Vielleicht der Beginn einer großen Karriere für die Dortmunder Oper
Spielzeiteröffnung
Das Theater Dortmund ist aus dem Urlaub zurück: Die Proben laufen, in wenigen Wochen sind die ersten Premieren. Doch diese Spielzeit wird eine besondere – vor allem für die Oper.

Alle 600 Mitarbeiter des Theaters konnten zwar nicht anwesend sein, rappelvoll war es trotzdem auf der Opernbühne. © Hannah Schmidt
Wie verschlafene Riesen von ihren Nachtlagern erheben sich in diesen Wochen deutschlandweit die Theater und Opernhäuser aus den Versenkungen ihrer Sommerpause: Die Premierentermine stehen seit Monaten fest – natürlich arbeitete der Apparat im Hintergrund weiter –, und direkt am Montagabend starteten, mit noch etwas Urlaub in den Haaren, auch in Dortmund die ersten Proben.
Am selben Morgen traf sich ein Teil der 600 Theater-Mitarbeiter auf der Opernbühne bei Mini-Croissants und Klarinettentriomusik für die Begrüßungsreden der Vertreter einer mittlerweile durchweg männlichen Leitung. Rund 70 neue Mitarbeiter, verkündete Geschäftsführer Tobias Ehinger, beginnen in dieser Woche ihre Tätigkeit am Haus, davon allein 22 nur an der Oper.
Dass der neue Intendant derselben, Heribert Germeshausen, als Nachfolger von Jens-Daniel Herzog natürlich mit einem Plan und einer Agenda nach Dortmund kommt, das war schon im Vorhinein klar: Die Idee eines interkulturellen Hobby-Ensembles, das er als „Bürgeroper“ etablieren will, John Cages partizipatives Klangprojekt „Musicircus“ zum Auftakt, zwei Festivals in den nächsten Jahren – und auf „zeitnahe“ Sicht für all das „eine Faust-Preis-Nominierung oder tolle Platzierungen in den Jahresumfragen von Opernwelt und Deutsche Bühne“, das sind große Aussichten.
„Attraktiver Ort für alle“
Tobias Ehinger findet den Angang gut: „Dortmund braucht sich nicht weiter zu verstecken“, meint er im Anschluss an die Begrüßungsrituale. Man fahre „schon ein gewisses Understatement“ in der Kommunikation nach außen, zumindest „der Dortmunder an sich, wenn es nicht gerade um den Fußball geht“. Diese Saison ist Ehingers erste als Geschäftsführer. Er plant nicht weniger als das Theater zu einem „attraktiven Ort für alle“ zu machen, gastronomisch und event-technisch, „dass die Leute gerne auf den Opern- oder Theaterplatz gehen und dort mit uns und miteinander in Kontakt kommen.“
Ein erstes Projekt in diese Richtung ist die neu eröffnete „Lounge21“ im oberen Foyer des Opernhauses. Das Theater solle mit der neuen Bar „zu einem offenen Haus werden, in dem Menschen miteinander ins Gespräch kommen“. Zum Beispiel sind Premierenfeiern geplant, Einführungsveranstaltungen oder Diskussionsrunden auch außerhalb des Opernbetriebs. Das Theater mit seinen starken Einzelsparten und den „wahnsinnig talentierten Mitarbeitern“ habe „die Chance, in Deutschland unvergleichlich zu werden“.
Im Bereich der Digitalisierung, der jungen Oper, der Teilhabe im Musiktheater, auch mit Projekten wie dem Schauspiel-Studio, für das jedes Jahr vier Studenten aus Graz in Dortmund zu Gast sind, sei man schon jetzt „unglaublich innovativ“. Etwas überrascht zeigte sich Kay Voges dennoch, dass das Dortmunder Schauspiel wiederholt in einer Kritikerumfrage der Welt am Sonntag zum besten in NRW gekürt wurde: „Denn die Saison war unglaublich anstrengend, mit dem Umzug in eine Baustelle, kaputten Heizungsanlagen, Krankheitsfällen.“ Die „Welt da draußen“ aber sah nur das Ergebnis – und war begeistert.

Die neue „Lounge21“ soll nicht nur während des Opernbetriebs ein Treffpunkt sein. © Hannah Schmidt
Mit dem neuen Opern-Ensemble geht Dortmund diese Saison einen erzwungenen, aber auch einen symbolischen Schritt: Es wird nicht nur ein mit großer Sicherheit stimmlich solides, sondern auch ein für die Opernbühne ungewöhnlich diverses Ensemble, das Vorzeigecharakter entwickeln dürfte. Germeshausen stellte den versammelten Mitarbeitern jetzt erstmals die neuen Ensemble-Mitglieder vor, die das Publikum ab Anfang Oktober kennen lernen wird. Nur eine Sängerin – die Sopranistin Irina Simmes – brachte er aus Heidelberg mit, die anderen suchte er deutschlandweit, auf eigene Faust. Als Mitglied in der Jury des Belvedere-Wettbewerbs hat Germeshausen sich, wie er sagt, „einen Namen gemacht als Stimmen-Entdecker“ – und die Neuen für Dortmund wählte er anhand ganz konkreter Vorstellungen.
Programm der nächsten Jahre steht bereits fest
„Meine Intendanz habe ich komplett durchgeplant“, sagt er. Alle Werke, alle Premieren der nächsten vier bis sechs Jahre stehen zumindest in der Theorie fest – und damit auch der Bedarf spezieller Stimmfächer. Die Mezzosopranistin Hyona Kim beispielsweise wird die Amneris in „Aida“ (5.10.) singen, an der Seite von „König“ Denis Velev (Bass). Und Stéphanie Müther – ebenfalls Mezzo – die, die Titelrolle in „Turandot“ (9.2.2019) übernimmt, ist für die Brünnhilde im geplanten „Ring“ (2020) eine wirklich vielversprechende Wahl: schließlich sang sie die Rolle bereits Anfang des Jahres in Kyoto und wird sie auch am Theater Chemnitz übernehmen.
Erst 25-jährig tritt die in Aserbeidschan geborene Mezosopranistin Aytaj Shikhalizada als Rosina in Rossinis „Barbier von Sevilla“ erstmals am 7. Oktober auf die Bühne. Zusammen mit Anna Sohn (Sopran) und dem in Südafrika geborenen Bariton Mandla Mndebele singt sie außedem in Philipp Glass’ „Echnaton“ (24.5.2019).
Für lyrische Tenorpartien konnte Germeshausen den gefragten Kapstädter Sunnyboy Dladla „herlocken“, wie er sagt, „der sonst an wesentlich größeren Häusern singt“: Der Sänger ist als Graf Almaviva momentan als eine Art Posterboy der Oper auf großen Plakaten in der Innenstadt zu sehen – unter anderem sang er die Rolle schon an der Deutschen Oper Berlin, der Oper Stuttgart und am Staatstheater Wiesbaden.

Heribert Germeshausen, neuer Intendant der Oper, stellte das neue Ensemble vor. © Hannah Schmidt
Programmatisch plant Germeshausen in weitem Bogen: Zwar passt er sich an das Programm seines Vorgängers an und spielt viel Musik aus dem 19. Jahrhundert, doch will er zunehmend unbekannte Werke ins Programm nehmen, „das Publikum auch mit Neuem konfrontieren und zur ästhetischen Bildung beitragen“. Die Opernschlager „Aida“, „Barbier von Sevilla“ und „Turandot“ hätten als „Willkommensprogramm“ aber auch ihren Sinn, wie Germeshausen sagt: Die bekannten Stücke sollen einen Kartenverkaufs-Knick verhindern, der sonst häufig nach Intendantenwechseln vorkommt.
Ob er mit den tausendmal gehörten und hunderte Male inszenierten Werken jedoch „neues Publikum“ gewinnen wird, ist fraglich. Das dürfte sich möglicherweise mehr für „Echnaton“ oder die deutsche Erstaufführung von Luca Francesconis blasphemischer, zynischer, stimmlich und musikalisch hochspannender Oper „Quartett“ von 2011 interessieren – letztere ist bereits jetzt eine der erfolreichsten Opern des 21. Jahrhunderts.
Wie auch immer: Germeshausen verspricht „ein sehr originelles Programm“ für die nächsten Jahre vorbereitet zu haben. Diese Spielzeiteröffnung könnte für die Oper den Beginn einer deutschlandweiten Karriere bedeuten.