Welche Straßen in Dortmund nach NS-Opfern benannt sind Unser Überblick erzählt die Geschichten hinter den Namen

Welche Dortmund Straßennamen sind NS-Opfern gewidmet sind
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Der Fall sorgte für Schlagzeilen. In Sachsen-Anhalt wurde über die Benennung einer Kita nach Anne Frank diskutiert, im Alter von nur 15 Jahren im Konzentrationslager Bergen-Belsen starb. Der Name sei zu politisch, das Holocaust-Thema zu schwer für Kleinkinder, hieß es.

Inzwischen hat man von einer Umbenennung der Kita Abstand genommen. In Dortmund wäre das ohnehin kein Thema: Hier wird sogar eine Straße neun nach Anne Frank benannt - als eines von mehreren jüdischen NS-Opfern, an die mit einem Straßennamen erinnert werden soll. Den Anstoß dazu gab Heike Wulf, die sich als Literaturpädagogin und Stadtführerin intensiv mit der Stadtgeschichte beschäftigt. Im September 2018 stellte sie einen Bürgerantrag zur Benennung der Straßen im neu entstehenden Kronprinzen-Viertel. Zwei Jahre später schloss sich die Bezirksvertretung Innenstadt-Ost ihren Wünschen an und stimmte für die Straßenbenennung nach jüdischen NS-Opfern.

Dieser Bezug sei im wahren Wortsinn naheliegend: „Ganz in der Nähe ist der Sitz der jüdischen Gemeinde mit der Synagoge und dem jüdischen Kindergarten“, sagt Heike Wulf. Vor allem aber war der Südbahnhof, auf dessen Areal das neue Wohnquartier entsteht, der Ort an dem die meisten Deportationen von Dortmunder Juden begonnen haben. „Von hier aus wurden mehr als 2000 jüdische Menschen in die Vernichtungslager gefahren“, berichtet Heike Wulf. Daran erinnert auch eine Gedenktafel am Wasserturm, der an der Einfahrt zu dem Areal steht.

Heike Wulf mit dem Schild für die Hertha-Hoffmann-Straße im neuen Kronprinzen-Viertel.
Heike Wulf mit dem Schild für die Hertha-Hoffmann-Straße im neuen Kronprinzen-Viertel. © Oliver Volmerich

Inzwischen steht das erste Straßenschild auf dem Gelände des früheren Südbahnhofs, auf dem die ersten neuen Wohnhäuser bezogen sind. Weitere sollen bald folgen - abhängig vom Baufortschritt auf dem Gelände, teilte die Stadt auf Anfrage mit. Vier Straßen erinnern an Jüdinnen und Juden, die in der Zeit des Nationalsozialismus verfolgt wurden. „Ich freue mich sehr über die Straßenbenennungen - auch über den hohen Anteil an Frauen, sagt Heike Wulf.

  • Die Hertha-Hoffmann-Straße führt entlang der neuen Wohnhäuser am Südrand des neuen Stadtquartiers. Hertha Hoffmann war eine Dortmunder Jüdin, die 1919 eine Spedition an der Märkischen Straße gegründet hatte und Mitgründerin verschiedener Dortmunder Frauenverbände war. 1933, gleich nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten, wurde ihr Vermögen beschlagnahmt und sie musste Deutschland mittellos verlassen.

  • Die Charlotte-Temming-Straße ist die Verlängerung der Hertha-Hoffmann-Straße in Richtung Osten. Sie erinnert an die jüdische Schriftstellerin und Kabarettistin, die die NS-Zeit in Dortmund überlebte, weil sie sich durch Flucht der Deportation entziehen konnte. Nach Kriegsende war sie Mitglied des Dortmunder Stadtrates und Gründungsmitglied des Frauenausschusses. Sie starb 1984 im Alter von 81 Jahren in Dortmund.

  • Die Julius-Hirsch-Straße weiter nördlich erinnert an den aus dem Raum Karlsruhe stammenden jüdischen Fußball-Nationalspieler, der im März 1943 von den Nationalsozialisten mit dem Zug ins Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert wurde – und das wohl über den Dortmunder Südbahnhof. Denn aus Dortmund stammt sein letztes Lebenszeichen in Form einer hier abgestempelten Postkarte an seine Tochter, die er wahrscheinlich am Bahnhof in einen Briefkasten geworfen oder aus dem fahrenden Zug geworfen hat. Seit 2005 verleiht der Deutsche Fußball-Bund (DFB) den Julius-Hirsch-Preis für besonderen Einsatz für Toleranz und Menschenwürde, gegen Extremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus.

  • Die Anne-Frank-Straße würdigt eines der bekanntesten NS-Opfer. Anne Frank hat mit ihrem Tagebuch, das sie im Versteck vor den Nationalsozialisten in Amsterdam schrieb, eines der eindrücklichsten Zeugnisse der Judenverfolgung in der NS-Zeit hinterließ.

Die neu angelegten Straßen im Kronprinzen-Viertel auf dem früheren Südbahnhof-Gelände werden nach Jüdinnen und Juden benannt, die in der Zeit des Nationalsozialismus verfolgt wurden.
Die neu angelegten Straßen im Kronprinzen-Viertel auf dem früheren Südbahnhof-Gelände werden nach Jüdinnen und Juden benannt, die in der Zeit des Nationalsozialismus verfolgt wurden. © Blossey

Nach Anne Frank ist schon seit den 1980er-Jahren auch die Gesamtschule in der Innenstadt-Nord benannt. Deren Schulleiter, Bernd Bruns, äußerte jüngst schon sein Unverständnis über die Diskussion um die Kita in Sachsen-Anhalt.

Im April 2016 wurde das sogenannte „Legendenschild“ mit Informationen zum Namensgeber für die Benno-Elkan-Allee am Dortmunder U enthüllt - im Beisein von Elkans Enkelin Beryn Hamil (links).
Im April 2016 wurde das sogenannte „Legendenschild“ mit Informationen zum Namensgeber für die Benno-Elkan-Allee am Dortmunder U enthüllt - im Beisein von Elkans Enkelin Beryn Hamil (links). © Dan Laryea

Das Kronprinzen-Viertel ist nicht das einzige Neubaugebiet in Dortmund, in dem bekannte Jüdinnen und Juden aus Deutschland und Verfolgte der Nationalsozialisten geehrt werden. Erinnerungsarbeit wird auch rund ums Dortmunder U geleistet.

Jürgen Wenke hat mit seinen Recherchen zur Benennung einer Straße am Dortmunder U nach Otto Meinecke beigetragen.
Jürgen Wenke hat mit seinen Recherchen zur Benennung einer Straße am Dortmunder U nach Otto Meinecke beigetragen. © Oliver Volmerich

Auf dem Areal der früheren Kronen-Brauerei gibt es die

  • Benno-Jacob-Straße. Der Namensgeber war ein liberaler Rabbiner u.a. von 1906 bis zur Pensionierung 1929 in Dortmund. Hier erteilte er am heutigen Stadtgymnasium und heutigen Max-Planck-Gymnasium auch jüdischen Religionsunterricht. In den 1920er-Jahren hielt Jacob in Dortmund und anderen Städten Aufklärungsvorträge gegen den aufkommenden Judenhass und lieferte sich Auseinandersetzung mit Nationalsozialisten. Nachdem Jacob 1932 zunächst nach Hamburg gezogen war, gelang ihm 1939 die Flucht vor den Nationalsozialisten nach London, wo er im Januar 1945 starb.

Bereits älter sind die Straßen, die an NS-Verfolgte unabhängig von ihrem jüdischen Glauben erinnern. Die bekannteste ist die

  • Geschwister-Scholl-Straße, die vom Schwanenwall bis zur Weißenburger Straße entlang der Berufskollegs des Brügmann-Blocks führt. Sie erinnert an die Geschwister Hans und Sophie Scholl, die als Studierende in München mit der Gruppe „Weiße Rose“ im Widerstand gegen den Nationalsozialismus aktiv waren. Nach dem Verteilen von Flugblättern gegen das NS-Regime kamen sie im Februar 1943 in Haft und wurden wenig später zum Tode verurteilt und enthauptet. Zu Ehren von Hans und Sophie Scholl wurde in Brackel auch in die Geschwister-Scholl-Gesamtschule in Brackel benannt.

  • Die Hans-Litten-Straße im Gerichtsviertel erinnert an den Rechtsanwalt und Strafverteidiger Hans Litten. Als „Anwalt des Proletariats“ und erbitterter Gegner des Nationalsozialismus wurde er 1933 verhaftet und starb 1938 im KZ Dachau.

  • Die Martha-Gillessen-Straße in der Nordstadt erinnert an die Kommunistin und Widerstandskämpferin. Martha Gillessen gehört zu den Opfern der Karfreitagsmorde in Dortmund im April 1945.

  • Die Johanna-Melzer-Straße liegt gleich nebenan. Johanna Melzer gehörte ebenfalls dem kommunistischen Widerstand im Ruhrgebiet gegen Hitler an, wurde 1934 inhaftiert. Nach 1945 war sie Landtagsabgeordnete, starb 1960.

  • Die Heinrich-Czerkus-Straße ist dem früheren BVB-Platzwart gewidmet, der ebenfalls im kommunistischen Widerstand gegen die Nationalsozialisten aktivv war und zu den Opfern der Karfreitagsmorde in Dortmund gehörte.

  • Die Karl-Lücking-Straße in der östlichen Innenstadt erinnert an den früheren Pfarrer, der dem kirchlichen Widerstand angehörte. Er starb 1976.

  • Die Stauffenbergstraße in einem Wohnviertel in Kurl ist Claus Schenk Graf von Stauffenberg gewidmet, der als führender Militär in der Wehrmacht am 20. Juli 1944 ein Attentat auf Adolf Hitler verübte. Nach dessen Scheitern wurde Stauffenberg gemeinsam mit weiteren Mitgliedern des militärischen Widerstands standrechtlich erschossen.

  • Die Bernhard-Letterhaus-Straße gleich nebenan erinnert an den katholischen Arbeiter-Politiker Bernhard Letterhaus, der in den 1930er Jahren zum katholischen Widerstand gegen den Nationalsozialismus gehörte. Als Hauptmann in der Wehrmacht schloss er sich ebenfalls dem Widerstand gegen das NS-Regime an. Er wurde wenige Tage nach dem Attentat auf Hitler verhaftet, zum Tode verurteilt und erhängt.

  • Die Bonhoefferstraße in Aplerbeck erinnert an den evangelischen Theologen Dietrich Bonhoeffer, der ein führender Vertreter der NS-kritischen Bekennenden Kirche war. Im April 1943 wurde er verhaftet und zwei Jahre später auf Befehl Adolf Hitlers als einer der letzten NS-Gegner, die mit dem Attentat vom 20. Juli 1944 in Verbindung gebracht wurden, hingerichtet.

  • Im gleichen Wohnviertel in Aplerbeck erinnern auch die Elisabeth-von-Thadden-Straße, Leberstraße, Leuschnerstraße, Stehmannstraße undder Lüninckweg an Theologen und Politiker, die im Widerstand gegen den Nationalsozialismus waren und hingerichtet wurden.

Aktuell für Diskussionen sorgt die geplante Benennung einer neuen Wohnstraße in Grevel nach dem KZ-Überlebenden Kurt Julius Goldstein für Diskussionen. CDU und AFD in der Bezirksvertretung Scharnhorst fordern eine Überprüfung, weil Goldstein in der DDR der SED angehört hatte.

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