„Hansa muss leben!“ Als Huckarde seine Zeche verteidigte

Großdemo vor 50 Jahren

Es war eine Demonstration, die in die Wirtschaftsgeschichte einging: 15.000 Menschen protestierten am heutigen Samstag vor 50 Jahren, am 21. Oktober 1967, gegen die überraschend angekündigte Schließung der Zeche Hansa. Die Demo wurde ein spektakulärer Erfolg - und gab den Anstoß für die Gründung eines Industriegiganten.

HUCKARDE

von Oliver Volmerich

, 20.10.2017, 17:55 Uhr / Lesedauer: 5 min
15000 Menschen kamen zum Protest am 21. Oktober 1967 auf den Huckarder Marktplatz.

15000 Menschen kamen zum Protest am 21. Oktober 1967 auf den Huckarder Marktplatz. © Foto: Fotoarchiv Ruhr Museum

Was für ein Morgen. „Vater steh auf, Dein Pütt wird dichtgemacht.“ So wurde Heinz Krüger, Betriebsratsvorsitzender der Zeche Hansa, am 13. Oktober 1967 von seiner Frau geweckt. Es war ein Freitag, der 13., an dem die geplante Schließung der Zeche Hansa in Huckarde offiziell verkündet wurde. Ein Tag, der als „Schwarzer Freitag“ in die Geschichte Huckardes eingehen sollte.

Im Gegensatz zu seiner Frau war Krüger allerdings schon vorgewarnt. Zwei Tage vorher hatte er vom Beschluss des Vorstands des Gelsenkirchener Bergwerksvereins erfahren, die Zechen Hansa in Huckarde und Pluto in Wanne-Eickel dichtzumachen. Und Krüger war mit anderen Gewerkschaftern schon aktiv geworden. Gemeinsam hatten sie NRW-Arbeits- und Sozialminister Werner Figgen alarmiert.

Erdöl setzte Kohle unter Druck

Sorgen um den Bergbau musste man sich schon länger machen. Schon ab Ende der 50er-Jahre waren immer mehr Zechen geschlossen oder zusammengelegt worden. Hansa hatte 1956 die Zeche Westhausen in Bodelschwingh und zehn Jahre später Adolf von Hansemann in Mengede übernommen. Erdöl wurde zunehmend zur Konkurrenz für die deutsche Steinkohle, der Kohleabsatz stockte, die Halden wuchsen.

Und der Staat zahlte Stilllegungsprämien für unrentable Bergwerke. Die Folge: Zwischen 1958 und 1967 hatte sich die Zahl der Bergleute in Dortmund schon halbiert. Allein im ersten Halbjahr 1967 war die Zahl der Kumpel in der Stadt um 1703 auf 25.053 Beschäftigte gesunken. Die Steinkohlenförderung in Dortmund war in diesem halben Jahr um 14,3 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum eingebrochen.

Schließungsbeschluss traf Bergleute völlig unerwartet

Trotzdem traf der Schließungsbeschluss für ihre Zeche die 3400 Bergleute in Huckarde völlig unerwartet. Für 1966 war für Hansa noch ein Gewinn von 3,6 Millionen D-Mark ausgewiesen worden. Jetzt bezeichnete der Aufsichtsrat der Gelsenkirchener Bergwerks AG Hansa als unrentabelstes Bergwerk des Unternehmens. Die Förderkosten pro Tonne lägen um 3,50 DM über dem Durchschnittspreis der anderen Zechen. Und die Kohle sei zur Verkokung, also zur Koksherstellung, schlecht geeignet.

Am Freitag, dem 13., verbreitete sich die Nachricht vom drohenden Aus von Hansa wie ein Lauffeuer in Huckarde. Die Frühschicht versammelte sich spontan im Kasino der Zeche. Die Stimmung war explosiv. „Das ganze Ruhrgebiet soll in Flammen stehen“, die Autobahnen sollten „stillgelegt werden“, hieß es. Damit „die in Düsseldorf und Bonn“ wach werden. Beschlossen wurde eine große Kundgebung für den 21. Oktober, einem Samstag.

35.000 Flugblätter wurden verteilt, Kinder bekamen schulfrei

Die Mobilisierung war breit angelegt. Geschäftsleute und Bürger in Huckarde waren alarmiert. Überall in der Stadt klebten Plakate mit dem Motto „Hansa muss leben“, 35.000 Flugblätter wurden verteilt, für die Kinder in Huckarde sollte es schulfrei geben, die meisten Läden im Stadtteil blieben geschlossen. Ein „Aufmarschplan“ war erarbeitet worden. Denn auch die Kumpel der ebenfalls von der Schließung bedrohten Zeche Pluto in Wanne-Eickel und aus anderen Bergbau-Städten sollten nach Dortmund kommen.

Aus drei Richtungen – aus Bövinghausen, Rahm und von der Zeche Hansa aus – sollten die Marschsäulen zum Huckarde Marktplatz ziehen. Für den Marsch aus Richtung Westen waren 3000 Teilnehmer erwartet worden. Am Morgen des 21. Oktober waren es dann fast 8000 Demonstranten. Den Marsch aus Westerfilde führte der Westerfilder Pastor Siegfried Ecke im wallenden Talar an, Anwohner standen Spalier.

„Wenn Hansa stirbt, stirbt Huckarde“

Auf dem Huckarder Marktplatz waren es 15.000 Demonstranten – nicht in Bergmanns-Kluft, sondern meist mit Anzug und Krawatte. „Man wollte wohl den Stolz der Bergleute zeigen und zum Ausdruck bringen, wie ernst die Sache war“, erklärt Gewerkschafter Gerhard Hendler, Vorsitzender der Hansa-Gesellschaft für Industriekultur. „Kumpel in Not – Ruhrgebiet wird rot“, „Wir Kumpel zogen die Karre aus dem Dreck, jetzt nimmt man uns die Arbeit weg“, stand auf Transparenten.

Auf der Bühne standen neben den Gewerkschaftern der IG Bergbau die Oberbürgermeister von Dortmund und Oberhausen, Dietrich Keuning und Luise Albertz. Und Ministerpräsident Heinz Kühn. Er wurde mit Pfiffen und „Kühn und Schiller – Zechenkiller“-Sprechchören empfangen, fand aber die richtigen Worte, um die Stimmung zu drehen. „Wenn Hansa stirbt, stirbt Huckarde“, stellte Kühn fest und versprach, sich für die Sorgen der Kumpel einzusetzen. „Es darf keine Stilllegung geben, so lange es nicht neue, gleichwertige Arbeitsplätze gibt.“

Schließung wird erst aufgeschoben und dann ganz aufgehoben

Einen Effekt hatte die eindrucksvolle Demonstration auf jeden Fall. Die explosive Stimmung war eingedämmt. Alles blieb friedlich, bilanzierten die Ruhr Nachrichten. „Niemand legte, wie angekündigt, die Autobahn lahm, niemand ließ die Dämme angestauten Volkszorns bersten.“ Dass ihr Protest tatsächlich politisch Wirkung haben sollte, konnten die Demonstranten am 21. Oktober noch nicht ahnen.

Am 25. Oktober, nur vier Tage nach der Huckarder Demo, beschloss der Aufsichtsrat der Gelsenkirchener Bergwerks AG, die Entscheidung über die für den 1. März 1968 vorgesehene Schließung der Zechen Hansa und Pluto bis zum Jahresende zurückzustellen. Später wurde der Beschluss dann ganz aufgehoben – nicht zuletzt aufgrund neuer politischer Rahmenbedingungen.

Demo war Anstoß zur Gründung der RAG

Denn auch in die politsche Diskussion um die Zukunft des Steinkohle-Bergbaus kam durch die Demo in Huckarde Bewegung. Vor allem in Karl Schiller, Wirtschaftsminister in der damals im Bund regierenden Großen Koalition aus CDU und SPD, fanden die Bergleute einen Unterstützer. Von ihm ist der Satz überliefert: „Mit der Demonstration in Huckarde haben uns die Bergleute den Knüppel in die Hand gegeben, den wir zur Gründung der Einheitsgesellschaft brauchen.“

Diese Einheitsgesellschaft war von den Gewerkschaftern schon seit langer Zeit gefordert worden. Jetzt wurde ernsthaft darüber debattiert – unter anderem bei einer energiepolitischen Debatte im Bundestag am 8. November 1967, die Betriebsratsmitglieder der Zeche Hansa auf der Zuhörertribüne im Bonner Parlament verfolgten.

Am 15. Mai 1968 beschloss der Bundestag das „Gesetz zur Anpassung und Gesundung des deutschen Steinkohlebergbaus und der deutschen Steinkohlebergbaubetriebe“. Es war Grundlage für die Gründung der Ruhrkohle AG (RAG) am 27. November 1967. In ihr kamen 80 Prozent der deutschen Steinkohlezechen und 19 (später 25) von 29 bis dato selbstständigen Bergbau-Unternehmen zusammen.

Letzte Huckarder Kohle wurde 1980 gefördert

Die Zeche Hansa kam ebenfalls unter das Dach der RAG. 1973 stand der Betrieb erneut zur Disposition – bis 1975 beschlossen wurde, das Bergwerk als „Hydrogrube“ im Rahmen eines Forschungsprojekts weiterzuführen. Dabei wurde Kohle, die mit herkömmlichen Maschinen nur schwer abzubauen war, mithilfe von Hochdruck aus dem Gebirge gelöst. 113 Millionen Mark wurden in den Umbau investiert.

Zum 1. Oktober 1977 wurde die konventionelle Kohleförderung eingestellt. Es war aber nur ein Weiterbetrieb auf Zeit. Mit Ablauf des Forschungsprojekts wurde am 30. Mai 1980 beschlossen, Hansa endgültig stillzulegen. Ende November 1980 wurde in Huckarde die letzte Kohle gefördert.

Auf dem Zechengelände entstand ein Gewerbepark

Den Tod von Huckarde bedeutete das allerdings nicht. Auf dem Zechenareal entstand ein Gewerbepark. An die Bergbau-Vergangenheit erinnern heute noch das denkmalgeschützte Fördergerüst, über das bis Juni 2014 noch Grubenwasser gepumpt wurde, die „Alte Schmiede“, die als Veranstaltungszentrum für Huckarde genutzt wird, und das zu einem Bürogebäude umgebaute ehemalige Schalthaus.

Und die 1992 stillgelegte Kokerei Hansa ist als „begehbares Denkmal“ inzwischen ein Ankerpunkt auf der Route der Industriekultur.

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