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6 Merkwürdigkeiten im Prozess gegen Rudolf Mintrop, Ex-Chef des Mörders Niels Högel
Mintrop-Prozess
Rudolf Mintrop, Ex-Chef des Klinikums Dortmund, muss sich in Oldenburg wegen der Beihilfe zur Tötung verantworten. Es geht um die Morde des Todespflegers Niels Högel. Ein Prozess voller Merkwürdigkeiten.
Erstmals müssen sich Vorgesetzte dafür verantworten, dass ein Klinik-Mitarbeiter Patienten getötet hat. Unter ihnen Rudolf Mintrop, Ex-Chef des Klinikums Dortmund, und 2001, als der Todespfleger Niels Högel im Klinikum Oldenburg mordete, dort Geschäftsführer.
Seit Mitte Februar läuft der Prozess vor dem Landgericht in Oldenburg. Es ist ein zähes Ringen um die Wahrheit, denn es gibt etliche Merkwürdigkeiten. Eine Analyse.
Die Taten
Angeklagt sind Rudolf Mintrop und drei weitere ehemalige Beschäftigte des Klinikums Oldenburg wegen der Beihilfe zur Tötung durch Unterlassung. Es geht um drei Patienten, für deren Tötungen im November 2001 der heute 45 Jahre alte Krankenpfleger Niels Högel 2019 verurteilt wurde. Außerdem stehen drei Ex-Vorgesetzte von Högel aus der Klinik Delmenhorst vor Gericht. Dort arbeitete Högel nach seiner Oldenburger Zeit. Dabei geht es um Beihilfe zur Tötung durch Unterlassung in fünf Fällen.
Merkwürdigkeit 1: Alles beginnt von vorne
Im Juni 2019 wird Högel vom Landgericht Oldenburg wegen 85-fachen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt. Außerdem wird die besondere Schwere der Schuld festgestellt. Alle acht Morde, für die sich jetzt Mintrop und die sechs weiteren Angeklagten verantworten müssen, hat Högel damals gestanden. Für sie wurde er rechtskräftig wegen Mordes verurteilt.
Gleichwohl muss im jetzigen Prozess erneut nachgewiesen werden, dass Högel diese Morde tatsächlich begangen hat. Die insgesamt 18 Verteidiger säen massive Zweifel, dass ihm diese Morde tatsächlich nachgewiesen werden können. Der Gedanke: Kann man Högel die Morde nicht nachweisen, kann auch niemand wegen Beihilfe verurteilt werden.
Merkwürdigkeit 2: Dieselben Richter urteilen erneut
Dieselbe Strafkammer des Landgerichts, die jetzt unter anderem über die Schuld von Rudolph Mintrop entscheiden muss, hat unter Vorsitz von Richter Sebastian Bührmann Högel bereits dreimal verurteilt: Im Jahr 2008 wegen versuchten Mordes zu 7,5 Jahren Haft (im ersten, vom Bundesgerichtshof aufgehobenen Urteil in diesem Verfahren war Högel im Dezember 2006 zu fünf Jahren Haft verurteilt worden). Im Februar 2015 wegen zweifachen Mordes zu lebenslanger Haft mit Feststellung der besonderen Schwere der Schuld. 2019 wegen 85-fachen Mordes zu lebenslanger Haft mit Feststellung der besonderen Schwere der Schuld.
Kann ein Gericht, das Högel bereits dreimal verurteilt hat und sich dabei 2019 von seiner Schuld in den jetzt zur Verhandlung anstehenden Todesfällen überzeugt hat, wirklich wieder bei „Null“ anfangen? Richter Sebastian Bührmann sagt Ja und auch das Oberlandesgericht hat entsprechende Einwände der Verteidiger zurückgewiesen. Das hindert die Verteidiger jedoch jetzt nicht, immer wieder Salz in diese Wunde zu streuen.
Merkwürdigkeit 3: Die Sache mit den alten Urteilen
Das Gericht ordnete an, dass die bisher gegen Högel gesprochenen Urteile allen Beteiligten schon am Prozessbeginn zur Verfügung gestellt werden, also auch den Schöffen, den Ersatz-Schöffen, Ersatz-Richtern und den beiden beisitzenden Richtern.
Sämtliche 18 Verteidiger wehrten sich vehement dagegen. Sie führten ins Feld, dass so die Gefahr bestehe, dass alle, die am Ende ein Urteil zu fällen haben, die Einschätzung aus den früheren Urteilen einfach übernehmen. Der Vorsitzende Richter Bührmann wies das zurück. Alle an dem Verfahren Beteiligten dürfen die Urteile lesen.
Merkwürdigkeit 4: Derselbe Gutachter beurteilt Niels Högel erneut
Der Psychologe, der die Glaubwürdigkeit des Zeugen Högel in diesem Verfahren beurteilen soll, heißt Prof. Dr. Max Steller. Es ist derselbe Gutachter, der Högel bereits 2019 begutachtet hat, wobei er ihn seinerzeit als notorischen Lügner beschrieben hat. Ist zu erwarten, dass er sein Urteil von vor drei Jahren jetzt revidiert?
Merkwürdigkeit 5: Die Sache mit dem Laptop
Im Februar 2015 wurde Niels Högel wegen zweifachen Mordes verurteilt. Parallel hatten längst viel weitreichendere Ermittlungen gegen ihn begonnen. Im November 2014 war die Sonderkommission Kardio eingesetzt worden. Sie ermittelte mehr als 300 Fälle, bei denen der Verdacht bestand, dass Högel Patienten getötet haben könnte. Mehr als 100 Fälle ließen sich nicht mehr klären, da mögliche Opfer nach ihrem Tod verbrannt worden waren.
Die Soko bestückte einen Laptop mit den Krankenakten, Laborergebnissen und anderen Daten der Verdachtsfälle. Diesen Laptop stellte sie Högel im Frühjahr 2016 als „Erinnerungshilfe“ zur Verfügung. Das geschah noch vor der ersten polizeilichen Vernehmung zu diesen Fällen am 22. Mai 2016.
Im laufenden Prozess hat Högel mehrfach betont, dass ihm dieser Laptop sehr geholfen habe, seine Erinnerungen aufzufrischen. Für die Verteidiger ist das ein entscheidender Punkt: Beruht Högels Geständnis in den jetzt zu verhandelnden acht Todesfällen wirklich auf echter Erinnerung? Oder hat er die Taten mit den per Laptop gewonnenen Erkenntnissen nur gestanden, um sich wichtig zu machen? Für ihn käme es auf ein paar Morde mehr oder weniger nicht an, für die jetzt vor Gericht stehenden Angeklagten aber sehr wohl.
Merkwürdigkeit 6: Die Langsamkeit der Ermittlungen
Es hat lange dauert, bis Högel hinter Schloss und Riegel kam. Im Juni 2005 wird er auf frischer Tat ertappt und kommt für 76 Tage in Untersuchungshaft, dann ist er wieder frei. Er arbeitet in zwei Pflegeheimen.
Er bleibt auch frei, als er im Dezember 2006 wegen versuchten Totschlags zu fünf Jahren Haft verurteilt wird. Im Revisionsprozess wird er im Juni 2008 zu siebeneinhalb Jahren Haft verurteilt. Gleichwohl dauert es bis Mai 2009, ehe er seine Haft antritt.
Ulrich Breulmann, Jahrgang 1962, ist Diplom-Theologe. Nach seinem Volontariat arbeitete er zunächst sechseinhalb Jahre in der Stadtredaktion Dortmund der Ruhr Nachrichten, bevor er als Redaktionsleiter in verschiedenen Städten des Münsterlandes und in Dortmund eingesetzt war. Seit Dezember 2019 ist er als Investigativ-Reporter im Einsatz.
