„Absurd, undenkbar, unvorstellbar“: Mintrops Anwalt weist Vorwürfe vehement zurück

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„Absurd, undenkbar, unvorstellbar“: Mintrops Anwalt weist Vorwürfe vehement zurück

rnEx-Chef des Klinikums

Im Prozess gegen Rudolf Mintrop, Ex-Chef des Klinikums Dortmund, hat sein Verteidiger alle Vorwürfe zurückgewiesen. Mintrop steht wegen „Beihilfe zur Tötung durch Unterlassen“ vor Gericht.

Dortmund

, 17.02.2022, 17:51 Uhr / Lesedauer: 3 min

Es ist 8.53 Uhr, als Rudolf Mintrop an diesem Donnerstag (17.2.) den Festsaal der Weser-Ems-Halle in Oldenburg betritt. Das Landgericht Oldenburg ist für den Nachfolgeprozess um den Massenmörder Niels Högel in diese Halle, in der demnächst Atze Schröder und Florian Silbereisen auftreten, umgezogen, weil dieser Prozess alle Dimensionen sprengt.

7 Angeklagte, 18 Verteidiger, 3 Berufsrichter, 2 Schöffen, dazu 2 Ersatzrichter, 4 Ersatz-Schöffen, eine Nebenklägerin, mehr als ein halbes Dutzend Wachleute, dazu 18 Zuschauer und ebenso viele Journalisten. So viele Menschen passen nicht in den alt-ehrwürdigen Backsteinbau des Landgerichts.

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Mintrop, der von vier Rechtsanwälten verteidigt wird, wirkt gelassen an diesem Morgen. Er trägt einen dunklen Anzug und ein hellblaues Hemd. Auf die sonst bei ihm übliche Krawatte, die er bis zu seinem Ausscheiden aus dem Klinikum Dortmund Ende 2021 stets getragen hat, hat er heute verzichtet.

Es geht um 20 Jahre zurückliegende Taten

Als Staatsanwältin Gesa Weiß die Anklage verliest, sitzt Mintrop, der in wenigen Tagen 67 Jahre alt wird, zurückgelehnt mit verschränkten Armen auf seinem Stuhl. Konkret geht es um drei Morde, die sich vor mehr als 20 Jahren im Klinikum Oldenburg zugetragen haben, als Mintrop dort Geschäftsführer war.

Spätestens Ende Oktober 2001, so die Anklage, habe Mintrop es für möglich gehalten, dass der Krankenpfleger Niels Högel für den Tod von Patienten verantwortlich sein könnte. Gleichwohl sei er mit Rücksicht auf die Reputation der Klinik nicht eingeschritten. So sei es Niels Högel erst ermöglicht worden, am 17. November 2001, am 20./ 21. November 2001 und am 26. November 2001 eine Frau und zwei Männer durch das Verabreichen von Medikamenten zu töten. Mintrop habe deren Tod billigend in Kauf genommen.

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Mintrop macht am ersten Prozesstag von seinem Schweigerecht Gebrauch. Dafür wird sein Rechtsanwalt Alexander S.K. Gruner in seinem Eröffnungs-Statement mehr als deutlich. Er weist vehement die gegen Mintrop erhobenen Vorwürfe zurück.

Verteidiger: „Reine Verdachtshypothese“

Gruner spricht von einer „reinen Verdachtshypothese“. Die Anklage sei falsch. Selbst die angenommenen „vagen Verdachtsmomente“ gegen Högel „existierten nicht“. Die von Högel verübten Verbrechen seien „furchtbar und unbegreiflich, sie sprengten jede Grenze“, sagt der Anwalt und fährt fort: „Wer als Arzt oder Pfleger glaubt denn schon, dass der Kollege neben ihm in jedem zweiten Dienst Menschen umbringt?“ Die Angeklagten „sollen sich damit abgefunden haben?“, fragt Gruner. Allein der Gedanke sei „absurd, undenkbar und unvorstellbar“.

Die Weser-Ems-Halle in Oldenburg wurde kurzerhand zu einer Nebenstelle des Landgerichts erklärt, da das Landgericht selbst für einen so großen Prozess nicht einen passenden Raum hat.

Die Weser-Ems-Halle in Oldenburg wurde kurzerhand zu einer Nebenstelle des Landgerichts erklärt, da das Landgericht selbst für einen so großen Prozess nicht einen passenden Raum hat. © picture alliance/dpa/dpa Pool

Mintrop habe Högel selbst nie bei der Arbeit erlebt. Es gebe für das Klinikum Oldenburg weder eine Statistik, die eine höhere Sterblichkeitsrate während der Zeit von Niels Högel belege noch eine solche für einen erhöhten Medikamentenverbrauch, sagt Gruner. Auch sei er nicht „auf frischer Tat“ ertappt worden, wie später 2005 in der Klinik Delmenhorst.

Alle Morde müssen neu aufgerollt werden

Dann geht Gruner noch einen Schritt weiter. Trotz des rechtskräftigen Urteils gegen Högel gebe es „erhebliche Zweifel“, dass der die drei Todesfälle in Oldenburg, um die es in diesem Verfahren geht, tatsächlich begangen habe. Diese Taten müssten im aktuellen Verfahren erst einmal bewiesen werden. Das hatte zuvor bereits der Vorsitzende Richter Sebastian Bührmann klargestellt.

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Auch wenn das sehr merkwürdig erscheint, aber: Obwohl Högel für diese Taten rechtskräftig verurteilt wurde, dürfen sämtliche 63 Tötungsdelikte (3 in Oldenburg, 60 in Delmenhorst), um die es in diesem Verfahren jetzt geht, nicht als geklärt vorausgesetzt werden. Das Gericht muss in jedem Einzelfall überprüfen, ob Högel die Taten wirklich begangen hat. „Wir fangen bei Null an“, sagt Richter Bührmann.

Der Vorsitzende Richter: „Wir fangen bei Null an“

Für Rechtsanwalt Gruner ist zudem klar: Selbst wenn Mintrop Ende Oktober 2001 die Ermittlungsbehörden eingeschaltet hätte, wären die drei Todesfälle im November 2001 nicht zu verhindern gewesen. Dabei verweist er auf die Tatsache, dass selbst die Ermittlungsbehörden Jahre später, als Högel bereits einmal wegen Mordes verurteilt worden ist, diesen noch Jahre auf freien Fuß gelassen und nicht einmal ein vorläufiges Berufsverbot ausgesprochen hätten.

In der Tat ein Vorgehen, das auch zu Ermittlungen gegen die Verantwortlichen der Staatsanwalt geführt haben. Wie sollte da Mintrop Verdacht schöpfen, bei einem da noch als unbescholten geltenden Pfleger, lautet eine der Fragen Gruners.

Daher entbehre die Anklage jeder Grundlage. „Die Anklage scheint eine Ausprägung des psychologischen Phänomens des Rückschau-Fehlers zu sein“, sagte Gruner. Das bedeutet: Man darf bei einer Betrachtung des Handelns im Jahr 2001 nicht das Wissen von heute voraussetzen. Daher gelte: „Meinem Mandanten ist nichts vorzuwerfen“.

Auch die Verteidiger der anderen sechs Angeklagten weisen die Vorwürfe der Anklage entschieden zurück und richten harsche Vorwürfe an Staatsanwaltschaft und Gericht. Im Jahr 2001 habe es keinerlei kriminalistische Erfahrungen damit gegeben, dass jemand mit Medikamenten eine Reanimation bewusst herbeigeführt habe. So etwas hätten sich Beschäftigte in einer Klinik schlicht nicht vorstellen können.

Niels Högel sagt am 1. März als Zeuge aus

Es fielen Sätze wie „Die Anklage ist höchst mangelhaft“, sie fuße auf einer „ungeheuerlichen, widerwärtigen Verdachtshypothese, die durch nichts belegt ist“.

Beim nächsten Verhandlungstag am 1. März wird Niels Högel, der verurteilte größte Serienmörder der deutschen Nachkriegsgeschichte, als Zeuge vernommen.