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Verfahren gegen Polizisten werden in Dortmund fast immer eingestellt
Polizeigewalt
Wenn Polizisten vorgeworfen wird, unangemessene Gewalt ausgeübt zu haben, werden die Verfahren meist eingestellt. Kritiker sehen als Ursache strukturelle Probleme. Ein Report über Dortmunder Fälle.
Was Matthias Zwillenberg am 30. September 2014 passiert ist, erweckt den Eindruck, es könnte jedem passieren: Als er gerade an einer Ampel den Ostwall überqueren will, wird er plötzlich angegriffen. „Auf einmal springt mir jemand in den Rücken, ich werde zu Boden gerissen, dann kniete jemand auf mir, ich hatte eine Todesangst“, sagt er damals.
Drei Polizisten in Zivil nehmen den eher schmächtigen Mann in einen Würgegriff und bringen ihn mit einem Tritt in die Kniekehle zu Boden. Minutenlang liegt Matthias Zwillenberg gefesselt am Boden. Drei weitere Polizisten in Zivilkleidung kommen hinzu. Nach einem Telefonat stellt sich jedoch heraus: Die Beamten haben den Falschen.
Die Staatsgewalt
Die Polizei ist so etwas wie das Bollwerk der staatlichen Ordnung vor krimineller Unordnung. Um diese wichtige Aufgabe erfüllen zu können, sind Polizisten mit umfangreichen Befugnissen ausgestattet, denen man sich als Bürger oder Bürgerin beugen muss. Diese schließen auch die Anwendung von Gewalt ein.
Geregelt ist auch, wann ein Polizist oder eine Polizistin welche Befugnisse anwenden darf. Die meisten Beamten halten sich daran. In dieser Geschichte geht es um die Frage, was passiert, wenn Polizisten diese Regeln übertreten.
Verdachtsmomente
In Verdacht ist Matthias Zwillenberg bei dem Vorfall im September 2014 wohl geraten, weil er auf seinem Weg in die Innenstadt an einem Auto vorbeigekommen ist, das offenbar aufgebrochen worden war.
Während er dort vorbeigeht, telefonieren zwei Kinder mit der Polizei. Der Lautsprecher des Handys ist an, und Matthias Zwillenberg gibt wahrscheinlich einen Kommentar zur Marke des Autos ab. Wenig später hantiert er an seinem Rucksack. Was genau er damit macht, darüber gehen die Aussagen auseinander. Als die Polizisten ihn festnehmen, hält er außerdem eine Bierflasche in der Hand.
Matthias Zwillenberg erleidet bei der Festnahme eine Nasenbeinprellung, und eine alte Wunde am rechten Arm öffnet sich wieder. Er wird mit einem Krankenwagen in die Unfallklinik gebracht. Er gibt auch an, er habe bei der Festnahme einen Schneidezahn verloren. Der Zahn fehlt wirklich, doch an einem Zusammenhang mit der Festnahme kommen später Zweifel auf.
Matthias Zwillenberg stellt Strafanzeige wegen Körperverletzung im Amt. Sein Anwalt ist damals Alfons Becker. Der war selbst mal Staatsanwalt, wird später einer der Anwälte des BVB im Prozess um den Anschlag auf dessen Mannschaftsbus sein. Alfons Becker sagt: „Ich habe damals fest mit einer Verurteilung gerechnet. Viel eindeutiger kann ein Fall nicht sein.“
Doch im Verfahren stehen die Zeichen damals laut Alfons Becker eher auf Einstellung der Ermittlungen – bis sich ein weiterer Zeuge meldet. Er gibt in seiner Aussage an, den Angriff auf Matthias Zwillenberg aus wenigen Metern Entfernung beobachtet zu haben. Sagt, der Mann sei „brutal zu Boden gebracht“ worden. Eine verbale Vorwarnung habe es nicht gegeben.
Am 16. Oktober 2015 erhebt die Staatsanwaltschaft Dortmund Anklage gegen einen der sechs Polizisten wegen Körperverletzung im Amt.
Strafrechtlich erledigt
Zu einer Verhandlung des Falls vor Gericht kommt es aber nicht. Am 26. April 2016 beschließt das Amtsgericht, das Verfahren gegen Zahlung eines „Wiedergutmachungsbetrages“ nach Paragraf 153a der Strafprozessordnung einzustellen. Die anklagende Oberstaatsanwältin stimmt zu. Der angeschuldigte Polizist zahlt 600 Euro an Matthias Zwillenberg. Strafrechtlich ist der Fall damit am 12. August 2016, also knapp zwei Jahre nach dem Vorfall, erledigt.
Matthias Zwillenberg erhält noch 200 Euro Schmerzensgeld vom Land NRW. 2500 Euro hatte sein Anwalt Alfons Becker gefordert. Eine Entschuldigung der Polizei bekommt Matthias Zwillenberg laut Alfons Becker nie. Ihn macht der damalige Verfahrensablauf bis heute erkennbar fassungslos.
95 Prozent Einstellung
Genau 98 Verfahren wegen „Gewaltausübung und Aussetzung durch Polizeibedienstete“ hat die Staatsanwaltschaft Dortmund im Jahr 2018 erledigt. 92 davon durch Einstellung mit oder ohne Auflagen. Das sind rund 94 Prozent. Dieses Verhältnis zieht sich durch. Warum ist das so?
„Verfahren gegen Polizeibeamte werden weitaus häufiger eingestellt als andere Verfahren“, sagt Professor Thomas Feltes. In rund 95 Prozent der Verfahren sei das so. Zum Vergleich: Bei anderen Straftaten liege die Einstellungsquote eher zwischen 70 und 80 Prozent.
Thomas Feltes ist Kriminologe, war zehn Jahre lang Rektor der Hochschule der Polizei in Baden-Württemberg und arbeitet seit 40 Jahren unter anderem als Berater für Interpol und das FBI. Ein Schwerpunkt seiner Arbeit: Straftaten durch Polizeibeamte.
Enge Zusammenarbeit
„Polizei und Staatsanwaltschaft arbeiten im Alltag eng zusammen“, sagt Thomas Feltes. „Polizisten haben bei Staatsanwälten einen Vertrauensvorschuss.“
Staatsanwaltschaften prüfen einen Fall per Gesetz neutral. In Ermittlungsverfahren wegen Polizeigewalt, in denen oft die Aussage von einem oder mehreren Polizisten gegen die Aussage des Betroffenen steht, glauben Staatsanwälte laut Thomas Feltes aber eher Polizisten.
Im Prinzip sei dieses Grundvertrauen gerechtfertigt, sofern alles nach Vorschrift läuft. „Allerdings wissen wir, dass in Fällen, in denen unnötige oder gar rechtswidrige Gewalt durch Polizeibeamte angewendet wird oder sonstige Fehler gemacht werden, die Ermittlungsverfahren von der Polizei oftmals nicht objektiv durchgeführt werden.“
Gegen Beamte der Polizei Dortmund ermitteln in der Regel Beamte der Polizei Recklinghausen.
Das NRW-Justizministerium entgegnet auf den Vorwurf, es lägen keine Anhaltspunkte vor für sachfremde Erwägungen bei Entscheidungen, Ermittlungsverfahren gegen Polizeibeamte einzustellen.
Bei der Staatsanwaltschaft Dortmund gibt es ein Sonderdezernat für Straftaten, die Polizisten in Ausübung ihres Amtes begehen – wie auch bei allen anderen Staatsanwaltschaften in NRW. Staatsanwalt Henner Kruse betont auf Nachfrage, einen Vertrauensvorschuss gegenüber Polizisten gebe es nicht. Ein möglicher Grund für die höhere Einstellungsquote könne sein, dass sich Polizisten in höherem Maße an Recht und Gesetz halten.
Schläge gegen eine Schwangere
Am 1. März 2019 wird ein Shisha-Café an der Münsterstraße zum siebten Mal durchsucht. Aouatef Mimouni, die Frau des Betreibers, ist das also wohl gewohnt. Sie gibt später an, sie habe nach 20 Minuten über eine Handy-App, die mit einer Überwachungskamera im Laden verbunden ist, schauen wollen, ob die Polizisten wieder weg sind. Doch etwas macht sie offenbar stutzig: Einer der Beamten öffnet allein die Kasse.
Dass Polizisten bei einer Razzia auch in die Kasse schauen, ist normal. Aouatef Mimouni schaltet sich dennoch in die Razzia ein, es kommt zu einem Streit und Handgreiflichkeiten zwischen ihr und einem Polizisten.
Im Innenhof, so sagt es Aouatef Mimouni später, habe der Beamte sie gewürgt und geschlagen. Was dann passiert, hat der WDR mit Auszügen aus dem Überwachungsvideo und einem Handyvideo einer Nachbarin rekonstruiert.
Der Beamte droht der schwangeren Frau: „So, das ist tätlicher Widerstand, da geht’s in den Bau jetzt für. Dann kannste die Schwangerschaft im Gefängnis machen. Haste mich verstanden jetzt? Drehst du jetzt noch einmal durch, hau ich dir was in die Schnauze. Haste mich verstanden? Ich lass dich jetzt los. Ein Mucks, dann hau ich dir ein paar ins Gesicht, dass du deine Zähne aufsammeln kannst! Hast du mich jetzt verstanden?“
Aouatef Mimouni erleidet bei der Auseinandersetzung eine Kiefergelenks- und eine Jochbeinprellung.
Die Polizei beschreibt die Geschehnisse in ihrer Stellungnahme nach der Razzia so: „Die Frau fiel im Rahmen des Kontrolleinsatzes mit einer aggressiven Verhaltensweise auf, beleidigte mehrfach mehrere Beamte und schlug einen von ihnen (…). Als sie (…) fixiert werden sollte, versuchte sie mehrfach, sich loszureißen und zu ihrem Lebensgefährten zu gelangen. Gegen ihre Widerstandshandlungen ging ein Polizeibeamter unter anderem auch mit mehreren Schlägen in das Gesicht vor.“
Drohungen gerechtfertigt
Wie Matthias Zwillenberg sucht sich auch Aouatef Mimouni einen Rechtsbeistand und stellt am 2. April 2019, also etwa einen Monat nach der Durchsuchung, eine Strafanzeige. Ihre Anwältin heißt Lisa Grüter.
„Der Polizist bestreitet das, was nicht zu beweisen ist“, sagt Lisa Grüter. Der beschuldigte Polizist räume einen sogenannten Distanzschlag ein. Von „mehreren Schlägen in das Gesicht“ ist laut Lisa Grüter plötzlich keine Rede mehr. Die Drohungen, die im Video zu hören sind, rechtfertige der Polizist damit, dass sie ein milderes Mittel im Vergleich zur Fesselung gewesen seien. „Ich finde das bemerkenswert“, sagt Lisa Grüter. „Fesseln ist wenigstens ein vorgesehenes Zwangsmittel der Polizei.“
Das Ermittlungsverfahren wird am 4. Juli 2019 nach Paragraf 170 der Strafprozessordnung eingestellt. Es gebe keinen hinreichenden Tatverdacht auf eine strafbare Handlung, heißt es von der Dortmunder Staatsanwaltschaft. Die Schläge und die Drohungen seien gerechtfertigt gewesen. Außerdem habe sich auch nicht alles bestätigt, was Aouatef Mimouni ausgesagt habe.
Falsche Angaben
„Polizeibeamte, die beobachten, wie ein Kollege unangemessene Gewalt anwendet, sind in einer extrem schwierigen Situation“, sagt Thomas Feltes. Wenn Polizisten eine Straftat beobachten, müssen sie diese anzeigen, sonst machen sie sich selbst strafbar. Gleichzeitig sind Polizeibeamte im Einsatz aufeinander angewiesen, müssen sich in gefährlichen Situationen vertrauen.
An der Ruhr-Universität Bochum läuft ein Forschungsprojekt zum Anzeigeverhalten und dem sogenannten Dunkelfeld bei Körperverletzungen im Amt durch Polizeibeamte. Als Dunkelfeld bezeichnet man Straftaten, die begangen, aber nicht amtlich registriert werden – zum Beispiel, weil sie nicht angezeigt werden.
Für das Projekt werden Menschen befragt, die sich als Opfer von Polizeigewalt sehen, und Interviews geführt mit Polizisten, Staatsanwälten und anderen Experten. Leiter der Studie ist Professor Tobias Singelnstein. Er sagt, „es gibt Fälle, in denen Polizisten falsche Angaben machen, um Kollegen zu decken“. Und wieder stellt sich die Frage: Warum ist das so?
Mobbing für den Korpsgeist
Tobias Singelnstein sagt, das habe etwas mit dem Zusammengehörigkeitsgefühl in der Polizei zu tun. Manche nennen es „Korpsgeist“. Dieser Zusammenhalt sei zum einen positiv, weil Polizisten sich im Einsatz aufeinander verlassen müssen. Es gebe aber auch eine negative Seite: „Es kann in der Praxis informelle Sanktionen geben, wenn man Kollegen anzeigt. Das kann so weit gehen, dass man seinen Dienst nicht mehr richtig ausüben kann.“
Welche Formen diese informellen Sanktionen annehmen können, beschreibt Philipp Krüger, Experte für Polizei und Menschenrechte bei Amnesty International in Deutschland. „Das kann schon relativ heftig werden. Das fängt damit an, dass man zum Frühstück keine Brötchen mitgebracht bekommt und hört im Einzelfall damit auf, dass Beamte eine tote Ratte geschickt bekommen haben oder selbst unter Polizeischutz gestellt werden mussten.“
Die Ratte gilt als Symbol für einen Verräter. Wenn jemand eine tote Ratte geschickt bekommt, spricht das eine deutliche Sprache.
Auch Betroffene bringen nicht jeden Fall von Fehlverhalten durch Polizisten zur Anzeige, sagt Tobias Singelnstein: „Unser Eindruck aus dem bisherigen Forschungsprozess ist, dass Betroffene recht zurückhaltend mit Anzeigen gegen die Polizei sind. Viele haben Angst.“
Wohl großes Dunkelfeld bei Straftaten von Polizisten
Wenn Polizisten sich gegenseitig decken und Betroffene Angst haben, die Polizei anzuzeigen, legt das nahe, dass längst nicht alle Fälle bekannt werden, in denen Polizisten unangemessene Gewalt ausüben.
Das sagt auch Tobias Singelnstein: „Nach unseren bisherigen Befunden kann man davon ausgehen, dass das Dunkelfeld mehr als fünfmal so groß ist wie das Hellfeld, das wir in der Statistik sehen.“ Einfach gesagt heißt das: Für jeden Fall von Körperverletzung im Amt durch Polizisten, der bekannt wird, gibt es möglicherweise mehr als fünf weitere Fälle, die nie amtlich bekannt werden.
Moderne Kritikkultur
Das NRW-Innenministerium äußert sich dazu so: Man habe „keine Hinweise darauf, dass Polizisten sich regelmäßig gegenseitig decken.“ Die Vermittlung einer modernen Kritikkultur sei wesentlicher Bestandteil der Aus- und Fortbildung der Polizei. Zudem gebe es ein Netzwerk von Hilfsangeboten unter anderem bestehend aus Vorgesetzten, Polizeiseelsorgern, Personalräten und der Opferschutzdienststelle.
Seit dem 1. März 2019 könnten sich Beschäftigte der Polizei außerdem ohne Einhaltung des Dienstweges an den Polizeibeauftragen des Landes wenden. Dieser sei direkt beim Innenminister angesiedelt. In Person ist das Thorsten Hoffmann, ehemaliger Bundestagsabgeordneter der CDU, bis 1999 Mitglied im Rat der Stadt Dortmund und langjähriger Polizist.
Vertrauen in den Rechtsstaat
Gregor Lange ist seit 2014 Polizeipräsident in Dortmund. Er sagt: „Es gibt neben den vielen Polizistinnen und Polizisten, die tagtäglich beanstandungsfrei ihre Arbeit machen, immer auch Einzelfälle, in denen Polizeibeamte sich fehlverhalten.“
Polizeibeamte seien zurecht mit zwei Erwartungen der Öffentlichkeit konfrontiert: Damit, einzuschreiten, wenn Menschen geschützt werden müssen, und damit, dass dies rechtmäßig passieren muss. „Von einem Polizisten erwarten wir, dass er konsequent vorgeht. Wir erwarten aber ohne Abstriche ebenfalls, dass das auf rechtsstaatlicher Grundlage passiert.“
Wenn es zu Vorwürfen komme, gebe es dafür rechtsstaatliche Untersuchungen durch eine andere Polizeibehörde, eine neutrale Staatsanwaltschaft und im Falle einer Anklage ein neutrales Gericht. Am korrekten Ablauf dieser Untersuchungen zweifelt Gregor Lange nicht. Zudem gebe es auch disziplinarrechtliche Maßnahmen, die gegebenenfalls zum Tragen kämen.
Fehlverhalten verhindern
Gregor Lange betont, er habe selbst ein großes Interesse daran, Fehlverhalten zu verhindern und aufzuarbeiten. „Jede Beschwerde geht über meinen Schreibtisch“, sagt der Polizeipräsident.
Zudem gebe es in der Dortmunder Polizei Frühwarnsysteme. Vorgesetzte achteten darauf, ob die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit im Einsatz eingehalten werden. Und: Die Polizei Dortmund hat einen eigenen Polizeibeauftragten, den Gregor Lange eingesetzt hat. „Der Polizeibeauftragte ist Ansprechpartner für schwierige Sachverhalte, auch wenn Beamte selbst mal in Schwierigkeiten geraten.“
Fälle, in denen Dortmunder Polizisten falsche Angaben gemacht hätten, um Fehlverhalten zu vertuschen oder in denen Polizisten, die gegen Kollegen ausgesagt haben, gemobbt worden wären, sind Gregor Lange nach eigenen Angaben nicht bekannt. Er betont aber: „Wenn solche Fälle beweissicher bekannt würden, wären sie Anlass dafür, entsprechende Verfahren einzuleiten.“
An dem Forschungsprojekt der Ruhr-Universität Bochum äußert Gregor Lange Kritik: „Das, was ich bisher aus der Studie entnommen habe, war eine – wie ich finde – für wissenschaftliche Ansprüche doch recht pauschale Unterstellung“, sagt Gregor Lange. „Ich wüsste nicht, wo es dafür Belege gibt.“
Für den Polizeipräsidenten spricht die hohe Einstellungsquote für etwas ganz anderes: „Ich wäre eher bei einer Lesart, zu sagen: Die hohen Einstellungsquoten sprechen nicht gegen die neutrale Amtsführung der Staatsanwaltschaft, sie sprechen eher dafür, dass die Polizeibeamten die im Einsatz tätig werden, das in der Regel rechtmäßig tun.“
Ein strukturelles Problem
Es sei kein Massenphänomen, dass Polizisten im Einsatz unangemessene Gewalt ausüben, sagt Professor Thomas Feltes. „Es handelt sich aber auch nicht um die wenigen ‚faulen Äpfel‘, von denen gern die Rede ist. Wir haben ein strukturelles Problem, was den Umgang mit solchen Fällen in der Polizei angeht und wir haben Personen, die auf Grund ihrer Persönlichkeitsstruktur und ihres Verhaltens solche Probleme quasi anziehen.“
Dass es zu Fehlverhalten von Polizisten im Einsatz kommt, sieht Thomas Feltes nicht als ungewöhnlich. „Menschen machen nun mal Fehler, auch in der Polizei, und dies muss man akzeptieren.“ Es gebe jedoch keine angemessene Fehlerkultur beim Umgang mit solchen Fehlern. „Richtig wäre es, Fehler, die gemacht wurden, einzugestehen und die Ursache dafür abzustellen. Leider fällt dies der Polizei, aber auch der Politik schwer.“
Unabhängige Kommission
Um das, von den Experten beschriebene, strukturelle Problem zu lösen, steht eine Forderung hoch im Kurs: „Amnesty International fordert, dass es unabhängige Untersuchungseinrichtungen gibt, die Fehlverhalten von Polizisten aufarbeiten und institutionell so wenig wie möglich mit der Polizei zu tun haben“, sagt Philipp Krüger. Auch die Professoren Thomas Feltes und Tobias Singelnstein stellen diese Forderung.
Sowohl das NRW-Innenministerium als auch das NRW-Justizministerium halten eine unabhängige Ermittlungskommission für unnötig. Das Innenministerium betont, dass bei Ermittlungen gegen Polizisten eine andere Polizeibehörde ermittelt. Die Leitung liege bei der ebenfalls unabhängigen Staatsanwaltschaft. Diese Regelung sei ausreichend.
Auch das Justizministerium betont die Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaften.
Kennzeichnungspflicht für Polizisten
Ein weiterer Ansatz, dieses Problem anzugehen, war in NRW bereits Realität. Per Änderung des Polizeigesetzes führte die Landesregierung aus SPD und Grünen im Dezember 2016 die gesetzliche Legitimations- und Kennzeichnungspflicht für Polizisten ein. Im Oktober 2017 wurde diese Kennzeichnungspflicht durch die neue Landesregierung von CDU und FDP wieder abgeschafft.
Im Antrag zur entsprechenden Gesetzesänderung heißt es, Gewalt gegen Polizisten habe ein „unerträgliches Ausmaß erreicht“ und die Kennzeichnungspflicht signalisiere „keine Rückendeckung, sondern ein grundsätzliches Misstrauen“.
Das NRW-Innenministerium betont: Die taktische Kennzeichnung erlaube bei der Identifizierung bereits eine Eingrenzung auf eine Gruppe von zehn Beamten.
Ein dunkles Kapitel
Während das Verfahren gegen den Polizisten, der Aouatef Mimouni geschlagen und bedroht hat, eingestellt wurde, läuft das Widerstands-Verfahren gegen sie selbst weiter. „Das Ermittlungsverfahren und jetzt die Einstellung sind eine riesige Belastung für sie“, sagt ihre Anwältin Lisa Grüter. „Dass noch ein Verfahren gegen sie anhängig ist, belastet ihr Rechtsgefühl.“ Das Kind, mit dem Aouatef Mimouni zum Zeitpunkt der Razzia schwanger war, ist inzwischen auf der Welt.
Alfons Becker bewahrt die Akte über die Festnahme von Matthias Zwillenberg bis heute in einem Registerschrank in seinem Büro auf. Kontakt zu seinem ehemaligen Mandanten hat er nicht mehr. Den Fall Matthias Zwillenberg nennt er ein „dunkles Kapitel“ der Dortmunder Polizei.
Geboren in Dortmund. Als Journalist gearbeitet in Köln, Hamburg und Brüssel - und jetzt wieder in Dortmund. Immer mit dem Ziel, Zusammenhänge verständlich zu machen, aus der Überzeugung heraus, dass die Welt nicht einfacher wird, wenn man sie einfacher darstellt.
