
© Peter Bandermann (Archiv)
„Wir haben Frühwarnsysteme eingerichtet“: Das Interview mit Polizeipräsident Gregor Lange
Polizeigewalt
Kriminologen weisen auf strukturelle Probleme bei der Aufarbeitung von Fehlverhalten von Polizisten hin. Wir haben mit Polizeipräsident Gregor Lange darüber gesprochen.
Gregor Lange ist seit 2014 Polizeipräsident der Dortmunder Polizei und selbst gebürtiger Dortmunder. Er hat Rechtswissenschaften in Bonn studiert, ist SPD-Mitglied und hatte vorher verschiedene Leitungsfunktionen der Landesverwaltung inne.
Herr Lange, sind Ihnen Fälle bekannt, in denen Polizisten der Dortmunder Polizei sich im Einsatz falsch verhalten haben?
Gregor Lange: Ja solche Fälle sind uns bekannt. Es gibt neben den vielen Polizistinnen und Polizisten, die tagtäglich beanstandungsfrei ihre Arbeit machen, immer auch Einzelfälle, in denen Polizeibeamte sich fehlverhalten. In solchen Fällen werden wir sowohl strafrechtliche Ermittlungen initiieren als auch disziplinarische Ermittlungen einleiten. Bei den Disziplinarverfahren sind das in den letzten drei Jahren pro Jahr 10 bis 12 Fälle gewesen.
Was tut die Dortmunder Polizei, um solche Fälle aufzuarbeiten?
Wenn solche Sachverhalte an uns herangetragen werden, geschieht das oftmals über eine Anzeige. Wenn dabei ein strafrechtlicher Vorwurf zutage tritt, beispielsweise ein Fehlverhalten in Form einer Körperverletzung, dann kommt es zu strafrechtlichen Ermittlungen, die eine dritte Behörde, für uns immer das Polizeipräsidium Recklinghausen, führt. Und es gibt die Einleitung disziplinarischer Ermittlungen, die für die Dauer des Strafverfahrens zunächst ausgesetzt werden und mit Abschluss des Strafverfahrens werden dann die entsprechenden Maßnahmen getroffen.
Sind Ihnen Fälle bekannt, in denen das Strafverfahren eingestellt wurde und das Disziplinarverfahren zu einer Strafe geführt hat?
So etwas kann es im Einzelfall geben, wenn ein Fehlverhalten unterhalb der Strafbarkeitsgrenze erkannt wird.
Was droht einem Polizisten in einem Disziplinarverfahren?
Das hängt vom Schweregrad des Dienstvergehens ab. Da gibt es von einer Missbilligung über eine Herabstufung bis hin zu einer Entfernung aus dem Dienst unterschiedliche Möglichkeiten der Sanktionierung, immer gemessen an der Schwere der Tat.
Sind Ihnen Fälle bekannt, in denen sich Polizisten der Dortmunder Polizei gegenseitig gedeckt oder falsche Angaben gemacht haben, um einen Kollegen vor Strafverfolgung zu schützen?
Wenn solche Fälle beweissicher bekannt würden, wären sie Anlass dafür, entsprechende Verfahren einzuleiten. Wenn solche Fehler bekannt würden, hätten wir das höchste Interesse daran, dass diese aufgeklärt werden. Das wäre dann eine Strafvereitelung im Amt. Aber dazu brauchen wir nicht Mutmaßungen sondern Fakten.
Und Ihnen sind keine Fälle bekannt, in denen solche Fakten vorliegen?
Mir liegen keine Fakten vor, die darauf hindeuten, aber das müsste ich im Einzelfall natürlich prüfen. Das kann ich Ihnen auf Anhieb jetzt nicht sagen.
Sind Ihnen Fälle bekannt, in denen ein Polizist oder eine Polizistin, die gegen einen Kollegen ausgesagt haben oder Fehlverhalten von Kollegen in irgendeiner Weise zur Kenntnis gebracht haben, dafür abgestraft worden sind – zum Beispiel durch Mobbing?
Solche Fälle sind mir nicht bekannt bei uns. Wenn es solch ein Fehlverhalten gäbe, ist es klar, dass man so etwas nicht dulden würde, sondern dass man auch dagegen vorgehen würde. Auch da gilt aber: Es kommt immer darauf an, ob wir einen solchen Sachverhalt tatsächlich haben oder ob es ein Gerücht ist – ob irgendetwas vorgetragen wird, was beweiskräftig ist.
Im Rahmen einer Studie von Professor Tobias Singelnstein an der Ruhr-Universität Bochum haben Polizisten häufig darauf hingewiesen, dass es informelle Repressalien gibt.
Ich bin fest davon überzeugt, dass das Gros unserer Polizeibeamten einen ordentlichen und guten Job macht und die Erwartungen und Dienstpflichten komplett erfüllt. Wenn das mal nicht der Fall sein sollte, ist mir wichtig, dass man das dann auch an die Behörden heranträgt. Handeln kann man erst dann, wenn Fehlverhalten an die richtigen Stellen getragen wird. Wir haben selbst ein großes Interesse daran, dass unsere Polizeibeamten ihre Dienstpflichten gewissenhaft erfüllen. Und zwar in alle Richtungen. Jede Beschwerde geht über meinen Schreibtisch und wird hier mit den personalzuständigen Mitarbeitern besprochen. Und würden sich dann Vorwürfe ergeben, würden wir einen Fall entweder zur strafrechtlichen Bewertung nach Recklinghausen abgeben oder prüfen ob darin Verdachtsmomente für einen Verstoß gegen beamtenrechtliche Dienstpflichten liegen.
Was ist ein „Widerstandsbeamter“?
Also den Begriff gibt es in meinen Augen nicht.
Was tut die Polizei Dortmund, um unangemessene Gewaltanwendung zu verhindern?
Wir haben entsprechende Frühwarnsysteme eingerichtet: Wir haben die Vorgesetztenebene von Wachleitern bis hin zu Direktionsleitern. Und wir haben seit geraumer Zeit auch einen Polizeibeauftragten, der Ansprechpartner für schwierige Sachverhalte ist, auch wenn Beamte selbst mal in Schwierigkeiten geraten. Eins müssen wir uns aber deutlich machen: Die Polizei arbeitet immer in einem Bereich, in dem es auch mal zu dem kommen kann, was man normalerweise als Körperverletzung bezeichnen würde, was aber dann in diesem Fall aufgrund der Ausübung des staatlichen Gewaltmonopols eine Rechtsgrundlage hat. Dabei muss natürlich geprüft werden, ob der Beamte auf Grund der Situation so einschreiten durfte, wie er eingeschritten ist, ob er dabei die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit beachtet hat, das heißt, hat er die Maßnahmen ergriffen, die notwendig, geeignet und erforderlich gewesen sind, hat der das mildeste Mittel gewählt. Auch auf diese Fragen achten Vorgesetzte.
Wir sprechen hier über einen Bereich, in dem Polizeibeamte zu Recht mit zwei Erwartungshaltungen der Öffentlichkeit konfrontiert sind. Zum einen mit der, konsequent einzuschreiten, wenn das erforderlich ist, um Menschen zu schützen – entweder dritte oder zur Eigensicherung des Polizeibeamten. Zum zweiten mit der, dass die Polizeibeamten sich rechtmäßig verhalten. Und beides muss erfüllt werden.
Es gibt es auch Delinquenten, die sozusagen als Gegenmaßnahme eine Anzeige gegen einen Polizeibeamten erstatten – um deutlich zu machen, dass der Polizeibeamte nicht rechtmäßig gehandelt hat. Das ist manchmal eine ausgesprochen schwierige Angelegenheit und bedarf einer rechtsstaatlichen Untersuchung durch die Stellen und Institutionen, die das mit möglichst großer Neutralität durchführen. Und in diese Stellen, ob es jetzt eine dritte Polizeibehörde ist, oder ob das die Staatsanwaltschaft ist, oder ob es ein unabhängiges Gericht ist, habe ich persönlich hohes Vertrauen.
Kriminologen der Ruhr-Universität Bochum äußern sich dahingehend, es gebe eine Bevorteilung der Polizei durch die Staatsanwaltschaften. Können Sie ungefähr einschätzen, wie viele Kontakte es zwischen Polizisten dieser Behörde und der Staatsanwaltschaft Dortmund im Monat gibt?
Ich finde diese Einlassung ausgesprochen merkwürdig. Wir leben in einem Rechtsstaat und haben verschiedene Institutionen, die genau damit beauftragt sind: herauszufinden, ob sich jemand strafwürdig verhalten hat oder nicht. Das ist die tagtägliche Aufgabe der neutralen Behörde Staatsanwaltschaft. Wenn es wissenschaftliche Studien gibt, die diese Neutralität anzweifeln und die durch Befragung von Personen belegt werden, die von polizeilichen Maßnahmen betroffen waren, dann würde ich die Frage stellen, ob in dieser Studie nicht ein gedanklicher Fehler angelegt ist. Ich wäre eher bei einer Lesart, zu sagen: Die hohen Einstellungsquoten sprechen nicht gegen die neutrale Amtsführung der Staatsanwaltschaft, sie sprechen eher dafür, dass die Polizeibeamten die im Einsatz tätig werden, das in der Regel rechtmäßig tun.
Auf meine eigentliche Frage haben Sie jetzt nicht geantwortet.
Ich halte die Frage für irrelevant, um ganz ehrlich zu sein. Es ist das Berufsbild der Staatsanwaltschaft, neutrale Ermittlungen zu führen. Das, was ich bisher aus der Studie entnommen habe, war eine – wie ich finde – für wissenschaftliche Ansprüche doch recht pauschale Unterstellung. Ich wüsste nicht, wo es dafür Belege gibt. Das sind aus meiner Sicht gefährliche Mutmaßungen, die die Qualität einer gesamten Behörde in Frage stellen. Und das halte ich unter den gegebenen Bedingungen für nicht zulässig.
Wie müsste denn so ein Beleg aussehen?
Also aus meiner Sicht ist es immer schlecht, mit Unterstellungen zu arbeiten. Man braucht zumindest mal ein paar Tatsachen, die zeigen: Wir haben Fälle, in denen das so gelaufen ist. Und dann müsste man das näher belegen.
Gibt es Ihrer Wahrnehmung nach einen Anstieg der Ablehnung gegenüber Polizeibeamten?
Polizeibeamte werden in bestimmten Einsätzen angegangen, beleidigt, bespuckt, auch handgreiflich angegriffen. Was die Strafverfahren angeht, gibt es in diesem Bereich seit einigen Jahren steigende Zahlen. Das korrespondiert übrigens mit steigenden Zahlen von Angriffen auf andere Berufsgruppen, die im öffentlichen Raum unterwegs sind. Zum Beispiel Feuerwehrleute oder auch Notärzte.
Geht damit auch ein Anstieg der Konflikte in Einsatzsituationen einher?
Von einem Polizisten erwarten wir, dass er konsequent vorgeht. Wir erwarten aber ohne Abstriche ebenfalls, dass das auf rechtsstaatlicher Grundlage passiert. Dass sich die Polizei Respekt verschafft und mit null Toleranz gegen bestimmte kriminelle Strukturen vorgeht, heißt auf gar keinen Fall, dass das unter Ausschaltung des rechtsstaatlich gebotenen Verhaltens passieren darf. Da habe ich auch als Polizeipräsident ein großes Interesse daran. Was die Bekämpfung von Kriminalität angeht, stehen wir viel besser da, als das öffentliche Bild manchmal vermuten lässt. Im Bereich des Respekts gegenüber Amtsträgern haben wir, glaube ich, eine Entwicklung, die zur Sorge Anlass gibt. Ich denke, in bestimmten Bereichen, gerade im Bereich der Clan-Kriminalität, sind Anzeigen gegen Polizisten auch ein Mittel, um Einsätze der Polizei in den Bereich der Rechtswidrigkeit zu bringen. Ich sage ausdrücklich nicht, dass solche Anzeigen von vornherein falsch sind. Da müssen wir aber genau hingucken.
Halten Sie das Vorgehen im Fall Matthias Zwillenberg für verhältnismäßig?
Dort waren Kollegen unterwegs, die damit beschäftigt waren, Straßenkriminalität zu ahnden, die in dem Bereich zahlenmäßig relevant vorkommt. Man hat dann jemanden angetroffen, der mit seinem gesamten Auftritt vor Ort den Eindruck bei den Kollegen ausgelöst hat, dass er als Täter eines Autoaufbruchs in Frage kommt. Man hat dann direkt entsprechende Maßnahmen getroffen. Das war seinerzeit für uns durchaus auch ein Fall von Fehlverhalten. Deswegen sind ja auch entsprechende Ermittlungen angestellt worden und es ist sogar eine Anklage erhoben worden.
Wenn Sie den gesamten Themenkomplex, den wir jetzt besprochen haben betrachten, finden Sie, dass da alles zu Ihrer vollen Zufriedenheit läuft oder gibt es Maßnahmen, vielleicht auch politische Entscheidungen, die Sie sich wünschen würden, um die Aufarbeitung von Fehlverhalten von Polizisten zu verbessern?
Ich bin der Überzeugung, dass wir mit Strafverfahren über die neutrale Behörde Staatsanwaltschaft, Anfangsermittlungen über eine neutrale Polizeibehörde und gegebenenfalls einem unabhängigen Gericht gut aufgestellt sind. Das nennt man klassischerweise Rechtstaat. Und in dem leben wir seit einiger Zeit sehr erfolgreich.
Was den anderen Teil anbelangt: Es ist auch eine Frage der Vertrauenskultur – auch zu Vorgesetzten. Es ist wichtig, dass man einen Ansprechpartner hat, zu dem man auch wenn es mal schwieriger wird, hingehen kann, damit man nicht in die Falle tappt, bestimmte Dinge möglichst unter den Teppich zu kehren, sondern damit so offen wie es irgendwie geht umgeht. Deswegen haben wir auch unseren Polizeibeauftragen installiert, der übrigens in seiner vorherigen Tätigkeit selbst als Ermittler in solchen Amtsdelikten tätig war. Sie können davon ausgehen: Wenn es irgendwo nicht rund läuft, dann haben wir ein großes Aufklärungsinteresse daran.
Geboren in Dortmund. Als Journalist gearbeitet in Köln, Hamburg und Brüssel - und jetzt wieder in Dortmund. Immer mit dem Ziel, Zusammenhänge verständlich zu machen, aus der Überzeugung heraus, dass die Welt nicht einfacher wird, wenn man sie einfacher darstellt.
