Rudolf Mintrop, Ex-Chef des Klinikums Dortmund, kann seine Zeit im Klinikum Oldenburg endgültig hinter sich lassen. Das Landgericht sprach ihn vom Vorwurf der Beihilfe zur Tötung durch Unterlassen frei. Dabei ging es um Todesfälle im Jahr 2001 im Klinikum Oldenburg, wo Mintrop seinerzeit Geschäftsführer war.

Rudolf Mintrop, Ex-Chef des Klinikums Dortmund, kann seine Zeit im Klinikum Oldenburg endgültig hinter sich lassen. Das Landgericht sprach ihn vom Vorwurf der Beihilfe zur Tötung durch Unterlassen frei. Dabei ging es um Todesfälle im Jahr 2001 im Klinikum Oldenburg, wo Mintrop seinerzeit Geschäftsführer war. © dpa/Menne, Montage: Ruhland

Freispruch für Rudolf Mintrop – aber klare Worte zu schweren Fehlern

rnMintrop-Prozess

Das Urteil gegen Rudolf Mintrop, Ex-Chef des Klinikums Dortmund, ist gefallen. Das Landgericht Oldenburg sprach ihn vom Vorwurf der Beihilfe zur Tötung durch Unterlassen frei, prangerte aber Fehler an.

Dortmund; Oldenburg

, 13.10.2022, 17:19 Uhr / Lesedauer: 3 min

Nach 29 Verhandlungstagen endete der Prozess gegen Rudolf Mintrop, der acht Jahre lang bis Ende 2021 das Klinikum Dortmund geleitet hatte, vor dem Landgericht Oldenburg mit einem Freispruch. Auch seine sechs Mitangeklagten aus den Kliniken Oldenburg und Delmenhorst wurden am Donnerstag (13. Oktober) freigesprochen, wie dies auch die Staatsanwaltschaft beantragt hatte.

Die Anklage hatte Mintrop vorgeworfen, im November 2001 drei Morde des verurteilten Serienmörders Niels Högel im Klinikum Oldenburg nicht verhindert zu haben, weil er Alarmzeichen ignoriert habe. Mintrop war seinerzeit dort Geschäftsführer. Juristisch lautete der Vorwurf auf „Beihilfe zur Tötung durch Unterlassen“.

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In der Anklage ging es um drei Morde, für die Högel 2019 rechtskräftig verurteilt worden war – übrigens vom Vorsitzenden Richter Sebastian Bührmann, der auch diesen Prozess geleitet hat. Trotz dieser Verurteilung musste im aktuellen Prozess die Täterschaft von Högel erneut nachgewiesen werden, denn: Ohne einen Täter Högel hätte es keine Beihilfe durch Mintrop und andere geben können.

In einem Todesfall kam das Gericht zur Überzeugung, dass Högel die Tat nicht nachgewiesen werden könne. Dieser Fall fiel also weg. Verblieben zwei Todesfälle, in denen das Gericht – anders als die Verteidigung – die Täterschaft Högels als erwiesen angesehen hat.

Deshalb ging es bei der Urteilsfindung um die Frage: Hätten Mintrop und seine Mitangeklagten von den beiden Tötungen des Niels Högel wissen können und haben sie mit diesem Wissen diese Tötungen bewusst in Kauf genommen? Haben sie also vorsätzlich gehandelt? Das aber, so Richter Bührmann, schließe das Gericht definitiv aus:

„Keiner der Angeklagten hat vorsätzlich gehandelt“, sagte Bührmann. Es handle sich also nicht um einen „Freispruch aus Mangel an Beweisen“, vielmehr gebe es nach Auffassung des Gerichts strafrechtlich keine Schuld der Angeklagten.

Misstrauen gegen Högel „markant“

Das bedeute allerdings nicht, dass es keine Fehler gegeben habe. Im Gegenteil. Daran ließ Bührmann nicht den geringsten Zweifel. Högels Auffälligkeiten, sein Ruf, das Gerede, das Misstrauen gegen ihn seien den Verantwortlichen „natürlich bekannt“ gewesen, sagte er. Dieses Misstrauen gegen ihn sei so „markant“ gewesen, dass es schließlich dazu geführt habe, das Högel im September 2002 das Klinikum Oldenburg habe verlassen müssen. Bührmann sprach von einem „Rausschmiss“: Man habe „diese Laus aus dem Pelz“ loswerden wollen.

Dass dieses „schwer fassbare Misstrauen“ die Vorgesetzten nicht zum Einschalten der Staatsanwaltschaft veranlasst habe, sei zwar eher als fahrlässig und nicht als vorsätzlich zu bewerten. Allerdings: „Die nicht korrekte Fehleraufbereitung ist ein Vorwurf, dem sich die hier Angeklagten stellen müssen, wenn auch nicht in strafrechtlicher Hinsicht.“

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Fahrlässigkeits-Straftaten seien längst verjährt – fahrlässige Tötung oder fahrlässige Körperverletzung verjähren bereits nach fünf Jahren, sagte Bührmann. Eine Verurteilung für solche Delikte sei daher nicht in Betracht gekommen.

Prozess mehr als 20 Jahre später

Dass erst mehr als 20 Jahre nach den Taten der aktuelle Prozess geführt wurde, hängt auch mit gravierenden Fehlern bei der Staatsanwaltschaft zusammen, denn: Bereits 2005 war Högel im Klinikum Delmenhorst auf frischer Tat ertappt und dafür 2007 zu sieben Jahren Haft wegen versuchter Tötung verurteilt worden.

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Hier übte Bührmann auch deutliche Kritik am eigenen Berufsstand. Ein Staatsanwalt sei dafür verantwortlich, dass Ermittlungen gegen Högel sechs Jahre und zwei Monate verschleppt worden seien. Richtig ins Rollen kamen die Ermittlungen zur monströsen Mordserie von Högel erst 2013 durch eine neue Staatsanwältin und durch die Gründung der Sonderkommission „Kardio“ 2014. Sie führte schließlich in mehreren Prozessen zur Verurteilung von Högel wegen 87-fachen Mordes zu lebenslanger Haft.

In seinem Plädoyer hatte der Verteidiger von Rudolf Mintrop, Rechtsanwalt Alexander S.K. Gruner, gesagt: „„Herr Mintrop hatte nie einen Vorsatz, Herrn Högel bei seinen Morden zu helfen. Er hat sie nicht einmal für möglich gehalten.“ Gruner verwies auf das psychologische Phänomen des „Rückschau-Fehlers“: Mit dem Wissen von heute sei klar und unbestritten, dass der Krankenpfleger Niels Högel 2002 eine Gefahr dargestellt habe. Mit dem Wissen von damals sei das allerdings ganz und gar nicht so gewesen, sagte er.

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In seinem Plädoyer hatte Gruner auch harsche Kritik an der Berichterstattung über diesen Prozess geübt. Er sprach von einer „nicht hinnehmbaren, emotionalen Beeinflussung der Öffentlichkeit“ und griff dabei direkt unseren Verlag und den Autor dieser Zeilen an.

Ein bisher einzigartiges Verfahren

Mit diesen Urteilen endet ein in Deutschland bisher einzigartiges Verfahren. Erstmals mussten sich Vorgesetzte eines Pflegers oder einer Pflegerin für von diesen begangene Taten verantworten. Dabei hat es immer wieder Tötungen in Kliniken gegeben, wie Dr. Karl H. Beine, emeritierter Professor der Uni Witten-Herdecke, in mehr als 30 Jahren erforscht hat.

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Beine hat auch diesen Prozess verfolgt. Für ihn steht fest: Trotz eines Freispruchs ist das Verfahren ein Erfolg. Erstmals sei deutlich geworden, dass Vorgesetzte zur Verantwortung gezogen werden können, wenn sie Verdachtsmomente in ihren Kliniken ignorieren.

Bührmann sagte, die Freisprüche seien „keine Niederlage der Justiz. Der Rechtsstaat hat gewonnen“, und weiter: In diesem Prozess gebe es nur Verlierer, die Angehörigen der Opfer, alle Verfahrensbeteiligten. „Dieses Verfahren lässt uns alle traurig zurück.“

Übrigens: In seinem letzten Wort hatte Rudolf Mintrop den einzigen wirklichen Satz während des ganzen Prozesses gesagt. „Ich bin froh, wenn es zu Ende ist.“

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