in einem in einer Nische des Durchgangs von der Einfahrt in den Garten hängenden Eimer verweilen, weil darin eine Amsel nistet und die hungrigen Vogelbabys in ihrem Nest auf meinen Schaufeln und Harken nach Futter piepsen. Tja, da kann man nichts machen. Natur geht vor. (Die wahren Gründe dafür sind natürlich: Keine Zeit und keine Muße – sind wir doch mit Arbeit, dem Umzug der Kinderzimmer innerhalb der vier Wände und Backen, Kochen und Lesen so sehr beschäftigt, dass wir die Gartenarbeit noch ein wenig aufschieben. Aber ein verwilderter Garten ist ja auch mal ganz, ähm, romantisch. Und eben tierfreundlich. Ha! Kommt ja eh keiner vorbei zum Gucken im Moment… Bis dieser Corona-Kram vorbei ist, habe ich die Beete im Griff, versprochen!)
„Kann man Gewohnheiten oder Freundschaften auferstehen lassen?“
Den Kindern hat es trotzdem Spaß gemacht, zu suchen und sie haben sich sehr gefreut – und sie hatten auch etwas für uns. Der Osterhase hat über Orla Briefe an uns geschrieben, und in ganz rührenden Zeilen erklärt, wie lieb die Kinder uns haben. Da wurde uns von innen noch wärmer, mitten im sowieso schon sehr warmen Sonnenlicht (wir mussten die beiliegende Schokolade schnell reinbringen und essen, damit sie nicht schmilzt, oder salzig wird von unseren Tränen der Rührung).
Beim Frühstück sprachen wir über das Thema Auferstehung und was das für uns heute bedeuten kann. Nicht nur, dass Menschen, die nicht mehr unter uns Lebenden sind, dennoch bei uns sein können, in Erinnerungen und Gedanken. Ob meine eigene Oma, die starb als Alva ein Baby war; ob die Tochter meiner Tageseltern, die wie eine Schwester für mich war; ob mein Freund und Arbeitskollege, der viel zu früh gehen musste; ob der Vater meiner ältesten Freundin, der vor genau einem Jahr starb – sie alle sind auch nach ihrem Tod bei mir, bei uns.
„Aber kann man nicht auch Dinge und Gewohnheiten oder Freundschaften auferstehen lassen?“, fragt unsere Große. Wir halten kurz inne. Ja, das kann man. Wie zum Beispiel die alten Spiele, die wir letztens entstaubt und wieder zum Leben erweckt haben. Oder die täglichen Waldspaziergänge, die die Kinder in dieser Regelmäßigkeit nur im Kinderwagen (und da meist schlafend) kannten. Aber am meisten lassen wir alte Kontakte wieder auferstehen – zu Menschen, die wir seit Jahren, ach was, Jahrzehnten, nicht mehr gesehen haben.
Kontakt mit Freunden auf der ganzen Welt
Meine früheren Arbeitskolleginnen, als wir in einem Call-Center in Cork gearbeitet haben, sind ebenso wie ich dort schon lange nicht mehr tätig. Berit lebt jetzt in Valencia in Spanien, Kati ist längst wieder in ihre Heimat Helsinki zurückgekehrt, und Liz, die eigentlich aus der Nähe von Stuttgart kommt, lebt in Edinburgh in Schottland. Mit allen habe ich in den letzten Tagen und Wochen getextet, ihnen Sprachnachrichten geschickt.
Auch meiner Freundin Janine in Sydney, die ich im November letzten Jahres zum ersten Mal seit mehr als zehn Jahren wieder gesehen habe (Was bin ich jetzt froh, dass ich diese Reise gemacht habe). Wir haben unseren Trauzeugen angerufen, der mit seiner Frau und den Kindern in New York wohnt, Gottseidank aber am Stadtrand und fern von den gruseligen Szenen in Manhattan. Und wir haben Menschen geschrieben, die wir gerne mögen, aber nicht wissen, wann und ob wir sie jemals wiedersehen werden.
Ich zeige den Kindern ein Bild, das in unserem Flur hängt, das mein Lieblingssänger gemalt hat (ja, der malt auch manchmal). Darauf ist eine Weltkugel mit Händen zu sehen und darunter steht auf Englisch: „Ich wünschte, der Welt würden längere Arme wachsen.“
Und ich habe die Kinder gefragt: „Ist das nicht verrückt, dass die Welt unerreichbarer geworden ist und trotzdem kleiner?“ Und dann habe ich unseren kleinen Deko-Globus mitten auf den Frühstückstisch gestellt. „Lasst uns mal gucken, wo unsere Freundinnen und Freunde alle sind…“