
Jürgen Wenke reinigt den Stolperstein, der an Otto Meinecke erinnert. Nach Meinecke wurde auch eine Straße benannt. © Volmerich; Montage: RN
Häftling Nummer 42857: Otto Meinecke wurde im KZ ermordet, weil er schwul war
Verfolgung Homosexueller
Heute vor 80 Jahren wurde der Dortmunder Otto Meinecke im KZ Sachsenhausen ermordet - weil er homosexuell war. In Dortmund wird an zwei Stellen an das NS-Opfer erinnert.
Jürgen Wenke hat Reinigungsmittel und Bürste mitgebracht. In wenigen Minuten bringt er den Stolperstein an der Ecke Kleppingstraße/Rosenthal auf Hochglanz. Pünktlich zum 80. Todestag des Menschen, an den der Stolperstein erinnert.

Jürgen Wenke kümmert sich um den Stolperstein an der Kleppingstraße, der an Otto Meinecke erinnert. © Volmerich
„Hier wohnte Otto Meinecke, Jg. 1880, mehrmals verhaftet, zuletzt 1942, Sachsenhausen, ermordet 13.7.1942“, lautet die Inschrift des Steins, der wie hunderte andere vom Künstler Gunter Demnig verlegt wurde, in diesem Fall im Februar 2012. Mit den Stolpersteinen wird bundesweit an NS-Opfer erinnert - meist Jüdinnen und Juden, die in den Konzentrationslagern in der NS-Zeit umgebracht wurden.
Das Besondere in diesem Fall: Otto Meinecke wurde verfolgt und ermordet, weil er Männer liebte. Homosexuelle wurden nach dem berüchtigten Paragraphen 175 des Strafgesetzbuches verurteilt, kamen oft in Haft und wurden später ins KZ Sachsenhausen bei Berlin deportiert. Ein rosafarbener Winkel war das Symbol für die homosexuellen NS-Opfer.

Auf Hochglanz poliert ist der Stolperstein an der Kleppingstraße, der an Otto Meinecke erinnert. © Oliver Volmerich
„Im Jahr 1942 hatten die SS-Verbrecher im KZ Sachsenhausen beschlossen, alle dort eingesperrten Rosa-Winkel-Häftlinge zu ermorden“, berichtet Jürgen Wenke. „Allein im Juli und August 1942 fielen dieser größten gezielten Mordaktion, die sich gegen Homosexuelle richtete, mehr als 85 heute noch namentlich bekannte Männer zum Opfer.“ Der Dortmunder Otto Meinecke war einer davon.
Wenke hat die Schicksale der homosexuellen NS-Opfer ausführlich recherchiert und auf einer Homepage unter dem Titel www.stolpersteine-homosexuelle.de anschaulich dokumentiert. Darunter auch das Leben und den Tod von Otto Meinecke.
Er wurde am 20. Oktober 1880 in Witten an der Ruhr geboren, lebte zuletzt in einem Haus an der Kleppingstraße 2 in Dortmund, wo heute der Stolperstein an sein Schicksal erinnert.
Der in Bochum lebende Diplom-Psychologe Jürgen Wenke hat es so gut wie möglich dokumentiert: 1883 kam die Familie nach Dortmund, wo Ottos Vater Wilhelm eine Feilen-Fabrik betrieb. Um 1920 übernahmen die Söhne die Feilenfabrik, Sohn Otto wohnte als Kaufmann und Fabrikant zunächst am Sitz der Firma in der Münsterstraße 257, später nach zahlreichen Umzügen innerhalb Dortmunds in der Kleppingstraße 2.

Jürgen Wenke hat bei seinen Recherchen die Geburtsurkunde von Otto Meinecke ermittelt - auch sein Todestag ist hier eingetragen. © Wenke
Fotos und andere Zeugnisse von Otto Meinecke hat Jürgen Wenke bei seinen Recherchen nicht finden können. Bekannt ist aber, wann und weshalb gegen Meinecke von der Polizei ermittelt wurde:
„In den Haftbüchern des Polizeigefängnisses Steinwache in Dortmund taucht der Name zweimal auf: Am 21.6.1938 wurde er um 16.25 Uhr mit der Adresse Paderborner Straße 11 wegen § 175 eingeliefert und am 23.6.1938 dem Gericht vorgeführt“, berichtet Wenke. „Mehr als zwei Jahre später wurde er am 26.12.1940 mit der Adresse Kleppingstraße 2 wiederum wegen § 175 eingeliefert und am 28.12.1940 dem Gericht vorgeführt. Dass er zu einer Haftstrafe verurteilt wurde, lässt sich durch einen Eintrag der Justizvollzugsanstalt in Hagen/Westfalen aus dem Jahr 1941 belegen.“
Häftling im KZ Sachsenhausen
Fest steht auch, dass Meinecke zu Beginn des Jahres 1942 in das KZ Sachsenhausen bei Berlin deportiert wurde. „Er war dort Häftling Nr. 42857 und wurde dem bei den Häftlingen gefürchteten Strafkommando im Außenlager Großziegelwerk zugewiesen“, erklärt Wenke. „Man stempelte ihn als ‚175er‘ und ‚Berufsverbrecher‘ ab. Die Bezeichnung ‚BV175‘ wurde denjenigen Männern ‚angeheftet‘, die im Sprachgebrauch der Nationalsozialisten mehr als einen Mann ‚verführt‘ hatten.“
Die meisten dieser Häftlinge kamen auch im KZ zu Tode. Die Sterbeurkunde aus Sachsenhausen nennt bei Meinecke als Todesursache: „Kopfschuss bei Fluchtversuch“. „Diese Formulierung verbarg eine beliebte Mordmethode der SS, von der viele Häftlinge berichteten, und zwar eine von den SS-Wachmannschaften der Konzentrationslager inszenierte und gezielte Tötung von Gefangenen unter verschiedensten Vorwänden“, erläutert Wenke.
Otto Meinecke wurde nur 61 Jahre alt. „Sein Bruder Max sorgte dafür, dass die Urne aus dem KZ auf dem Dortmunder Hauptfriedhof am 12. August 1942 beigesetzt wurde. Das Grab existiert heute nicht mehr“, hat Wenke ermittelt.
Urteile wurden erst spät aufgehoben
Schätzungen gehen von bis zu 15.000 ermordeten Homosexuellen in den Konzentrationslagern aus. Mehr als 50.000 Männer wurden mittels des von den Nationalsozialisten verschärften Paragraphen 175 kriminalisiert, bilanziert Wenke.
Und das setzte sich auch nach 1945 in der Bundesrepublik Deutschland fort. Erst 1969 wurde die NS-Fassung des Paragraphen 175 entschärft und damit die einvernehmliche Beziehungen zwischen erwachsenen Männern straffrei. Erst 2002 wurden die zwischen 1933 und 1945 auf Basis dieses Paragraphen gefällten Urteile vom Bundestag aufgehoben - und damit auch die Urteile gegen Otto Meinecke.
Der wird als NS-Opfer stellvertretend für viele andere inzwischen doppelt geehrt. Neben dem 2012 verlegten Stolperstein erinnert an ihn auch die neu angelegte Straße am Dortmunder U zwischen dem Berufskolleg-Komplex und dem Bahndamm.

Jürgen Wenke hat mit seinen Recherchen auch zur Benennung einer Straße am Dortmunder U nach Otto Meinecke beigetragen. © Oliver Volmerich
Offiziell benannt und mit einem sogenannten „Legendenschild“ mit Lebensdaten des Namensgebers versehen wurde die Straße auf Initiative der Dortmunder Schwulen- und Lesbenvereinigung SLADO und Beschluss der Bezirksvertretung Innenstadt-West im März 2016.
Erstmals in der Bundesrepublik werde damit in Form einer Straßenbenennung nach 1945 „an einen in der Nazizeit verfolgten Mann erinnert, dessen einziges ‚Vergehen‘ seine Liebe zu Männern war“, hieß es damals. Dazu beigetragen haben nicht zuletzt die Recherchen von Jürgen Wenke.
Oliver Volmerich, Jahrgang 1966, Ur-Dortmunder, Bergmannssohn, Diplom-Journalist, Buchautor und seit 1994 Redakteur in der Stadtredaktion Dortmund der Ruhr Nachrichten. Hier kümmert er sich vor allem um Kommunalpolitik, Stadtplanung, Stadtgeschichte und vieles andere, was die Stadt bewegt.
