Sprechen und Gehen wieder ganz neu lernen

Neue Selbsthilfegruppe für Schlaganfallpatienten

Es kann jeden treffen. Buchstäblich wie der Blitz aus dem Himmel. Aber ein Schlaganfall trifft Menschen um ein Vielfaches häufiger – mit lebenslangen Folgen. In Dortmund gibt es jetzt eine neue Selbsthilfegruppe für Schlaganfallpatienten.

Dortmund

, 02.05.2018, 05:00 Uhr / Lesedauer: 2 min
Martin Bauer (l.), Hans-Joachim und Monika Klaus wollen die Selbsthilfegruppe Aphasie in Dortmund gründen.

Martin Bauer (l.), Hans-Joachim und Monika Klaus wollen die Selbsthilfegruppe Aphasie in Dortmund gründen. © Ulrike Böhm-Heffels

Folgen wie Aphasie, einer gravierenden Sprachstörung, und eine halbseitige Lähmung lassen das bisherige Leben Betroffener und das ihrer Angehörigen von heute auf Morgen auf dem Kopf stehen.

So wie bei Hans-Joachim und Monika Klaus. Es war nach einem ganz normalen Arbeitstag. Der Polier im Hochbau saß beim Abendessen. Seine Frau erinnert sich: „Plötzlich konnte er die Gabel nicht mehr halten. Sie fiel ihm aus der Hand. Er nahm sie auf, aber sie fiel erneut aus der Hand.“ Dann sah die gelernte Erzieherin den ungewohnten, starren Gesichtsausdruck bei ihrem Mann und handelte sofort.

Monika Klaus wählte 112. Wenige Minuten später lag der 43-jährige, zweifache Familienvater im Helikopter. Seine Frau hatte den Rettern am Telefon unmissverständlich klar gemacht: „Mein Mann hat gerade einen Schlaganfall erlitten.“

Ein Jahr ohne Sprache

In der Stroke Unit, der Schlaganfall-Einheit im Brackeler Knappschaftskrankenhaus, stellen die Ärzte einen schweren Schlaganfall fest. Hans-Joachim Klaus war halbseitig gelähmt. Betroffen waren die Hirnregionen, die für sprechen, schreiben, rechnen und riechen verantwortlich sind. Seine Reha-Maßnahmen laufen bis heute. Ein Jahr lang war Klaus komplett ohne Sprache und auf einen Rollstuhl angewiesen, insgesamt drei Jahre lang ging fast nichts. „Man muss kämpfen“, sagt Hans-Joachim Klaus.

Heute kann sich der inzwischen 51-jährige wieder äußern, wenn auch langsam. Oft sucht Klaus nach Worten. Sein Gang ist schleppend und schlingernd, sein rechter Arm nur eingeschränkt beweglich, die rechte Hand gar nicht. Dennoch hat er das Lächeln wiedergefunden. Klaus will auf andere Betroffene zugehen, um sich mit ihnen auszutauschen und gegenseitige Hilfe zu versprechen.

Vormals bestehende Gruppe hat sich aufgelöst

Das Ehepaar Klaus fand einen Mitstreiter im Bemühen, die Selbsthilfegruppe Aphasie neu zu gründen. Eine vormals bestehende Gruppe hatte sich aufgelöst. Martin Bauer ist 59 und leidet ebenfalls an Aphasie. Die beiden, Klaus und Bauer, brachte der Zufall zusammen. Ein Zufall, wie er von Drehbuchautoren kaum besser erfunden werden könnte.

Hans-Joachim Klaus bemerkte Bauer an einer Straßenbahnhaltestelle. Er sah die Beeinträchtigungen Bauers, zog Vergleiche zu sich selbst, sprach ihn an und hörte dann, dass auch Bauer an ähnlichen Sprachstörungen litt sowie an Lähmungen auf der rechten Körperseite. Die beiden freundeten sich an und entschieden, den Anlauf für die Selbsthilfegruppe gemeinsam zu wagen.

Mit 21 Jahren der erste Schlaganfall

Martin Bauer war erst 21 Jahre alt, als er seinen ersten Schlaganfall erlitt. Bis heute hatte der gelernte Industriekaufmann fünf Schlaganfälle. Seine Ehe endete nach fast zwei Jahrzehnten. Bauer lebt alleine, während Klaus mit seiner Frau Monika eine wichtige Stütze hat. „Ich weiß gar nicht, wie Menschen nach einem Schlaganfall klar kommen, wenn sie niemanden haen“, sagt die 48-Jährige. „Wie gestaltet man seinen Alltag, wenn man Begriffe aufgrund der Sprach-, Schreib- und Leseschwierigkeiten nicht richtig erklären kann?“

Sie selbst als Gesunde biss sich die Zähne aus am Hilfsmittelkatalog und Schwerbehindertengesetz. Weil die Krankenkasse ihrem Mann den elektrischen Rollstuhl verweigerte und den halbseitig Gelähmten in einen manuell zu betreibenden Rollstuhl setzen wollte, hagelte es ablehnende Bescheide von der Kasse und Widersprüche von ihr. „Dann wollten sie, dass mein Mann mit einem Rollator geht“, sagt sie.

Monika Klaus fuhr zur Krankenkasse und forderte den Sachbearbeiter auf, ihr einmal vorzumachen, wie ihr Mann mit nicht funktionierendem rechten Bein und rechtem Arm einen Rollator einen Bordstein hinauf lenken sollte. Endlich bekam er einen E-Rolli. „Man muss um jeden Pups kämpfen“, sagt Monika Klaus. Ihre Erfahrungen wird sie weitergeben in der geplanten Selbsthilfegruppe, in die unbedingt auch Angehörige kommen sollten.

Aphasie beschreibt eine zentrale Sprachstörung, die z.B. durch einen Schlaganfall, eine Hirnblutung oder ein Schädelhirntrauma ausgelöst werden kann. Oft sind dabei nicht nur das Sprechen, sondern auch Bereiche des Sprachverständnisses, des Schreibens und Lesens vollständig oder stark beeinträchtigt. In der Gruppe wollen sich Betroffene, mithilfe eines Logopäden, und Angehörige austauschen und gegenseitig Hilfe geben. Interessierte können sich an die Selbsthilfe-Kontaktstelle wenden, Ostenhellweg 42-48, Tel. 529097.

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