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Todespfleger Niels Högel: Verstörender Auftritt eines höflichen Serienmörders
Mintrop-Prozess
Wegen 87-fachen Mordes ist der Krankenpfleger Niels Högel rechtskräftig verurteilt. Jetzt sagt der Serienmörder als Zeuge im Prozess gegen Rudolf Mintrop, Ex-Chef des Klinikums Dortmund, aus.
Es ist ein verstörender Auftritt, den Niels Högel (45), der wohl größte Serienmörder der deutschen Nachkriegsgeschichte, am Dienstag in der zum Gerichtssaal umfunktionierten Weser-Ems-Halle in Oldenburg hinlegt.
Hier muss sich derzeit unter anderem Rudolf Mintrop, bis Ende 2021 acht Jahre lang Geschäftsführer des Klinikums Dortmund, wegen Beihilfe zur Tötung durch Unterlassen in drei Fällen verantworten. Die Taten ereigneten sich im November 2001, als Mintrop Geschäftsführer am Klinikum Oldenburg war.
Der durchschnittliche Serienmörder
Bevor Högel den Gerichtssaal betritt, sind ihm Hand- und Fußfesseln abgenommen worden. Er ist ein wenig dünner geworden gegenüber seiner letzten Verurteilung 2019. Kurze dunkle Haare, Dreitagebart, blaue Jeans, über einem hellen Hemd ein dunkelblauer Pulli. So durchschnittlich also sieht ein skrupelloser Serienmörder und nachgewiesenermaßen notorischer Lügner aus. Er ist der erste Zeuge, der jetzt im Prozess gegen Rudolf Mintrop und sechs weitere Angeklagte aussagt.
Högel wirkt höflich und konzentriert, als er seinen Lebenslauf schildert und dann erzählt, wie es zu den Morden zunächst in Oldenburg und dann im Klinikum Delmenhorst gekommen ist. Auch auf mehrmaliges Nachfragen sagt er, dass er sich nicht an das erste Mal erinnern könne, wohl aber, dass sein Vorgehen „im Prinzip“ immer dasselbe gewesen sei.
So tötete Niels Högel immer wieder
Er habe auf der Intensivstation den Alarm bei einem Patienten für 30 Sekunden unterbrochen, dann das fatale Medikament gespritzt und danach schnell das Zimmer verlassen. Als dann 10, 20 Sekunden später der Alarm schrillte, war er wieder der erste am Patientenbett und begann mit der Reanimation.
Högel kann sich an viele Details erinnern. Er spult die Namen der vielen Kollegen, der Ärzte, der Verwaltungsleute, der Polizisten und Staatsanwälte problemlos herunter. Nur seine Opfer, die haben für ihn lange keine Namen. Bis er sich im Laufe der Ermittlungen gegen ihn angefangen habe, sich mit seinen Taten „auseinanderzusetzen“. Erst da habe er Namen mit seinen Opfern verbinden können.
Banale Alltagserfah rungen als Mordmotiv
Högel erzählt das so ruhig, so distanziert, so sachlich, so emotionslos, als berichte er, welche Einkäufe er im Supermarkt getätigt und welchen Film er zuletzt gesehen hat. Da ist weder Reue noch Mitleid mit seinen Opfern und deren Angehörigen zu spüren. Ob ihm die Psychologin der Justizvollzugsanstalt Oldenburg, die ihn vor dieser Zeugenaussage in zwei Sitzungen beraten hat, ein solches kühles, rein sachliches Auftreten geraten hat? Högel sagt Ja.
Ein Hauch von Emotionen kommt erst auf, als der Richter nachbohrt, warum er diese Taten überhaupt verübt hat. Ob er vielleicht Menschen von deren Leid habe erlösen wollen, fragt der Vorsitzende Richter Sebastian Bührmann. Högel antwortet mit einem klaren „Nein“ und erzählt stattdessen von seinen Beziehungsproblemen zu seiner damaligen Partnerin.
Högel spricht von Einsamkeit, Orientierungslosigkeit, innerer Leere und Traurigkeit. Alltagserfahrungen. Eine Banalität als Mordmotiv.
Suche nach Anerkennung und Schulterklopfen
All diese negativen Gefühle seien in der Klinik an seinem Arbeitsplatz weg gewesen. Da habe es in Oldenburg ein elitäres Pflegeteam gegeben, das er bewundert habe. Er habe dazugehören wollen.
Nach einer erfolgreichen Reanimation habe es Anerkennung und Schulterklopfen gegeben. „Das Gefühl, dazuzugehören“. Das habe ihn „getriggert“. Also mordete Niels Högel.
Ob er jetzt noch auch nur die kleinste Hoffnung habe, jemals wieder aus der Haft entlassen zu werden?
Högel zögert kurz, bemüht den Allgemeinspruch „die Hoffnung stirbt zuletzt“, um dann zu sagen: „Mir ist mein Strafmaß völlig klar und das ist auch in Ordnung. Ich weiß, dass lebenslang für mich auch lebenslang bedeuten kann“, sagt Högel, berichtet dann aber von einer Sozialtherapie, die man ihm mit einer Mini-Chance auf Resozialisierung ins Aussicht gestellt habe.
„Ich weiß, dass lebenslang für mich lebenslang bedeuten kann“
Auf die Frage eines der vielen Verteidiger, wer ihm denn eine solche Resozialisierungs-Chance in Aussicht gestellt habe, antwortet Högel ausweichend.
Ebenso weicht er aus, als es um ein Telefoninterview geht, das er aus der Justizvollzugsanstalt Oldenburg im vergangenen Juni einem Privatsender gegeben hat. Die Frage, ob er dafür Geld bekommen hat, verneint Högel.
Ob vielleicht Bekannte oder Familienangehörige Geld erhalten hätten, wollen die Verteidiger wissen. Die Frage will Högel zunächst nicht behandeln, weil er sich auf eine Verschwiegenheitsklausel in dem Vertrag mit dem Privatsender beruft.
Floss Geld für ein Interview mit einem Privatsender aus der Zelle?
Das aber lässt das Gericht nicht gelten. Sein Anwalt habe ein Honorar erhalten, räumt Högel ein, über weitere Zahlungen wisse er nichts.
Das wiederum wird ihm nicht geglaubt. Das Gericht ordnet auf Antrag der Verteidiger der Angeklagten noch während der Hauptverhandlung eine Durchsuchung der Zelle von Niels Högel noch am Dienstag an, um unter anderem dazu Unterlagen sicherzustellen.

Rudolf Mintrop, Ex-Geschäftsführer des Dortmunder Klinikums. © Dieter Menne (Archiv)
Während die Verteidiger von Mintrop und den übrigen in diesem Punkt siegten, hatten sie zu Beginn des Prozesstages am Morgen eine Schlappe hinnehmen müssen: Sie hatten eine Video-Aufzeichnung der kompletten Aussage von Niels Högel beantragt.
Diesen Antrag allerdings wies das Gericht zurück. Das sehe die Strafprozessordnung nicht vor, sagt der Vorsitzende Richter Sebastian Bührmann. Daran ändere auch nichts, dass die Ampelkoalition in Berlin in diesem Punkt eine Gesetzesänderung im Koalitionsvertrag verabredet habe. Noch sei diese Änderung nicht Gesetz, sagte Bührmann. Die Vernehmung von Niels Nögel wird am Mittwoch fortgesetzt.
Ulrich Breulmann, Jahrgang 1962, ist Diplom-Theologe. Nach seinem Volontariat arbeitete er zunächst sechseinhalb Jahre in der Stadtredaktion Dortmund der Ruhr Nachrichten, bevor er als Redaktionsleiter in verschiedenen Städten des Münsterlandes und in Dortmund eingesetzt war. Seit Dezember 2019 ist er als Investigativ-Reporter im Einsatz.
