Viele Dortmunder und Dortmunderinnen machen sich in der Pandemie deutlich mehr Sorgen um ihre Gesundheit. (Symbolbild)

© Enging Akyurt / unsplash.com

Corona hat Vanessa (29) krank gemacht – obwohl sie körperlich gesund ist

rnPandemie in Dortmund

Die Pandemie kann krank machen – nicht nur durch eine Corona-Infektion. Eine Dortmunderin erzählt, wie sie sich plötzlich krank fühlte, ohne dass Ärzte eine Ursache finden können. Sie ist kein Einzelfall.

Dortmund

, 22.02.2022, 05:00 Uhr / Lesedauer: 4 min

Es sind die seit fast zwei Jahren gleichen Themen: Mit Freunden und in den Nachrichten geht es um die Pandemie, die das Leben tiefgreifend verändert hat. Darum, wie man sich und andere vor einer gefährlichen Krankheit schützen kann. Doch genau diese ständige Auseinandersetzung mit der eigenen Gesundheit kann auch krank machen.

Plötzlich kamen die Panikattacken

Vanessa (Name von der Redaktion geändert) ist 29 Jahre alt. Sie ist Studentin und wohnt in Dortmund. Vor der Pandemie, so schreibt sie es in einer langen E-Mail an unsere Redaktion, sei sie zuletzt 2014 bei ihrem Hausarzt gewesen. Seitdem hat sich vieles geändert.

„Als die Pandemie begann, habe ich sämtliche Corona-Nachrichten verfolgt. Ich habe mich nur in den nötigsten Fällen aus dem Haus bewegt – zum Einkaufen oder um meinen Eltern oder meiner Oma zu helfen“, schreibt Vanessa. Später habe sie zudem fast täglich Selbsttests gemacht.

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Im April 2021 beginnt Vanessa, sich krank zu fühlen. Bekommt Panikattacken. „Eine Woche lang bin ich täglich in den frühen Morgenstunden aufgewacht, hatte Schwindelattacken, Herzklopfen, mein Kopf hat gepocht und ich habe stark geschwitzt.“ Es wird eine Weile dauern, bis jemand Vanessa erklärt, was dort in ihr vorgeht.

Verbreitet deutlich mehr Sorge um Gesundheit

Hans Joachim Thimm ist Oberarzt an der auf Psychiatrie spezialisierten Dortmunder LWL-Klinik. Die Pandemie könne sich auf viele Weisen negativ auf die psychische Gesundheit auswirken, erklärt er.

Bei vielen Menschen haben sich in den vergangenen Jahren Symptome entwickelt oder verstärkt, die denen einer Depression gleichen. Bei anderen mache die Beschäftigung mit der eigenen Gesundheit krank.

„Es gibt Menschen, die horchen in der Pandemie so sehr in sich hinein, dass sie eigentlich milde Symptome, die sie früher ignoriert hätten, als schlimm wahrnehmen“, so Hans Joachim Thimm. Nicht immer könne man damit einfach so aufhören. „Wir werden ja aktuell alle ständig mit Krankheit konfrontiert.“

Auf eine Umfrage zum Lebensgefühl in der Pandemie haben uns über 800 Dortmunder und Dortmunderinnen geantwortet. Rund 45 Prozent von ihnen haben angegeben, sich aktuell deutlich oder sehr deutlich mehr Sorgen um ihre Gesundheit zu machen.

Nicht bei allen muss das krankhaft sein. Doch es zeigt, dass das, was Vanessa erlebt, auf die eine oder andere Weise viele Menschen belastet.

„War ich wirklich so verrückt?“

Vanessa geht mit ihren Beschwerden innerhalb einer Woche zu ihrem Hausarzt und in zwei Krankenhäuser. „Von montags bis freitags wurde mir viermal Blut abgenommen“, schreibt sie. Nie wird etwas festgestellt. Ein Arzt im Notdienst verordnet ihr schließlich ein starkes Beruhigungsmittel und empfiehlt ihr, sich an die LWL-Klinik zu wenden. „War ich wirklich so verrückt, dass ich in eine Psychiatrie musste?“

Vanessa kommt auf eine Station für Angststörungen und Depressionen. „Hier waren Menschen, die wussten, wie sich Panikattacken anfühlen. Niemand war hier eingesperrt, wir waren alle freiwillig dort.“ Die Atmosphäre habe einer Jugendherberge für Erwachsene geglichen, schreibt sie.

Hans Joachim Thimm ist Oberarzt an der LWL Klinik in Dortmund und dort für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig.

Hans Joachim Thimm ist Oberarzt an der LWL Klinik in Dortmund und dort für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig. © LWL Klinik Dortmund

In der Klinik macht Vanessa Sport und Yoga, bekommt Akupunkturen – und erfährt viel über ihre Krankheit. Bei ihr wird eine Somatisierungsstörung diagnostiziert. Menschen, die davon betroffen sind, haben anhaltende körperliche Beschwerden und suchen ständig nach einer Diagnose für diese, ohne dass selbst bei intensiver Untersuchung eine gefunden wird.

„Ich habe gelernt, dass jeder Mensch ein gewisses Maß an Stress erträgt. Die Sorgen, die mir Corona bereitet hat, waren vermutlich das, was mein Fass zum Überlaufen gebracht hat.“ Bereits nach fünf Tagen in der Klinik hören die Panikattacken auf. Nach sechs Wochen verlässt Vanessa die Klinik wieder.

Ständige Untersuchungen als Absicherung

Ein großes Stück ihrer Sorge nimmt ihr nach dem Aufenthalt in der Klinik auch die Impfung gegen das Coronavirus. Probleme, nicht jedes kleine Symptom untersuchen zu lassen, habe sie aber immer noch, schreibt Vanessa.

Einmal spürt sie einen Knoten am Hals. „Ich habe mir das Schlimmste ausgemalt: Was, wenn das ein Tumor ist?“ Ein Arzt stellt fest, dass es sich um einen geschwollenen Lymphknoten handelte.

Ein anderes Mal spürt Vanessa ein Ziehen im Bauchraum. Sie wird zu einer MRT-Untersuchung geschickt. „Der Radiologe erklärte mir freudestrahlend, er hätte gute Nachrichten für mich: Alles in meinem Körper sehe völlig gesund und normal aus. Statt mich zu freuen, habe ich ihn gefragt, ob es nicht an meiner Bauchaorta liegen könnte.“

Wäre es besser, Vanessa nicht zu solchen Untersuchungen zu überweisen? Für Ärztinnen und Ärzte aber auch für Vanessa würde das das Risiko bergen, eine ernsthafte Erkrankung zu übersehen. „Mir helfen diese Untersuchungen gegen meine Sorge. Sie beruhigen mich. Sie sind eine Absicherung“, schreibt sie.

Warten auf unbestimmte Zeit auf einen Therapieplatz

Die Suche nach einem Therapeuten für ihre Erkrankung verläuft für Vanessa schwierig und birgt Enttäuschungen. Wartezeiten auf Plätze bei Psychotherapeuten in Dortmund sind in der Regel monatelang, manche führen Wartelisten gar auf unbestimmte Zeit. Es ist eines von vielen Problemen des Gesundheitssystems, die die Pandemie ans Licht gezerrt hat.

Dabei geht es auch um die vom Gemeinsamen Bundesausschuss festgelegten Bedarfspläne. Das Ruhrgebiet ist darin eine Sonderregion, für die nicht der übliche Verteilungsschlüssel gilt. Die Deutsche Psychotherapeuten-Vereinigung fordert bereits seit Jahren eine Reform der Bedarfspläne, die, so der Verband, den Mangelzustand zum Sollzustand erklärten.

„Mir hat die Suche so viel Stress gemacht, dass all meine Symptome noch heftiger wurden“, schreibt Vanessa. Letztendlich beschließt sie, auf eine Therapie zu verzichten. Ein Neurologe, den sie ursprünglich wegen eines ihrer Symptome aufgesucht hatte, wird zum Ersatz. „Er beruhigt mich, erklärt mir, dass dies alles nicht auf eine ernsthafte Erkrankung hinweist.“

Mittlerweile führt Vanessa auch in der Pandemie ein weitgehend normales Leben. „Man merkt mir meine Angst und Sorge im Normalfall nicht an. Sie spielen sich innerlich ab und sicherlich verbringe ich viel zu viel Zeit bei Ärzten, aber dank der Klinik und der Techniken, die mir dort beigebracht wurden, ist es mir möglich Ruhe zu bewahren.“

Grenzen zwischen gesunder und ungesunder Vorsicht sind fließend

Die Pandemie kann sehr unterschiedliche Folgen für die Psyche haben. Und auch bei Menschen, bei denen sie sich in einer ähnlichen Form wie bei Vanessa äußern, verlaufen sie unterschiedlich schwerwiegend. Manche Betroffene können sie selbst in den Griff bekommen, manche brauchen professionelle Hilfe.

Die Risiken, die das Coronavirus selbst mit sich bringt, zu ignorieren, sei allerdings keine Lösung, betont Hans Joachim Thimm. Die Grenzen zwischen gesunder und ungesunder Vorsicht seien fließend.

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Sich nicht immer jeden Tag mit der eigenen Gesundheit zu beschäftigen, sich so weit es geht abzulenken, könne helfen. „Ich glaube, wir reden als Öffentlichkeit zu viel über Corona“, sagt Hans Joachim Thimm. Das Leben sei nicht nur Pandemie – auch in einer Pandemie.

Hilfe bei psychologischen Krisen

Wenn Sie sich in einer Krise befinden, unter Depressionen oder Angstzuständen leider oder Gedanken haben, sich selbst zu verletzten, können Sie telefonisch erste Unterstützung bekommen.
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