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Mintrop-Prozess: Nach einer halben Stunde mit Niels Högel war Renate R. (67) tot
Ex-Chef des Klinikums Dortmund
In drei Fällen wird Rudolf Mintrop, Ex-Chef am Klinikum Dortmund, Tötung durch Unterlassen vorgeworfen. Der Mord an Renate R. ist nicht dabei. Er zeigt aber die Kaltblütigkeit des Serienmörders Niels Högel.
Nein, für den Mord an der 67-jährigen Renate R. muss sich Rudolf Mintrop, der ehemalige Chef des Klinikums Dortmund, nicht vor Gericht verantworten. Ihm wird in drei anderen Fällen Tötung durch Unterlassen vorgeworfen. Der Fall Renate R. offenbart aber Details über das Vorgehen des Serienmörders Niels Högel.
Die drei Morde, anlässlich derer Mintrop sich jetzt vor dem Landgericht Oldenburg wegen Beihilfe zur Tötung durch Unterlassen verantworten muss, ereigneten sich im Jahr 2001 im Klinikum Oldenburg. Damals war Mintrop dort Geschäftsführer.
Der Tod von Renate R. ist der letzte Mord in der Reihe von 87 Morden, für die der Krankenpfleger im Jahr 2019 rechtskräftig verurteilt wurde. Sie starb am 24. Juni 2005 im Klinikum Delmenhorst. In dieses Klinikum war Högel gewechselt, nachdem man ihn im Klinikum Oldenburg unbedingt loswerden wollte.
Die Details dieses letzten bekannten Mordes des Niels Högel gewähren einen verstörenden Blick in die Abgründe der Persönlichkeit dieses Serienmörders.
Die Abgründe des mordenden Krankenpflegers
Es ist der 24. Juni 2004. Intensivstation Klinikum Delmenhorst. Zwei Tage zuvor war Niels Högel auf frischer Tat ertappt worden, wie er einem Patienten ein Medikament verabreichte, um eine Reanimation zu provozieren. Der Patient überlebt.
Högel wird nicht suspendiert, er darf zwei weitere Dienste auf der Intensivstation leisten. Am 24. Juni ist sein letzter Dienst. Högel hat Spätschicht, danach beginnt sein Urlaub. Mit seiner Familie inklusive Schwiegereltern will er nach Holland fahren, in einen Center Park, so erzählt er vor Gericht.
Im „Gewusel“ bot sich die Chance
Es ist kurz vor Ende der Spätschicht. Irgendwann zwischen 18.30 und 19.30 Uhr wird Renate R. auf die Intensivstation geschoben. Sie kommt von einer Normalstation, leidet unter schwerer Atemnot. Sofort kümmern sich die Intensivkräfte – inklusive einer Pflegerin und eines Pflegers aus der Nachtschicht, die bereits auf der Station sind – um die schwer kranke Frau.
Niels Högel sagt vor Gericht als Zeuge aus, es habe – wie in Notsituationen üblich – ein großes „Gewusel“ geherrscht. Da sei es nicht aufgefallen, dass er das Zimmer der Patientin noch mal verlassen, sich aus dem Medikamentenschrank das Mittel „Sotalex“ genommen und auf eine Spritze aufgezogen habe. Dann sei er zurück ins Zimmer gegangen und habe es Renate R. über einen Zugang am linken Unterarm gespritzt.
Bei der Verabreichung habe er gerade weder einen Arzt noch einen Pfleger neben sich oder vor sich gesehen. Ob jemand hinter ihm gestanden habe, wisse er nicht. Zu diesem Zeitpunkt habe er längst nicht mehr so großen Wert darauf gelegt, nicht erwischt zu werden. Högel erzählt diese grausigen Details zum Mord an Renate R. so sachlich, als rede er von einem Reifenwechsel.
Ein Mord vor dem Urlaub
Die fassungslose Frage des Vorsitzenden Richters Sebastian Bührmann, wie er nach dem Vorfall Tage zuvor, noch dazu so kurz vor dem Ende seiner Schicht und vor seinem Urlaub dieser Patientin ein tödliches Medikament habe spritzen können, beantwortet Högel mit distanzierter Ruhe: „Die Euphorie, die Vorfreude auf den Urlaub war in diesem Augenblick nicht mehr präsent, es geschah aus der Situation heraus.“ Er habe einfach vor seinem Urlaub, so sagt Högel auf Nachfragen, noch einmal den „Trigger“ einer Reanimation erleben wollen.
Zur Reanimation kam es dann nicht mehr. Högel konnte sich an diesem Tag nicht mehr als Held beweisen. Renate R. starb sehr schnell. Nach Högels Zeitangabe war vielleicht eine halbe Stunde vergangen, seit sie auf die Intensivstation und damit auch in seine Obhut verlegt worden war.
„Derselbe Scheiß wie in Oldenburg“
Als er das Zimmer seines mutmaßlich letzten Mordopfers verließ, ging Högel, so erzählt er es, an seinem ehemaligen Freund, dem Krankenpfleger Stefan H. vorbei. Mit dem hatte Högel schon in Oldenburg zusammengearbeitet. Später war er Högel ins Klinikum Delmenhorst gefolgt.
Dieser Stefan H. habe nun, so erinnert sich Högel, laut in den Raum gesagt: „Derselbe Scheiß wie in Oldenburg.“ Er habe nicht reagiert, so getan, als habe er den Spruch überhört, sagt Högel.
Seinen Urlaub in Holland konnte Högel übrigens nicht mehr antreten. Er wurde festgenommen, seine Wohnung wurde durchsucht. Es war - soweit bisher bekannt - das Ende der beispiellosen Mordserie des Niels Högel, die erst mehr als ein Jahrzehnt später aufgeklärt wurde. Erst nach 2016 kamen nach und nach alle Taten ans Licht, deretwegen sich jetzt auch Rudolf Mintrop wegen Beihilfe verantworten muss.
Ulrich Breulmann, Jahrgang 1962, ist Diplom-Theologe. Nach seinem Volontariat arbeitete er zunächst sechseinhalb Jahre in der Stadtredaktion Dortmund der Ruhr Nachrichten, bevor er als Redaktionsleiter in verschiedenen Städten des Münsterlandes und in Dortmund eingesetzt war. Seit Dezember 2019 ist er als Investigativ-Reporter im Einsatz.
