
© Amnesty International/Abgelichtet Fotografie
„Kennzeichnungspflicht“: Das Interview mit Philipp Krüger von Amnesty International
Polizeigewalt
Kriminologen bemängeln eine mangelnde Fehlerkultur bei der Polizei. Wir haben mit Philipp Krüger von Amnesty International über die Gründe und die Folgen gesprochen.
Philipp Krüger ist Experte für Polizei und Menschenrechte bei Amnesty International in Deutschland.
Herr Krüger, warum werden Ermittlungsverfahren gegen Polizeibedienstete überdurchschnittlich häufig eingestellt?
Philipp Krüger: Die Polizei ermittelt in Fällen mutmaßlicher Polizeigewalt in der Regel gegen sich selbst, was in vielerlei Hinsicht problematisch ist. Außerdem ist es so, dass Täter häufig nur schwer zu ermitteln sind, weil Polizeibeamte keine eindeutige individuelle Kennzeichnung tragen. In mehreren Bundesländern wie zum Beispiel Brandenburg, Schleswig-Holstein und Rheinland-Pfalz gibt es sie bereits, in anderen noch nicht. In Nordrhein-Westfalen wurde sie durch die CDU/FDP-Koalition vor einiger Zeit wieder abgeschafft. Das ist ein Rückschritt, den wir sehr bedauern. Und schließlich ist ein weiteres Problem, dass es ein gewisses Näheverhältnis zu den Staatsanwaltschaften gibt, die ja auf die Arbeit der Polizei angewiesen sind.
Sehen Sie auch Probleme beim internen Umgang mit Fehlverhalten in der Polizei?
Es gibt einen sogenannten Korpsgeist bei der Polizei, der dazu führt, dass Kolleginnen und Kollegen nicht gegeneinander aussagen, wenn es Vorwürfe gib. Zum Teil aus echter Loyalität, aber auch zum Teil, weil man Repressalien befürchten muss. Das kann schon relativ heftig werden. Das fängt damit an, dass man zum Frühstück keine Brötchen mitgebracht kommt und hört im Extremfall damit auf, dass Beamte eine tote Ratte geschickt bekommen haben oder selbst unter Polizeischutz gestellt werden müssen.
Ist innerhalb der Reviere bekannt, wenn es Beamte gibt, die tendenziell zu Fehlverhalten neigen?
Die Mehrheit der Polizeibeamten macht gute Arbeit und hält sich dabei an rechtliche und gesetzliche Vorschriften. Es gibt aber durchaus polizeiintern den Begriff des „Widerstandsbeamten“. Das sind Beamte, die immer als erste zur Stelle sind, wenn es eine körperliche Auseinandersetzung gibt. Da liegt die Vermutung nahe, das es häufiger dieselben Leute sind, die für Übergriffe verantwortlich sind und dass die auch auf den Revieren bekannt sind.
Welche Folgen hat es, wenn Polizisten tendenziell weniger befürchten müssen, für unangemessene Gewaltausübung bestraft zu werden, als normale Bürger?
Wenn die Beamtinnen und Beamten wissen, dass es eher unwahrscheinlich ist, dass ihnen irgendetwas passiert, kann das natürlich dazu führen, das Regeln eher übertreten werden. Hinzu kommt, dass wenn in prominenten Fällen, wie zum Beispiel im Rahmen des G20-Gipfels in Hamburg, die Ermittlungen sehr schnell eingestellt werden, das auch ein problematisches Signal sendet.
Wie könnte eine Lösung für dieses Problem aussehen?
Amnesty International fordert eine konsequente Einführung der Kennzeichnungspflicht in allen Länderpolizeien und auch bei der Bundespolizei, damit Täter ermittelt werden können. Wir fordern außerdem, dass es unabhängige Untersuchungseinrichtungen gibt, die Fehlverhalten von Polizisten aufarbeiten und institutionell so wenig wie möglich mit der Polizei zu tun haben. Und wir fordern Videoüberwachung in Gewahrsamsbereichen von Polizeistationen, weil es auch dort häufig zu Übergriffen kommt.
Die Vorwürfe, die auch Sie äußern gibt es ja bereits eine Weile von verschiedenen Seiten. Sehen Sie aktuell relevante Entwicklungen in diesem Themenfeld?
Es ist erfreulich, dass aktuell eine große Studie von Professor Singelstein an der Ruhr-Universität Bochum läuft, die das Dunkelfeld von Polizeigewalt besser beleuchten will. Vieles im Zusammenhang mit der Polizei wird in Deutschland nur unzureichend empirisch aufgearbeitet. Ein Beispiel: Wir hatten ja in der jüngeren Vergangenheit auch einige rassistische Vorfälle in der Polizei. Dazu gibt es aber kaum empirische Einstellungsforschung, also mit welchen politischen Einstellungen kommen Leute in den Polizeidienst und wie entwickeln sich diese im Laufe des Berufslebens. Auch dazu soll es jetzt eine erste Studie geben, die in Hessen laufen wird.
Geboren in Dortmund. Als Journalist gearbeitet in Köln, Hamburg und Brüssel - und jetzt wieder in Dortmund. Immer mit dem Ziel, Zusammenhänge verständlich zu machen, aus der Überzeugung heraus, dass die Welt nicht einfacher wird, wenn man sie einfacher darstellt.
