So erlebten Anwohner, Helfer und Betroffene die Haus-Explosion in Hörde
Ein Jahr nach Katastrophe
Am 31. März 2017 erschütterte im Dortmunder Süden eine Haus-Explosion den Stadtteil Hörde. Ein psychisch kranker Mann hatte zuvor eine Gasleitung herausgerissen, die Explosion ausgelöst. Unter den Trümmern starb eine Nachbarin. Eine Lücke in der Häuserreihe zeugt von der Tat. Der Wiederaufbau naht.

Die Hausnummern 1 (links), 3 (Mitte) und 5 in der Teutonenstraße in Hörde. Die Wohnungsgenossenschaft gws errichtet in der Mitte einen Neubau und erneuert die beiden stark beschädigten Nachbargebäude. © Peter Bandermann
Blauer Himmel, Sonnenschein. Der 31. März 2017, ein Freitag, beginnt wie ein schöner Frühlingstag. Um 8.45 Uhr unterbricht eine Explosion in der 120 Jahre alten Wohnsiedlung im Hörder Süden die Ruhe. Das Dach und die darunter liegenden Etagen stürzen ein. Unter den Trümmern stirbt eine Mieterin. Ausgelöst hat die Explosion ein Anwohner. Der 49-Jährige überlebt. Im Dezember 2017 erklärt ihn das Landgericht Dortmund für schuldunfähig. Der von Wahnvorstellungen angetriebene Psychotiker muss in die geschlossene Psychiatrie.

Blick in die Teutonenstraße in Hörde. Links die Lücke in der Häuserreihe, zu erkennen an der blauen Plane. © Peter Bandermann
An dem Einsatz beteiligte Helfer und Betroffene berichten hier über ihre Perspektive und die Zeit nach der Explosion:
Hendrik Münz, Pfarrer und Notfallseelsorger Dortmund:
Anwohner Hendrik Münz, ehrenamtlich für die Freiwillige Feuerwehr und für die Notfallseelsorge Dortmund im Einsatz, war einer der ersten professionell ausgebildeten Helfer in der Teutonenstraße. Mit Angehörigen hat er für den Jahrestag eine Gedenkfeier für die Verstorbene organisiert. Wie er den Tag erlebt hat und wie die Dortmunder Notfallseelsorge arbeitet, erklärt Hendrik Münz in diesem Video:
Roland Manns, Nachbar aus dem Haus Teutonenstraße / Am Bruchheck:
"Ich war im Wohnzimmer und wartete auf einen Kollegen, um zur Arbeit zu fahren, als dann da dieser laute Knall war. Der war so laut, dass ich mich gefragt habe, warum die Scheibe noch heile ist. Ein Blick durchs Fenster hat nichts gebracht. Dann bin ich raus auf die Straße und habe den Staub in der Luft und das zerstörte Hause mit all den Trümmern auf der Straße gesehen. Das sah aus wie im Krieg. Ich dachte an eine Bombenexplosion und einen Terroranschlag. Ich bin mit klopfendem Herzen und zitternden Händen zu dem Haus und habe in den Eingang geschaut, um zu sehen, ob jemand Hilfe braucht. Dann kam mir da jemand entgegen. Im Flur lag Schutt, und ich hörte schon in der Ferne die Sirenen von Polizei und Feuerwehr. Um zu erfahren, was die Ursache für das Ereignis direkt in meiner Straße ist, habe ich die Nachrichten im Internet gelesen. Vor Ort war nichts herauszufinden. Als ich dann erfahren habe, dass die Explosion von einem Nachbarn ausgelösten worden und eine Anwohnerin dabei gestorben ist – das war sehr traurig. Heute frage ich mich, wann und wie es weitergeht. Ich habe nicht ein einziges mal daran gedacht, hier wegzuziehen. Ich mag die hohen Räume im Altbau, auch wenn das teurer beim Heizen ist. Der Charme der Häuschen aus der Gründerzeit erinnert mich manchmal an Paris. Ist ’ne schöne Ecke hier, auch wegen der Nähe zur U-Bahn."
Oliver Nestler, Einsatzorganisation der Feuerwehr Dortmund
„Gebäude-Einstürze sind selten. Unsere Führungskräfte müssen in solchen Einsätzen bestimmte Grundregeln einhalten. Das Besondere an diesem Einsatz war, dass die vermisste Person unter den zu einem Trichter aufgeschütteten Trümmern lag und wir uns wegen der Einsturzgefahr nur sehr langsam vorarbeiten konnten. Bei einem Feuer müssen wir zuerst diejenigen retten, die sich in größter Gefahr befinden und nicht zwingend denjenigen, der an einem Fenster steht und laut ruft. In dem eingestürzten Haus an der Teutonenstraße war es so: Zuerst retten, wen wir sehen. Dann, wen wir hören. Und schließlich dort, wo wir eine Person vermuten. Das ist taktisch eine ganz andere Vorgehensweise als bei einem Brand.“

Feuerwehr und THW arbeiteten Hand in Hand, um die Gebäude zu sichern und die Gefahr für die Einsatzkräfte während der Suche nach dem Opfer zu minimieren. © Peter Bandermann
Fast 24 Stunden nach der Explosion konnten Einsatzkräfte der Freiwilligen Feuerwehr Aplerbeck die verstorbene Nachbarin dort bergen, wo sie vermutet wurde. Bei der Ortung half anfangs der Lebensgefährte der Frau – er ist selbst bei der Feuerwehr und war ebenfalls alarmiert worden. Oliver Nestler: „Wir haben uns gefragt, ob wir alles richtig gemacht haben. Wir wollten wissen, was wir hätten tun müssen, um die Überlebenswahrscheinlichkeit der Frau zu erhöhen und mit insgesamt 160 Einsatzkräften gesprochen. Solche Gespräche sind üblich nach nahezu allen Einsätzen.“
Die Feuerwehr erhielt von innen 26 Hinweise auf verbesserungsfähige Abläufe. Keiner davon hätte dazu geführt, das Leben der Mieterin retten zu können.
Olaf Rottmann, Technisches Hilfswerk Dortmund:
„Ich arbeitete an dem Freitag wie an jedem Tag als Elektriker im RWE-Kraftwerk an der Weißenburger Straße. Um 10.20 Uhr rief mich unser Ortsgruppen-Berauftragter – das ist mein Bruder Jörg – an und gab den Alarm durch. Nach etwa zehn Minuten und Absprache mit den Kollegen bin ich in meiner THW-Funktion als Leiter der Fachgruppe Führung und Kommunikation sofort in den Stabsraum an der Feuer-Hauptwache gefahren. Ab 11.22 Uhr habe ich die THW-Ortsverbände aus Kamen, Beckum, Unna, Lünen, Witten, Remscheid, Hattingen, Hückelhoven und Gelsenkirchen nachalarmiert. In Spitzenzeiten waren 120 THW-Ehrenamtliche gleichzeitig im Einsatz.“

So sicherte das THW die Gebäude an zwei Tagen und zwei Nächten: Die Konstruktion aus dem Sprengwerk zwischen den Giebelwänden und den Stützen in den Häusern stabilisierte die Statik. © Grafik: THW/Nina Dittgen
Für die Sicherung der Ruine und der beiden Nachbargebäude hatte das THW mit einem „Sprengwerk“ den Einsturz der Nachbargebäude verhindert. Dafür mussten 1,60 Meter lange Bohrer hergestellt werden. Die Statik wurde vom Dach bis in den Keller durch die Wohnungen mit einer aufwendigen Konstruktion aus Holz und Stahl gesichert – im gesamten Bundesgebiet gab es so eine Konstruktion vorher nur einmal (in Duisburg). Alle Mieter mussten ausziehen.
Für das THW Dortmund arbeiten 247 Ehrenamtliche, darunter viele Jugendliche.
Boris Deuter und Johannes Hessel, Wohnungsgenossenschaft gws Hörde:
„Der Bauantrag ist gestellt. Wir wollen den Neubau so errichten, dass das gleiche Fassadenbild entsteht. Aber den Neubau wird man erkennen können. Mit diesem Neubau und dem Umbau der beiden von der Explosion ebenfalls betroffenen Nachbarhäuser erhalten die Wohnungen mit bis zu 110 Quadratmetern deutlich größere Grundrisse, sodass wir nur 13 statt der zuvor 18 Wohnungen anbieten können. Das liegt an der aktuell starken Nachfrage nach großem Wohnraum. Die gestiegenen Baupreise treiben die Mieten hoch. Bei den Mieten halten wir uns aber am Dortmunder Mietspiegel. 2019 soll alles fertig sein. Wir gehen zurzeit von einem Gesamtschaden in Höhe von 2,5 bis 3 Millionen Euro aus. Im Nachhinein festzuhalten ist auch, dass sich manche Hausratversicherungen ihren Kunden gegenüber sehr sperrig verhalten haben. Teilweise haben wir uns eingeschaltet und Dampf und Druck gemacht.“

Blick durch die Überreste des explodierten und abgerissenen Gebäudes in den Innenhof der rund 120 Jahre alten Siedlung in Hörde. © Peter Bandermann
Noch nicht entschieden ist, ob die Wohnungsgenossenschaft gws am Neubau eine Gedenktafel anbringt. Johannes Hessel: „Das hat Vor- und Nachteile.“
- Die Gedenkfeier für die Verstorbene beginnt Karsamstag (31. 3.) um 8.45 Uhr im B3-Treff an der Niederhofener Straße 52.
- Teilnehmer der Gedenkfeier und Anwohner können anschließend vor der Ruine an der Teutonenstraße Kerzen anzünden.