
Sowohl die Mieter (links und Mitte) als auch der Vermieter Dietmar Stern (2.v.r.) und seine Ehefrau (r.) sind mit der Situation unzufrieden. © Maurice Prior
Dortmunder Mieter verzweifeln an krankem Nachbarn: „Bis es eskaliert“
Psychische Erkrankung
In einem Haus im Dortmunder Westen finden Mieter keine Ruhe. Ein psychisch kranker Nachbar macht immer wieder durch Lärm und Schreie auf sich aufmerksam. Seine Mitbewohner im Haus sind verzweifelt.
Nadine Andrzejak und ihre Nachbarn sind fertig mit den Nerven. „Er schreit. Er schreit tagsüber. Und er schreit auch nachts. Dauernd.“ Ihr Nachbar, der eine Etage über ihr wohnt, ist psychisch krank. Chronische Schizophrenie sei bei ihm diagnostiziert, erzählt die Dortmunderin. Das sei schon lange so, aber seit einigen Monaten verschlimmere sich sein Zustand immer weiter.
„Das kriegen hier im Haus alle mit“, sagt Andrzejak. „Ach, was sag ich – sogar in der ganzen Straße." Acht Parteien wohnen in dem Haus im Norden des Dortmunder Stadtteils Huckarde. „Wir alle hören ihn dauernd schreien, sind aber total hilflos“, unterstreicht Tanja, eine Frau, die ebenfalls in dem Haus wohnt.
Situation im Haus „menschenunwürdig“
“Neulich stand er vor meiner Haustür und hat dagegen gehämmert“, erzählt Nadine Andrzejak. Die Tür habe der Nachbar eintreten wollen. „Normalerweise ist er harmlos, aber ich war mit meinem Sohn alleine zu Hause und hatte total Angst."
Vorkommnisse wie diese halten die Mieter des Hauses seit vielen Monaten protokollarisch fest.

Nadine Andrzejak und ihr Nachbar dokumentieren Vorkommnisse mit ihrem Nachbarn protokollarisch. © Maurice Prior
Nadine Andrzejak hat auch seit einiger Zeit einen Notfallschlüssel für die Wohnung des Mannes. „Er sitzt einfach auch oft auf dem Flur herum. Dann schließe ich ihm oft seine Wohnung auf und lasse ihn rein", erzählt sie. Sie halte es für unverantwortlich, den Mann dort alleine wohnen zu lassen.
„Wir wollen für ihn nur das Beste. Jedes Tier wird besser behandelt als dieser Mann. Das ist einfach menschenunwürdig“, findet Nadine Andrzejak.
Alle Beteiligten fühlen sich allein gelassen
Auch der Eigentümer des Hauses und Vermieter, Dietmar Stern, habe bereits Schritte unternommen, um die Situation im Haus zu verändern. „Ich habe mich an den Betreuer des Mieters gewandt, an die Stadt, den sozialpsychiatrischen Dienst“, so Stern. Alle hätten ihm nur gesagt, dass man da nichts machen könne. Da müsse er halt durch, sei die einhellige Antwort gewesen. „Da bin ich bald tot umgefallen, als ich das gehört habe.“
Langsam werde die Lage im Haus aber für die übrigen Mieter untragbar. „Hier passiert gar nichts, bis es irgendwann eskaliert", befürchtet Nadine Andrzejaks Ehemann Marcus. Der Schichtarbeiter könne oft kaum schlafen, weil der Nachbar ständig Lärm mache: „Da kriegt man einfach irgendwann zu viel. Die Stimmung kocht hier im Haus.“
Vermieter Stern liegt aber auch das Schicksal seines kranken Mieters am Herzen: „Ist es für ihn nicht besser, wenn er eine Betreuung hat, die auf ihn aufpasst, als dass er hier alleine lebt?", fragt er sich. Auch wenn der Pflegedienst vorbeikommt oder die Polizei: Stets seien die Leute der Meinung, dass der Mann nicht mehr alleine wohnen könne. „Aber machen können sie alle nichts“, so Stern.
Vermieter sieht keinen anderen Weg als eine Kündigung
Gründe für eine Kündigung hätte es schon genug gegeben: „Die Wohnung sah teilweise richtig schlimm aus", erzählt Vermieter Dietmar Stern. „Die war zugemüllt bis oben hin, der Lokus lief über."
Stern ließ den Mann dennoch in seiner Wohnung wohnen. Er wehrt sich gegen das Bild vom kaltherzigen Vermieter, der einen alten, kranken Mann rausklagen will. „Aber die Lösung kann ja auch nicht sein, dass alle anderen hier wegziehen müssen."
Mittlerweile gibt sich Vermieter Stern fast resigniert: „Egal wohin man sich wendet, helfen will oder kann einem niemand." Sein Rechtsanwalt habe dem betroffenen Mieter nun offiziell gekündigt. „Das muss ja dann mal seinen Betreuer auf den Plan rufen", hofft er. Der regele für den chronisch kranken Mann die Geschäfte.
Erkrankter Nachbar hat einen gesetzlichen Betreuer
Bisher habe der Betreuer jedenfalls nicht auf Kontaktversuche reagiert. „Er wäre derjenige, der unserem Nachbarn helfen könnte", meint Nadine Andrzejak. „Aber niemand hat ihn hier je gesehen. Wir glauben, er weiß gar nicht, wie die Zustände hier sind."
Gesetzliche Betreuer, früher auch Vormund genannt, kümmern sich um Angelegenheiten von Menschen, die dazu selbst nicht in der Lage sind. Ein Gericht muss zuvor auf Basis eines Gutachtens feststellen, dass der Betroffene nicht mehr im eigenen Interesse Entscheidungen treffen kann.
So war es auch im Fall des betroffenen psychisch Kranken. Seit 2015 habe dieser einen gesetzlichen Betreuer, bestellt vom Amtsgericht Dortmund, berichtet der Hauseigentümer Stern.
Betreuer sei nie vor Ort
Mitarbeitern des Pflegedienstes, der einige Male in der Woche vorbeikomme, begegne man schon mal, so die Hausbewohner. „Wir bekommen schon, mit wer hier ein und ausgeht", meint Nadine Andrzejak. „Der Betreuer jedenfalls nicht.“
Auf mehrere Kontaktversuche unserer Redaktion, ob telefonisch oder per E-Mail, reagierte der Betreuer bislang auch nicht.
Vermieter Dietmar Stern will es momentan nicht verantworten, in dem Haus neue Wohnungen zu vermieten. Dabei wäre die Wohnung direkt unter der des psychisch kranken Mannes bezugsfertig. „Aber solange sich hier nichts tut, muss ich die leer stehen lassen. Da kann ich niemanden guten Gewissens einziehen lassen." Ihn kostet das bares Geld. Seine Mieter kostet die Lage Nerven.