Neuer Plan gegen Neonazis in Dortmund „Schwächer, aber nicht weniger gefährlich“

„Schwächer, aber nicht weniger gefährlich“ - Neuer Plan gegen Neonazis
Lesezeit

Dortmund und der Rechtsextremismus: Das ist eine unheilvolle Verbindung mit mehreren Jahrzehnten Geschichte und vielen düsteren Kapiteln.

Der Tod von Mehmet Kubasik durch Schüsse von Rechtsterroristen 2006. Tödliche Messerstiche gegen den Punker Thomas Schulz („Schmuddel“) 2005. Drei tote Polizisten fünf Jahre zuvor. Dazu Bedrohungen von politischen Gegnern im Alltag, Gewalttaten, der Angriff am Rathaus am Kommunalwahlabend 2014, viele Demos und Aufmärsche.

Solche Nachrichten und Bilder waren über Jahre präsent.

Im Winter 2022 hat die rechte Szene eine andere Struktur. Martialische Bilder gab es länger nicht mehr zu sehen. Viele halten die Szene für geschwächt. Trifft das zu?

Neuer Plan der Politik

Gerade, weil vieles im Wandel ist, sind Verwaltung und lokale Politik aufgebrochen, einen neuen Aktionsplan gegen Rechtsextremismus auf den Weg zu bringen. Erwartet wird eine Ratsentscheidung am 15. Dezember.

Stimmt der Rat zu, wird der Auftrag für eine wissenschaftliche Begleitung neu ausgeschrieben. Bis spätestens Mitte 2024 soll der neue Plan vorliegen. Der bisherige Aktionsplan stammt in seiner wissenschaftlichen Grundlage aus dem Jahr 2007. Er ist mehrfach angepasst worden, zuletzt 2017.

Stelle bei der Stadt Dortmund

Dortmund leistet sich mit der Koordinierungsstelle für Vielfalt und Toleranz eine Einrichtung mit vier Angestellten für den Einsatz gegen Rechtsextremismus. Was ein Anzeichen dafür ist, dass dieses Thema in der Stadt ernst genommen wird.

Michael Plackert (l.), Leiter der städtischen Koordinierungsstelle für Vielfalt und Toleranz, und der städtische Sonderbeauftragte Manfred Kossack, bei der Aktion „Cookie Courage“ gegen Rechtsextremismus in Dortmund.
Michael Plackert (l.), Leiter der städtischen Koordinierungsstelle für Vielfalt und Toleranz, und der städtische Sonderbeauftragte Manfred Kossack, bei der Aktion „Cookie Courage“ gegen Rechtsextremismus in Dortmund. © Felix Guth (Archivbild)

„Es gibt kaum andere Städte, die den Mut haben, es so offen anzugehen. Obwohl es viele mit einer vergleichbar großen rechtsextremen Szene gibt“, sagt Michael Plackert, Leiter der Koordinierungsstelle.

„Nicht weniger gefährlich“

Zivilgesellschaft, Verwaltung und Polizei würden sich einander stützen und seien aufeinander angewiesen. Das sei ein lebendiger Prozess, weil sich auch extremistische Strukturen veränderten.

„Die rechte Szene ist schwächer, aber nicht weniger gefährlich“, sagt er.

Dierk Borstel, Experte für Rechtsextremismus-Forschung an der FH Dortmund, beobachtet ebenfalls, dass sich der in der Vergangenheit auffällige Teil der Szene „weiterhin in einer absoluten Schwächephase“ befinde. Die Szene wirke „müde“, weil sie keinen entscheidenden Schritt weiterkomme. „Aber das ist immer eine Momentaufnahme“, so Borstel.

Die Ursachen sind häufig beschrieben. Einige aktive Personen haben die Stadt verlassen. Andere waren oder sind in Haft. Wenn zuletzt die Namen von Dortmunder „Aktivisten“ zu lesen waren, dann im Zusammenhang mit Gerichtsverfahren.

Gerichtsverfahren gegen Rechte

Aktuell läuft ein Prozess gegen Sascha Krolzig wegen der Publikation eines Magazins mit mutmaßlich nationalsozialistischen Inhalten. Ihm werden von der Staatsanwaltschaft „Volksverhetzung“ und „Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen“ vorgeworfen.

Entscheidungen fielen zudem in einem Verfahren gegen mehrere Rechtsextreme nach der Besetzung des Kirchturms der Reinoldikirche.

Als im Oktober 2021 Siegfried Borchardt starb, eine folkloristisch verehrte Größe der Szene, kam es zum bisher letzten Mal zu einer größeren Präsenz mehrerer Hundert Rechtsextremer in Dortmund.

Beratung von Opfern

Dass sich das seitdem nicht wiederholt hat, ist aus Sicht vieler Akteure kein Grund, das Problem zu vernachlässigen oder gar zu verharmlosen.

So sagt etwa Leroy Boethel von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus im Regierungsbezirk Arnsberg: „Der Beratungsbedarf ist unverändert hoch und lässt sich nicht nur auf eine Auseinandersetzung mit der organisierten extremen Rechten beziehen.“

Durch die Mobilisierungen rund um die Covid-19-Pandemie sei ein stärkerer Fokus auf Verschwörungsideologien und rechte Esoterik gelegt worden. „Auch der Umstand, dass die AfD mittlerweile flächendeckend in den Kommunalparlamenten sitzt, artikuliert sich verstärkt in Beratungsanfragen“, sagt Boethel.

Neue Kreise sind betroffen

Die Situation in Dortmund sei weiterhin „eine besondere“. Dabei habe sich das Feld derjenigen, die eine Beratung zu Rassismus oder Rechtsextremismus anfragen, „deutlich verbreitert auf Bereiche, die sich vorher nicht mit diesen Themen auseinandersetzen wollten oder mussten“. Boethel nennt etwa Kultureinrichtungen, Kirche oder Verwaltung.

Michael Plackert von der Koordinierungsstelle für Vielfalt und Toleranz sieht außerdem Anzeichen dafür, dass eine jüngere Generation von Rechtsextremisten Aktionsformen wähle, „die sich wieder mehr an der Straße orientieren“.

BVB-Fanszene und Kampfsport

Auffällig geworden sind in der jüngeren Vergangenheit Zusammenhänge zwischen Kampfsport und Rechtsextremismus, die es in Dortmund schon länger und anscheinend immer noch gibt.

Beschrieben wird an unterschiedlichen Stellen zusätzlich eine Entwicklung in der Fanszene des BVB, nach der rechte Gruppierungen und Hooligans wieder verstärkt mit Gewalt versuchen, Einfluss zu gewinnen.

Zudem sei Rechtsextremismus häufig auch im Alltag zu beobachten und dort „schwer zu packen“, so Michael Plackert. „Bei manchen Sachen wird auch weggeguckt“, sagt er, auch mit Blick auf Vorkommnisse in einem Dortmunder Fußballverein.

Im April war bekannt geworden, dass in einer Altherren-Mannschaft des TuS Deusen über Jahre Robin S. aktiv war. Er wird der militanten Rechtsextremisten-Szene zugeordnet und hatte unter anderem Kontakt zu NSU-Terroristin Beate Zschäpe.

Erst nach einigen Monaten gelang es dem Verein, Robin S. zur Abmeldung zu bringen.

„In vielen Köpfen hat es sich festgesetzt, dass Demokratie einfach so da ist. Sie ist aber keine Hängematte, in die man sich einfach hineinlegen kann, sondern man muss aktiv mitarbeiten“, sagt Michael Plackert.

Nationalisten aus dem Ausland

FH-Forscher Dierk Borstel sieht noch einen weiteren wichtigen Aspekt, den ein neuer Aktionsplan gegen Rechtsextremismus aus seiner Sicht berücksichtigen sollte. „Man sollte den Blick auch auf ultranationalistische Gewalt aus anderen Ländern richten“, sagt Borstel.

Konflikte zwischen der türkischen rechten Gruppierung Graue Wölfe und links-liberal eingestellten Menschen türkischer Herkunft seien für einen Teil der Gesellschaft Realität.

Aus Sicht von Michael Plackert ist es wichtig, dass solche Themen im neuen Aktionsplan auftauchen. „Die Frage, wie man Zugriff auf diese Communitys bekommt und man Vertrauen aufbaut, ist gerade erst durch den Tod von Mouhamed wieder aufgekommen“, sagt er. Nachdem der 16-Jährige bei einem Polizei-Einsatz erschossen wurde, gab es große Proteste.

Welcher Extremismusbegriff?

Lokalpolitisch gab es zuletzt in Detailfragen noch Beratungsbedarf. Vertreter von CDU und FDP/Bürgerliste regten etwa eine Erweiterung des Extremismusbegriffs auf „linksradikale“ oder religiöse Ausprägungen an. Vertreterinnen und Vertreter anderer Fraktionen kritisieren, dass damit notwendiger antifaschistischer Protest problematisiert werde.

Zahlen zu rechten Straftaten

Im Jahr 2021 hat die Polizei Dortmund 183 rechtsextremistische Straftaten verzeichnet. Das waren zwar 20 weniger als im Jahr zuvor - aber bedeutete immer noch mit Abstand die Mehrheit der Taten im Bereich politisch motivierter Kriminalität. Jeden zweiten Tag gab es eine solche rechte Straftat.

Für 2022 liegen noch keine Zahlen vor.

Der Politologe Dierk Borstel lehrt und forscht an der Fachhochschule Dortmund.
Der Politologe Dierk Borstel lehrt und forscht an der Fachhochschule Dortmund. © picture alliance/dpa

Im Jahr 2015 war die Summe der rechtsextremistischen Straftaten mit mehr als 400 in Dortmund auf dem bisherigen Höchststand. Seitdem ging sie laut Polizei um 57 Prozent zurück. Die Zahl der Gewaltdelikte (7 in 2021) ist ebenfalls rückläufig.

Die Polizei Dortmund führt das auch auf hohen Kontrolldruck und die Einrichtung einer „Sonderkommission Rechts“ zurück, deren Ermittlungen zu zahlreichen Haftstrafen geführt habe.

Im Bereich der politisch motivierten Kriminalität Links gab es 42 Straftaten im Jahr 2021 (-17), in der Mehrheit Sachbeschädigungen. Es gab zudem 7 Straftaten im Bereich politisch motivierter Kriminalität mit ausländischem Hintergrund (+5).

Neonazis besetzten die Reinoldikirche: Gericht spricht die letzten Urteile

Ex-Chef der Feuerwehr Dortmund vor Gericht: Urteile gegen Neonazis vom Reinoldikirchturm

"Aufklärung sieht anders aus": Tochter von Mehmet Kubașik zum NSU-Bericht

Kampfsport-Event in Dortmund: Veranstalter wirft Neonazis raus

Mit Keksen gegen Neonazis: 100 Dortmunder Lokale starten ungewöhnliche Aktion

Über 250 Neonazis bei Beerdigung von Siegfried Borchardt in Dortmund