
© Oliver Volmerich
Straßennamen für neues Wohnquartier erinnern an besondere Geschichte
Kronprinzen-Viertel
Auf dem alten Südbahnhof-Gelände in der östlichen Innenstadt entsteht ein Wohnviertel. Die Straßennamen erinnern an verfolgte Jüdinnen und Juden. Eine Dortmunderin hatte sich dafür eingesetzt.
Ein bisschen verwildert sieht es auf der Fläche neben dem Wasserturm am Heiligen Weg in Dortmund aus. Die Gedenktafel an der Wand ist aber noch gut zu lesen.
„Der Südbahnhof diente dem nationalsozialistischen Terrorregime für Deportationen jüdischer Männer, Frauen und Kinder aus dem Regierungsbezirk Arnsberg in die Vernichtungslager. Dort wurden sie in den Jahren 1942 bis 1945 systematisch und unbarmherzig ermordet“, steht dort.
An dieses besondere Kapitel des Südbahnhofs, an dessen Zufahrt der Wasserturm steht, wird nun auch mit den Straßennamen im geplanten Wohnviertel auf dem früheren Bahngelände erinnert. Sie werden nach verfolgten Jüdinnen und Juden benannt.
Den Anstoß dazu gab Heike Wulf, die sich als Literaturpädagogin und Stadtführerin intensiv mit der Stadtgeschichte beschäftigt. Im September 2018 stellte sie einen Bürgerantrag an die Bezirksvertretung Innenstadt-Ost.
Jetzt, genau zwei Jahre später, wurde ihre Idee aufgegriffen. Die Bezirksvertretung beschloss die Benennung der Straßen im neuen Kronprinzenviertel, für das gerade die Straßen und Kanäle gebaut werden.

Auf dem Luftbild zeichnen sich bei den Erdarbeiter auf dem alten Südbahnhof-Gelände bereits die Straßen des neuen Wohnquartiers ab. Es schließt an das Kaisterstraßen-Viertel (r.) an. Links verläuft die S-Bahn-Linie 4. © Hans Blossey
„Ich habe mich sehr über die Namensauswahl gefreut“, erzählt Heike Wulf. „Als Frau auch besonders über die gute Frauenquote.“
- Der bekannteste Name, der sich bei der Straßenbenennung wiederfindet ist Anne Frank, die mit ihrem Tagebuch, das sie im Versteck vor den Nationalsozialisten in Amsterdam schrieb, eines der eindrücklichsten Zeugnisse der Judenverfolgung in der NS-Zeit hinterließ.
- Die Hertha-Hoffmann-Straße erinnert an eine Dortmunder Jüdin. Sie hatte 1919 eine Spedition an der Märkischen Straße gegründet und war Mitgründerin verschiedener Dortmunder Frauenverbände. 1933, gleich nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten, wurde ihr Vermögen beschlagnahmt und sie musste Deutschland mittellos verlassen.
- Die Charlotte-Temming-Straße erinnert an die jüdische Schriftstellerin und Kabarettistin, die die NS-Zeit in Dortmund überlebte, weil sie sich durch Flucht der Deportation entziehen konnte. Nach Kriegsende war sie Mitglied des Dortmunder Stadtrates und Gründungsmitglied des Frauenausschusses. Sie starb 1984 im Alter von 81 Jahren in Dortmund.
- Die Julius-Hirsch-Straße erinnert an den aus dem Raum Karlsruhe stammenden jüdischen Fußball-Nationalspieler, der im März 1943 von den Nationalsozialisten mit dem Zug ins Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert wurde – und das über den Dortmunder Südbahnhof. Denn aus Dortmund stammt sein letztes Lebenszeichen in Form einer hier abgestempelten Postkarte an seine Tochter, die er wahrscheinlich am Bahnhof in einen Briefkasten geworfen oder aus dem fahrenden Zug geworfen hat. Seit 2005 verleiht der Deutsche Fußball-Bund (DFB) den Julius-Hirsch-Preis für besonderen Einsatz für Toleranz und Menschenwürde, gegen Extremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus.
- Am Wasserturm soll die bisherige Stichstraße vom Heiligen Weg heißen, die am Wasserturm entlang ins neue Wohnquartier führt.

Heike Wulf an der Gedenktafel am früheren Wasserturm des Südbahnhofs, der an die Juden-Deportationen erinnert © Oliver Volmerich
„Eine wunderbare Wahl“, findet Heike Wulf die Namensentscheidung für das Kronprinzen-Viertel. Um die Hintergründe der Straßennamen deutlich zu machen, beschloss die Bezirksvertretung Innenstadt-Ost auch, sogenannte „Legendenschilder“ aufstellen zu lassen – das heißt, dass die Straßennamen mit kurzen Erläuterungen zu den Namensgebern ergänzt werden.
Bis die Straßenschilder aufgestellt werden, wird allerdings noch etwas Zeit vergehen. Bis Mitte 2021 laufen nun erst einmal die Verlegung von Ver- und Entsorgungsleitungen und der Bau der (Bau-)Straßen. Danach beginnt der Bau der ersten Wohnhäuser.
Insgesamt sollen auf dem 14 Fußball-Felder (100.000 Quadratmeter) großen Areal bis ins Jahr 2024 insgesamt 630 Wohnungen entstehen. Damit ist das Kronprinzen-Viertel aktuell eines der größten Wohnungsbau-Projekte in Dortmund.
Oliver Volmerich, Jahrgang 1966, Ur-Dortmunder, Bergmannssohn, Diplom-Journalist, Buchautor und seit 1994 Redakteur in der Stadtredaktion Dortmund der Ruhr Nachrichten. Hier kümmert er sich vor allem um Kommunalpolitik, Stadtplanung, Stadtgeschichte und vieles andere, was die Stadt bewegt.
