
Die Dortmunderin Anna Moenikes (rechtes Foto, l.) mit Olena Hrynchenko aus der Ukraine. Moenikes hilft seit Beginn des Krieges im Februar Menschen, die aus der Ukraine geflüchtet sind.
„Wochenlange Kämpfe“ um Dokumente: Ukraine-Helferin kritisiert Dortmunder Bürokratie
Ukraine-Krise
Als der Krieg in der Ukraine ausbrach, war die Hilfsbereitschaft in Dortmund groß. Viele Menschen unterstützen Geflüchtete. Knapp vier Monate später fühlen sich manche von ihnen im Stich gelassen.
Rund 6.500 Personen, die sind seit Ende Februar die Ukraine verlassen haben, sind bisher in Dortmund angekommen. Hinter jedem dieser Menschen steht ein weit verzweigtes Netz aus menschlichen Beziehungen und bürokratischen Abläufen.
Es ist in der Realität im Juni 2022 für viele schwierig zu durchdringen. Selbst für diejenigen, die mitten drin stecken.
Anna Moenikes gehört zu den Dortmunderinnen, die unmittelbar nach Wladimir Putins Angriff auf die Ukraine den Impuls hatte, zu helfen.
„Eine enorme psychische Belastung“
Sie selbst spricht Russisch, ihr Partner ist gebürtiger Ukrainer. Anfang März holten sie einen Teil seiner Familie von der polnischen Grenze ab. Insgesamt sechs geflüchtete Personen betreut sie zurzeit. Aktuell wohnt eine Frau, Olena Hrynchenko, fest zur Miete bei ihr, die zu einer Freundin geworden ist.
Nach mehr als drei Monaten im „Apparat“ der städtischen Ausländerbehörde, wie Moenikes es nennt, ist sie frustriert. „Die Zähigkeit ist unfassbar. Das ist eine enorme psychische Belastung“, sagt sie.
Sie schildert Erlebnisse von „wochenlangen Kämpfen“ um Dokumente, von nicht erreichbaren Ansprechpartnern und teils unwürdigen Zuständen bei der Abarbeitung der Fälle.
Warten in dunklen Bussen und herablassende Äußerungen
Bei Vorspracheterminen seien die Wartenden früh morgens im Dunklen in unbeleuchtete Busse gesetzt worden. Einzelne Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeitern hätten sich in Gesprächen herablassend verhalten.
So sei in einem Gespräch bei knappen Sitzgelegenheiten zunächst verweigert worden, einen Stuhl freizumachen. Die Mitarbeiterin des Sozialamts habe gefragt, wo denn ihre Tasche sonst hin solle und das Gespräch in unfreundlicher Weise fortgesetzt, so schildert es Anna Moenikes.
„Die Menschen, um die es geht, erleben die Situation selbst als katastrophal, auch wenn sie überwiegend sehr dankbar sind“, sagt Anna Moenikes. Sie betont zugleich: „Einige Mitarbeiter waren äußerst schnell, freundlich und entgegenkommend, vor allem in Bezug auf Kostenübernahme bei akuten gesundheitlichen Belangen der Geflüchteten. Aber insgesamt ist das System zu schwerfällig.“
Stadtsprecherin Anke Widow sagt auf Anfrage dieser Redaktion: „Eine hohe Auslastung der Warteräume und eine lange Wartezeit können nur im Rahmen der gemeinsamen sogenannten Registrierungswochen vom 9. bis 29. April und vom 30. Mai bis zum 3. Juni vorgekommen sein“.
Hierbei war eine Vielzahl von ukrainischen Staatsbürgern gebeten worden, zur Registrierung in die Berswordthalle zu kommen.
Stadt Dortmund: „Kurze Wartezeiten und angemessene Wartebereiche.“
„Darüber hinaus gibt es ausschließlich eine Terminsachbearbeitung“, sagt Anke Widow. Ihre Einschätzung: „Auf diese Weise entstehen nur kurze Wartezeiten und eine angemessene Auslastung der Wartebereiche.“
Anna Moenikes gibt an, dass sie auch außerhalb der Registrierungswochen die geschilderten Probleme erlebt habe. Sie warte etwa seit über drei Monaten auf eine Entscheidung in der Frage, ob die Behörden Mietkosten übernehmen.
Mietkosten von Geflüchteten können laut Stadtverwaltung als „Bedarfe“ berücksichtigt werden. „Viele dieser Leistungen wurden bereits ausgezahlt. Einige geltend gemachte Bedarfe sind noch zu prüfen“, sagt Anke Widow.
Die Stadtsprecherin gibt an, dass die Ausländerbehörde seit Beginn der Zugänge von Schutzsuchenden Mitte März Kundenkontakte „im fünfstelligen Bereich“ bearbeitet habe.
Antworten „spätestens am nächsten Tag“
Das „Funktionspostfach“ ukraine-abh@stadtdo.de werde täglich „hoch priorisiert“ bearbeitet. Absender erhielten „in der Regel am selben Tag - auch am Wochenende - spätestens am nächsten Tag eine Antwort per E-Mail-oder einen Rückruf“, so Widow.
Das Sozialamt verzeichne derzeit pro Tag nur noch zwei bis drei neue Vorsprachen von Geflüchteten aus der Ukraine. Zum 1. Juni hat das Jobcenter die rechtliche Zuständigkeit für alle hier Angekommenen in erwerbsfähigem Alter übernommen.

Geflüchtete Menschen aus der Ukraine im März 2022 vor dem Sozialamt in Dortmund. © Björn Althoff (Archivbild)
640 Personen haben laut Stadtverwaltung für Juni Leistungen vom Jobcenter ausgezahlt bekommen. Rund die doppelte Menge an Menschen hat seit Anfang Mai einen Antrag gestellt. Bis Ende Juni muss die Umstellung laut Gesetzgeber abgeschlossen sein.
Anna Moenikes erlebte auch den Beginn dieses Prozesses als chaotisch. Sie würde jederzeit wieder helfen, sagt sie. Sie setzt sich weiter für die Ukraine ein, dokumentiert etwa auf ihrer einst als Reiseblog gestarteten Seite www.falkenundadler.de eindrücklich die Geschichte ihres Schwiegervaters.
„Gefühl von Abhängigkeit und Machtlosigkeit“
Doch der aus ihrer Sicht unangemessene Umgang verursacht Frust. „Es gibt einem das Gefühl von Abhängigkeit und Machtlosigkeit. Das verschleißt die Menschen, die hierhin gekommen sind, aber auch die Helfer.“
Das bürokratische System in der Ausländerbehörde und im Sozialamt ist weiterhin hoch belastet. Laut Anke Widow finden rund 280 Vorsprachen pro Tag zu verschiedenen Themen im Sozialamt statt. Dabei gelte es, „den Alltagsbetrieb für die vielen anderen Aufgaben des Sozialamtes aufrechtzuerhalten“.
Mit Stand vom 7. Juni hat die Ausländerbehörde demnach 4.735 Personen eine Aufenthaltserlaubnis erteilt und 4.311 Personen registriert. Einige Schutzsuchende wurden dabei bereits beim Grenzübertritt oder in einer Erstaufnahmeeinrichtung registriert.
„Hinzu kommt, dass bei hochbetagten oder stationär untergebrachten Menschen eine Registrierung nicht immer möglich war oder ist“, sagt Anke Widow.
Seit 2010 Redakteur in Dortmund, davor im Sport- und Nachrichtengeschäft im gesamten Ruhrgebiet aktiv, Studienabschluss an der Ruhr-Universität Bochum. Ohne Ressortgrenzen immer auf der Suche nach den großen und kleinen Dingen, die Dortmund zu der Stadt machen, die sie ist.
