Deniz Yelkuvan aus Dortmund hat mit 25 schon zweimal Leukämie überstanden. Dann kam die Corona-Pandemie.

© Robin Albers

Risikopatient Deniz (25): „Ein Normalo kann das gar nicht nachvollziehen“

rnCorona-Pandemie in Dortmund

Der Dortmunder Deniz Yelkuvan hat mit 25 Jahren schon zweimal Blutkrebs besiegt. Als er sich von dem letzten Kampf erholt, kommt die Corona-Pandemie. Wie der junge Risikopatient diese Zeit erlebt.

Dortmund

, 26.02.2022, 05:00 Uhr / Lesedauer: 4 min

Als die Corona-Pandemie im Frühjahr 2020 auch in Dortmund angekommen ist, kam der 25-jährige Deniz Yelkuvan gerade aus der Isolation. „Cool, ich kann wieder anfangen zu leben – nee, kann ich nicht“, ging dem Dortmunder durch den Kopf.

Das zu der Zeit noch neuartige, unerforschte Coronavirus war für Deniz ein größeres Risiko als für die meisten Dortmunderinnen und Dortmunder. Denn trotz seines jungen Alters gehörte er zur Risikogruppe, für die eine Infektion eher tödlich enden könnte.

Erste Blutkrebs-Diagnose mit 18

Deniz hat nämlich in seinen 25 Lebensjahren schon zweimal die Leukämie – Blutkrebs – besiegt. Zum ersten Mal bekommt er die Diagnose am 28. Mai 2015, er ist 18. Damals hat er so starke Kopfschmerzen, dass er nachts ins Krankenhaus muss.

Deniz macht Tests, gibt Blutproben ab. Am nächsten Morgen wecken ihn mehrere Ärzte, die ihm die Nachricht überbringen, dass er Leukämie hat. Am Tag vorher stand er noch auf dem Fußballplatz.

Darauf folgen 13 Monate Chemotherapie, 2016 ist er dann wieder krebsfrei. Allerdings nur für drei Jahre.

Bei einem Routine-Kontrolltermin am 12. April 2019 sind seine Werte schlecht. Relativ schnell steht fest, dass die Leukämie wieder da ist. Und dieses Mal reicht eine Chemotherapie nicht aus. Eine Stammzellenspende muss her.

Deniz Yelkuvan im Oktober 2019 – wenige Wochen zuvor lag er noch im Koma.

Deniz Yelkuvan im Oktober 2019 – wenige Wochen zuvor lag er noch im Koma. © Robin Albers

Letztlich ist Deniz’ eigener Vater ein passender Spender. Er bekommt die Stammzellen am 22. August 2019 transplantiert. Eigentlich wäre hier die größte Hürde im Kampf gegen den Blutkrebs geschafft.

Doch Deniz‘ anfälliges Immunsystem macht schlapp, Blut und Wasser in seiner Lunge entzünden sich, er muss ins Koma versetzt werden, wird per Luftröhrenschnitt künstlich beatmet. Elf Tage. Zwischendurch liegen seine Überlebenschancen bei nur 20 Prozent.

Interview nur mit Mund-Nasen-Schutz - obwohl Corona noch gar kein Thema ist

Doch Deniz wacht am 22. September 2019 aus dem Koma auf, kämpft sich zurück, darf das Krankenhaus verlassen und wieder nach Hause. Im Oktober 2019 trifft unser Reporter Deniz zum ersten Mal.

Der Reporter mit einer laufenden Nase, die für Deniz damals aber fatale Folgen haben könnte. Ein Schnupfen könnte für ihn tödlich sein, er ist noch sehr geschwächt. Deshalb mussten Vorsichtsmaßnahmen für das Interview getroffen werden: Ein Mund-Nasen-Schutz für den Reporter und Abstand halten. Für Deniz damals überlebenswichtig.

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Wenige Monate später werden diese Maßnahmen wegen der Corona-Pandemie zur Normalität für alle – und für Deniz noch wichtiger. „Ich wusste, dass eine Infektion nicht gut für mich gelaufen wäre“, so der 25-Jährige, „es wäre vorbei gewesen“.

Sein Immunsystem musste sich zum Beginn der Pandemie erst wieder von den vorherigen Strapazen erholen. Deniz muss sich sehr stark einschränken: „Ich habe meine Freundin sechs Wochen am Stück nicht gesehen, bin nicht mal vor die Tür“.

Genauso wie 13,91 Prozent von über 800 Dortmunderinnen und Dortmunder, die unsere Redaktion im Rahmen einer Umfrage zum Lebensgefühl in der Corona-Pandemie befragt hat.

Sie gaben an, sich „sehr stark“ aus Schutz vor einer Corona-Infektion einzuschränken. 43,79 Prozent wählten die Antwortmöglichkeit „stark“ aus, die Antworten „kaum“ und „gar nicht“ blieben im einstelligen Prozentbereich.

„Wie eine kleine nervige Klette“

Nach zweimal Leukämie, Transplantation und Koma hängt das Coronavirus wie das Damoklesschwert über Deniz. Er hat Angst.

Für Menschen, die das Coronavirus als gewöhnliche Grippe kleinreden, die sich nicht an die Schutzmaßnahmen halten und sie nicht ernst nehmen, hat er deshalb wenig Verständnis – ein „super sensibles Thema“ für ihn.

„Ich habe viele Gedanken darüber, wie rücksichtslos das ist [...] gegenüber Menschen, die darauf angewiesen sind, geschützt zu werden“, wie Deniz selbst.

Es sei kein großer Aufwand sich zu informieren, es sei aber auch schwer, mit solchen Leuten zu kommunizieren. Die Erfahrung hat Deniz auch selbst gemacht, besonders beim Thema Corona-Impfung.

„Ich war da schon sehr hinterher“, erzählt Deniz. Er selbst ist vollständig geimpft und auch geboostert. Ihm war es wichtig, dass Freunde und Familie sich auch impfen lassen, er sei „wie eine kleine nervige Klette“ gewesen. Deniz hatte viele Familienmitglieder, die zunächst zögerlich wegen der Corona-Schutzimpfung waren.

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Coronaleugnende Freunde werden nur noch Kontakte

Er hat aber auch Freunde – oder mittlerweile eher „Kontakte“, wie er sich selbst im Gespräch korrigiert – die er nicht überzeugen konnte. Die sogar leugnen, dass es das Coronavirus gibt.

Zu diesen Menschen pflegt Deniz „nicht mehr so viel Kontakt“. „Das sind so Sachen, die dazu führen, dass man sich auseinanderlebt“, erklärt er.

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Es würde dabei nicht um fehlenden Respekt ihm gegenüber gehen. Aber bei mit seinen Erfahrungen könne er das nicht nachvollziehen, dass Freunde und Familie keine Schutzmaßnahmen treffen wollen: „Wenn du da nicht sensibel bist mit dem Thema, dann ist das schwierig, die Kommunikation aufrechtzuerhalten“.

Vom Luftröhrenschnitt aus der künstlichen Beatmung im Koma ist mittlerweile nur noch eine Narbe an Deniz‘ Hals zu sehen. Dass jemand „nicht auf eine einfache Impfung zurückgreifen möchte, dann im Endeffekt so was durchmachen muss“, wie er, versteht Deniz nicht. „Die Leute sind sich vielleicht nicht bewusst, dass das passieren kann.“

Deniz musste im Koma künstlich beatmet werden, er bekam einen Luftröhrenschnitt. Davon ist jetzt nur noch eine Narbe zu sehen.

Deniz musste im Koma künstlich beatmet werden, er bekam einen Luftröhrenschnitt. Davon ist jetzt nur noch eine Narbe zu sehen. © Privat

Ohne Impfschutz im Urlaub

Trotz Pandemie kehrt für Deniz nach und nach Normalität zurück. Nach seinen ersten beiden Impfungen kann er 2021 sogar wieder in den Urlaub, in die Türkei.

Wieder in Deutschland angekommen, kommt dann der Schock – bei einer Routineuntersuchung, zu denen er regelmäßig muss, um auch sein Immunsystem im Blick zu behalten.

Seine Ärztin sagt ihm „du hast gar keinen Schutz!“ – die Impfungen haben bei Deniz nichts bewirkt, er hat keine Antikörper aufgebaut. Deniz erklärt, dass das bei Transplantierten häufig vorkomme, unter anderem wegen der Medikamente, die er nehmen musste.

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Im Türkei-Urlaub war Deniz unbeschwert, oder „gut unterwegs“, wie er es beschreibt. Dass er da ohne Infektion durchgekommen ist, war für ihn „ein krasser Moment“. „Ich habe wahrscheinlich Glück gehabt“, gesteht Deniz zu. Mit der Boosterimpfung konnte er schließlich Antikörper aufbauen.

Deniz lag lange genug rum

Mittlerweile ist Deniz‘ Immunsystem „wieder ganz gut“. So viel Angst, wie vor zwei Jahren, zum Beginn der Pandemie, habe er nicht mehr. Deniz sagt, dass er für eine mögliche Corona-Infektion vorbereitet sei – „ist jetzt aber auch nicht so, dass ich mich draußen frei bewege und nach Corona suche“, ergänzt er. Denn „irgendwo bist du trotzdem immer ein Risikopatient“.

Nach der Stammzellen-Transplantation kann die Leukämie aber trotzdem zurückkommen. Gedanken, die gelegentlich in Deniz‘ Kopf herumschwirren. Aber: „Ich versuch’s mehr oder weniger auszublenden und mein Leben zu leben.“

Deniz Yelkuvan im Februar 2022

Deniz Yelkuvan im Februar 2022 © Robin Albers

Durch seine Erfahrungen hat der 25-Jährige einen anderen Blick auf das Leben: „Ich schätze Kleinigkeiten, die andere Menschen vielleicht nicht schätzen.“ Gesundheit ist für ihn das „A und O“ geworden.

Sich in so jungen Jahren mit dem Thema Tod auseinandersetzen zu müssen – und das mehrmals – macht etwas mit einem, „ein Normalo kann das gar nicht nachvollziehen“. Ihn habe das aber stärker gemacht. Es bleibe einem nichts anderes mehr übrig, das alles, das Leben, jetzt noch mehr zu schätzen, noch lebendiger zu sein.

Er hat sein BWL-Studium wieder aufgenommen, das gerade anfing, als die Leukämie zurückkehrte. Er hat es gerade durch seine erste Prüfungsphase geschafft. „Ich lag lange genug rum“, sagt Deniz, „es muss jetzt weitergehen“.

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