Pflegebedürftige finden immer seltener Hilfe

Geeignetes Personal wird dringend gesucht

Eigentlich gibt es in Dortmund verhältnismäßig viele Pflegedienste. Trotzdem: Viele mobile Pflegedienste in Dortmund können keine weiteren Patienten aufnehmen. Denn es mangelt ihnen unter anderem an der wichtigsten Ressource.

DORTMUND

, 16.01.2018, 12:12 Uhr / Lesedauer: 4 min
Robert Kunze vom Pflegedienst Hübenthal hilft einem Patienten beim Anziehen der Schuhe. Die Nachfrage nach mobiler Pflegehilfe daheim steigt seit Jahren, aber die Personalentwicklung in der Altenpflege hinkt hinterher.

Robert Kunze vom Pflegedienst Hübenthal hilft einem Patienten beim Anziehen der Schuhe. Die Nachfrage nach mobiler Pflegehilfe daheim steigt seit Jahren, aber die Personalentwicklung in der Altenpflege hinkt hinterher. © Oliver Schaper

Ein Problem, das vor allem im ländlichen Bereich weit verbreitet ist, dürfte in der Großstadt Dortmund eigentlich keines sein. Dortmund soll nach Berlin und Hamburg die höchste Dichte an mobilen Pflegediensten haben. 125 gibt es in der Stadt, so die Auskunft des Verbandes der Ersatzkassen (Vdek).

Der Verband schließt über seine Landesvertretungen Versorgungsverträge für die vollstationäre, teilstationäre und ambulante Pflege ab.

In Dortmund komme ein Pflegedienst auf 4800 Einwohner

Vdek-Sprecherin Sigrid Averesch-Tietz sagt zum Versorgungsgrad: In Dortmund komme ein Pflegedienst auf 4800 Einwohner, während landesweit mit insgesamt 3050 Pflegediensten ein Dienst auf 5860 Einwohner komme.

Dennoch sind Absagen an der Tagesordnung, wie eine stichprobenartige Umfrage dieser Redaktion ergab. Das hat mit fehlendem Pflegepersonal zu tun, aber nicht nur.

Stoßzeiten sind ein Problem

Oft kommen anfragende Angehörige und mobile Pflegedienste nicht zusammen, weil sie sich nicht über Wunschzeiten verständigen können. Bestimmte Tageszeiten werden von den meisten Pflegebedürftigen favorisiert.

Die „Pflege mit Herz“ von Mirko Hallmann in Brackel gehört zu den großen ambulanten Diensten in der Stadt. Über 40 Beschäftigte versorgen rund 300 Patienten mit unterschiedlichsten Pflegeansprüchen.

Frühdienst ist die anstrengendste Zeit

Allein im Frühdienst, der anstrengendsten Zeit in der ambulanten Pflege, sind 15 „Runden“ (à acht Stunden) unterwegs, wie die Team-Einheiten im Fachjargon heißen. Im Spätdienst sind es sechs, und dann gibt es noch eine Nachtrunde. Mirko Hallmann könnte zwei, drei Versorgungs-Runden mehr anbieten, wenn er sechs weitere Pflegekräfte zur Verfügung hätte.

Stattdessen Frust: „Wenn ich zehn Anzeigen rausgebe, kann es sein, dass ich nicht eine Bewerbung bekomme von einer qualifizierten Kraft“, sagt der Chef des Pflegedienstes. Verschärft werde die Situation durch den hohen Krankenstand in der Pflege.

Die Situation verschärfe sich

Absagen an anfragende Angehörige seien auch früher schon ein Problem gewesen, so Mirko Hallmann, aber in letzter Zeit verschärfe sich die Situation. Es komme vor, dass sich Kunden meldeten, sie hätten zuvor sechs, sieben andere Pflegedienste angerufen, und bei keinem seien sie angenommen worden.

Zum besseren Verständnis sagt er aber auch: „Es kann sein, dass Pflegedienste zehn neue Kunden abgelehnt haben, obwohl sie vier Plätze frei hatten, die Vorstellungen zu Pflegezeiten oder Wohnort jedoch nicht gepasst haben.“

Viele Bewerber seien ungeeignet


Pflege sei ein Tagesgeschäft, sagt Jörg Hartmann, Abteilungsleiter der Caritas-Sozialstationen. Jeden Tag müssten Touren angepasst werden, weil sich jeden Tag Situationen ändern könnten. Es gebe schon einmal Wartezeiten für neue Kunden, aber die fielen in der Regel nur kurz aus. Durch plötzliche Klinikaufenthalte von Pflegebedürftigen oder Umzug ins Heim, aber natürlich auch, weil Patienten sterben, würden Kapazitäten frei.

Die Caritas mit ihren acht Sozialstationen versorgt gut 2000 Patienten im gesamten Stadtgebiet. Neben Pflegekunden seien dies Hauswirtschafts- und Beratungskunden, sagt Hartmann. Die Nachwuchssorgen sind bei der Caritas nicht so groß wie anderswo. „Wir bilden viel aus“, sagt der Chef der Sozialstationen.

15 bis 20 Absagen pro Woche

Auf 15 bis 20 Absagen an anfragende Kunden pro Woche kommt die ambulante Haus- und Krankenpflege Gabriele Holland in Hörde. Peter Choynacki aus der Verwaltung des privaten Pflegedienstes macht noch auf ein aus seiner Sicht anderes großes Problem aufmerksam: Oft werde lange privat das Pflegegeld kassiert, das dann pflegefremd in den allgemeinen Lebensunterhalt abfließe, bis die pflegenden Angehörigen mit der sich verschlimmernden Situation daheim nicht mehr klarkämen und einen professionellen Pflegedienst bräuchten.

Der eher kleine Dienst Holland umsorgt mit acht bis zehn Mitarbeitern 60 bis 80 Patienten. Fünf bis sechs weitere Kräfte könnten sie beschäftigen, sagt Choynacki. Wenn es diese denn gäbe.

Diakonie: Personalsuche “ist ein Riesenthema“

Eine Zunahme an abgelehnten Anfragen melden auch die sieben Diakonie-Stationen in der Stadt. Die Suche nach examinierten Kräften sei ein „Riesenthema“, sagt Tim Cocu, Sprecher des Diakonischen Werkes.

Mit 300 Mitarbeitern, davon 38 Auszubildenden, versorgt die Diakonie 1300 Pflegekunden.

Extrem unterschiedlicher Aufwand

Die Teams der Diakoniestationen sind zwischen 6 und 23.30 Uhr unterwegs, auf Wunsch kommen sie auch eher zu den Pflegebedürftigen. Der Aufwand sei extrem unterschiedlich, sagt Cocu, angefangen bei dem nur einmaligen Besuch in der Woche bis zur Rund-um-die-Uhr-Betreuung eines erst 18-jährigen Patienten.

„Wenn wir jemanden ablehnen müssen, versuchen wir aber zu helfen und ihn zu einem mobilen Pflegedienst unseres Vertrauens weiterzuvermitteln“, sagt der Diakonie-Sprecher.

Vier von fünf Bewerbern seien ungeeignet

Von fünf Bewerbern in der Pflege könnten sie vier nicht gebrauchen, sagt Robert Kunze. Er ist Geschäftsführer und Pflegedienstleiter bei Hübenthal. Ein Bewerber müsse nicht nur ein Examen vorweisen, sondern auch über eine erhöhte Sozialkompetenz verfügen, sagt der Chef des großen Pflegeanbieters aus der Innenstadt.

Mit 65 Beschäftigten, davon 40 in der Pflege (30 sind examinierte Kräfte), versorgt Hübenthal über 400 Patienten in Dortmund. „Die Arbeit wird immer komplexer“, konstatiert Kunze und fordert ein generelles Umdenken in der Pflege: „Wir müssen weg von der Fließbandarbeit. Mitarbeiter in der Pflege müssen mehr Geld verdienen. Wir brauchen einen Berufsverband, denn wir sind immer noch Einzelkämpfer.“

In diesem Zusammenhang: Ende November berichteten wir über den Personalmangel in Krankenhäusern, der an Körperverletzung grenzt

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