
Im Prozess gegen Dortmunds ehemaligen Klinik-Chef Rudolf Mintrop hat die Staatsanwaltschaft gestern Freispruch für ihn und seine sechs Mitangeklagten gefordert. Zugleich aber hat sie schwerste Vorwürfe gegen Mintrop in seiner Eigenschaft als Geschäftsführer des Klinikums Oldenburg im Jahr 2001 erhoben. © dpa, Menne
Telefon-Mitschnitte erhärten schwerste Vorwürfe – trotzdem Freispruch für Rudolf Mintrop gefordert
Mintrop-Prozess
Rudolf Mintrop, Ex-Chef des Klinikums Dortmund, ist wegen Beihilfe zur Tötung durch Unterlassen in drei Fällen angeklagt. Die Staatsanwaltschaft hat nun einen Freispruch gefordert. Zugleich erhob sie schwerste Vorwürfe gegen Mintrop.
Eigentlich hätte das ein guter Tag sein müssen für Dortmunds Ex-Klinik-Chef Rudolf Mintrop. Im Prozess vor dem Landgericht Oldenburg forderte Staatsanwältin Gesa Weiß am Mittwoch (12.11.) für ihn einen Freispruch vom Vorwurf der Beihilfe zum Mord durch Unterlassen. In ihrem Plädoyer machte sie aber auch klar: Mintrop verhinderte, dass die Polizei eingeschaltet wurde, als andere Verantwortliche der Klinik Oldenburg genau das tun wollten.
So habe Niels Högel, der mutmaßlich größte Serienmörder der deutschen Nachkriegsgeschichte, in den Kliniken Oldenburg und Delmenhorst weiter morden können.
Mintrop muss sich für der Beihilfe zur Tötung durch Unterlassen in drei Fällen im Klinikum Oldenburg verantworten. Diese ereigneten sich im November 2001, als Mintrop dort Geschäftsführer war. Mit ihm stehen sechs weitere Verantwortliche aus den Kliniken Oldenburg und Delmenhorst vor Gericht, die sich ebenfalls wegen der Beihilfe zur Tötung durch Unterlassen verantworten müssen. Auch für sie beantragte die Staatsanwältin einen Freispruch.
Noch vor ihrem Plädoyer überraschte die Staatsanwältin am Mittwoch mit dem Vorspielen von zwei von der Staatsanwaltschaft abgehörten Telefonaten vom April 2018. In ihnen hatte Bernd N., der zum Zeitpunkt der Högel-Morde Stationspfleger auf der Station 211 war und jetzt ebenfalls angeklagt ist, gegenüber einem Bekannten und seiner Mutter für Mintrop erheblich Belastendes berichtet.
Mintrop: „Jetzt reicht`s aber. Wir haben keine Beweise.“
Am Telefon erzählte N. unter anderem von einer Strichliste, die er auf Anweisung des damaligen und jetzt ebenfalls angeklagten Chefarztes der Herzchirurgie geführt habe. Diese Liste habe gezeigt, dass sich immer dann, wenn Niels Högel Dienst hatte, die Zahl der Reanimationen und Todesfälle auffällig gehäuft hätten.
Diese Liste, so berichtet N. in dem Telefonat, habe er bei einem Gespräch, an dem unter anderem der Chefarzt, die Pflegedienstleiterin und eben Geschäftsführer Rudolf Mintrop teilgenommen hätten, vorgelegt. Er habe die Liste mit den Worten kommentiert: „Jetzt müssen wir aber die Polizei einschalten“. Da sei, so erzählt N. in dem Telefonat, Rudolf Mintrop mit den Worten eingeschritten: „Jetzt reicht’s aber. Was soll das? Wir haben keine Beweise.“
Damit sei das Thema abgehakt gewesen, sagte Staatsanwältin Gesa Weiß. „Es wurde nicht weiter nachgehakt.“ Der Chefarzt habe „den richtigen Riecher gehabt“, als er die Liste in Auftrag gegeben habe. Der Stationspfleger Bernd N. sei misstrauisch geworden und sei gewillt gewesen, den Gerüchten und Vermutungen nachzugehen. Dabei sei er gestoppt worden: von Rudolf Mintrop. Dass nichts weiter geschehen sei, schrieb die Staatsanwältin dem im Krankenhaus herrschenden „hierarchischen System“ zu.
Zum Stillschweigen verdonnert
Über die Inhalte dieses Gesprächs, von dem in dem Telefonat die Rede war, und anderer Gespräche – etwa mit dem Betriebsrat – habe Mintrop die Teilnehmer zum Stillschweigen verdonnert, um nicht den Ruf der Klinik zu beschädigen. Aufgrund dieses Maulkorbs hätten die Verantwortlichen geschwiegen.
Die Folge: Högel wurde im Dezember 2001 auf eine andere Station versetzt. Nach weiteren Verdachtsfällen verließ Högel schließlich im September 2002 die Klinik Oldenburg. Seinerzeit seien sich, so die Staatsanwältin, die Kinik-Verantwortlichen einig gewesen, dass Högel nicht mehr am Patienten arbeiten dürfe. Daraufhin wechselte Högel mit einem guten, von Mintrop unterschriebenen Zeugnis nach Delmenhorst, wo er bis zu seinem ersten Auffliegen 2005 weiter mordete. 2019 wurde Högel für 85 Morde rechtskräftig verurteilt, 31 davon in Oldenburg begangen.
„Mintrop hat im September 2002 entschieden, einen gefährlichen Pfleger, das faule Ei, weiterzureichen“, sagte Gesa Weiß. Die Staatsanwältin verglich dieses Verhalten mit den Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche, wofür sie von der Verteidigung harsch kritisiert wurde.
Niels Högel verurteilt für Mord, der jetzt „nicht nachweisbar“ ist
Die Staatsanwältin stellte in ihrem Plädoyer klar, dass die Hauptverhandlung ergeben habe, dass einer der drei Morde von Oldenburg, um die es jetzt geht, Högel nicht nachgewiesen worden sei – obwohl er dafür rechtskräftig verurteilt wurde.
Allerdings könne man Mintrop auch für die beiden verbliebenen Morde strafrechtlich nicht zur Verantwortung ziehen. Um ihn wegen einer strafbaren Beihilfe an einer vorsätzlichen Tötung verurteilen zu können, hätte man ihm nachweisen müssen, dass er zum einen mit hoher Wahrscheinlichkeit davon habe ausgehen müssen, dass Högel tatsächlich Patienten manipuliert, zum anderen, dass er dies billigend in Kauf genommen habe.
Dieser Nachweis aber sei nicht gelungen. Man habe in der Klinik ein ungutes Gefühl gehabt und sei misstrauisch gewesen, aber die Wahrscheinlichkeit, dass Högel tötet, habe man seinerzeit noch nicht als reale, große Gefahr eingestuft. Zudem sei nicht nachzuweisen gewesen, dass Mintrop eine solch tödliche Konsequenz gebilligt habe. Daher sei kein Vorsatz nachweisbar. Deshalb müsse er freigesprochen werden.
„Es sind massive Fehler gemacht worden“
„Es sind massive Fehler gemacht worden und auf Verdachtsmomente ist falsch reagiert worden“, sagte Staatsanwältin Gesa Weiß. „Einzelne Angeklagte haben Schuld auf sich geladen, das aber ist nicht justiziabel“. Gleichwohl machte sie Mintrop im Laufe ihres Plädoyers heftige Vorwürfe.
„Högel war schon zu einem frühen Zeitpunkt zur Chefsache gemacht worden“, sagte Weiß. Es sei keinesfalls so, dass Mintrop sich darauf zurückziehen könne, dass er am wenigsten eingebunden gewesen sei. Das müsse man sich mal vorstellen: „Ein Pfleger wird zur Chefsache!“
Mintrop sei derjenige gewesen, der Ermittlungen gegen Högel verhindert habe. Er sei auch beteiligt gewesen am faktischen Rauswurf Högels aus der Klinik, wobei man dies mit einem „gestörten Vertrauensverhältnis“ begründet habe. Auf die gegen Högel gerichteten Verdachtsfälle habe man ihn zu keinem Zeitpunkt angesprochen: „Warum nicht?“, fragte die Staatsanwältin.
Sie ging sogar noch einen Schritt weiter. Auch als Högel 2005 in Delmenhorst auf frischer Tat ertappt worden war, habe Mintrop geschwiegen und nicht über die Verdachtsfälle in Oldenburg berichtet. „Natürlich hat Mintrop das mitbekommen und geschwiegen“, sagte Gesa Weiß. Strafrechtlich habe Mintrop keine Schuld auf sich geladen. Moralisch dagegen, daran ließ sie keine Zweifel, sehe die Sache anders aus.
Am Donnerstag (13.12.) haben Mintrops Verteidiger das Wort. Das Urteil wird für den 25. Oktober erwartet.
Ulrich Breulmann, Jahrgang 1962, ist Diplom-Theologe. Nach seinem Volontariat arbeitete er zunächst sechseinhalb Jahre in der Stadtredaktion Dortmund der Ruhr Nachrichten, bevor er als Redaktionsleiter in verschiedenen Städten des Münsterlandes und in Dortmund eingesetzt war. Seit Dezember 2019 ist er als Investigativ-Reporter im Einsatz.
