„Wochenende des Grauens“ könnte Rudolf Mintrop zum Verhängnis werden

© Menne/dpa (Archivbild)

„Wochenende des Grauens“ könnte Rudolf Mintrop zum Verhängnis werden

rnProzess gegen Ex-Klinikum-Chef

Wird Rudolf Mintrop, Ex-Chef des Klinikums Dortmund, wegen Beihilfe zum Mord verurteilt? Entscheidend dafür könnten Tage des Horrors sein, die Mintrops damaliges Klinikum in Oldenburg 2001 erlebte.

Dortmund; Oldenburg

, 30.03.2022, 04:35 Uhr / Lesedauer: 3 min

Das Wochenende zwischen dem 14. und 16. September 2001 dürfte eine große Rolle spielen, wenn am Ende ein Urteil im Prozess vor dem Landgericht Oldenburg gegen Rudolf Mintrop, Ex-Geschäftsführer des Klinikums Dortmund, gesprochen wird.

Es geht um die Tage im Klinikum Oldenburg, die später als „Wochenende der Reanimationen“ oder auch als „Horror-Wochenende“ in die Akten von Polizei und Justiz Eingang finden sollen.

Zu dieser Zeit war Mintrop Geschäftsführer des Klinikums Oldenburg. Deshalb muss er sich jetzt wegen Beihilfe zur Tötung durch Unterlassen in drei Fällen verantworten. Begangen hat die Taten der rechtskräftig verurteilte Serienmörder Niels Högel. Er begann seine Mordserie am Klinikum Oldenburg zu der Zeit, als Mintrop dort das Sagen hatte.

Auf einer Station in zwei Nächten acht Reanimationen

In den beiden September-Nächten des Jahres 2001 wurden nach den polizeilichen Ermittlungen auf der kardio-chirurgischen Intensivstation des Klinikums Oldenburg fünf Patienten insgesamt achtmal reanimiert. Vier dieser Patienten starben noch in den beiden Nächten, der fünfte eine Woche später.

Als Zeuge im Mintrop-Prozess räumte Niels Högel vor Gericht ein, dass er an diesem Horror-Wochenende Patienten „manipuliert“, oder – wie es der Vorsitzende Richter Sebastian Bührmann ausdrückte – „vergiftet“ hat. Das treffe allerdings nicht auf alle Fälle zu.

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Die für Mintrop zentrale Frage lautet: Hat er als Geschäftsführer der Klinik davon gar nichts mitbekommen? Oder hat er Verdacht geschöpft, aber keine Handlungsnotwendigkeit erkannt? Oder hat er Verdacht geschöpft, aber aus Furcht vor einem Imageverlust der Klinik geschwiegen?

In der Anklageschrift, die unserer Redaktion vorliegt, werden zahlreiche Zeugen zitiert, die sich auch noch mehr als zehn Jahre später mit Schrecken an das tödliche September-Wochenende des Jahres 2001 erinnern.

Ein gescheiterter Versuch eines Mintrop-Verteidigers

Eine Zeugin spricht davon, es sei „grauenvoll gewesen“, ein anderer erinnert sich an einen „schlimmen Dienst“. Ein Arzt berichtet, dass an diesen Tagen „ein Patient nach dem anderen gestorben“ sei. Wieder ein anderer Zeuge erzählt den Behörden, dass er so viele Reanimationen in kurzer Zeit weder vorher noch nachher jemals erlebt habe.

Zeugenaussagen, die einem der vier Verteidiger Mintrops offensichtlich so gar nicht gefallen. Bei der Befragung von Niels Högel im Zeugenstand versucht er, ihn – letztlich vergeblich – dazu zu bringen, die Geschehnisse dieses Wochenendes zu relativieren.

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Der Hintergedanke: Wenn es durchaus vorkommt, dass auf einer herzchirurgischen Station in kurzer Zeit mehrere Menschen sterben, besteht keine Veranlassung, einen ungeheuren Verdacht zu entwickeln und Alarm zu schlagen. Ein solcher Gedankengang würde Mintrop entlasten, doch Högel macht dem Verteidiger einen Strich durch die Rechnung.

Er erinnere sich sehr wohl an dieses außerordentlich ungewöhnliche Wochenende und erzählt Details. Etwa, dass der Stationsarzt irgendwann völlig frustriert gesagt habe, er rufe jetzt nicht schon wieder Angehörige an, um ihnen eine Todesnachricht zu überbringen.

Högels Name tauchte 18 Mal auf Strichliste auf

Fest steht, dass dieses „Horror-Wochenende“ Konsequenzen hatte. Der damalige Chefarzt der Herzchirurgie, Professor D., beauftragte N., seinerzeit leitender Pfleger auf der Station 211, auf der die Morde geschahen, mit der Erstellung einer Liste. Beide müssen sich jetzt mit Rudolf Mintrop ebenfalls für die Taten in Oldenburg wegen Beihilfe zur Tötung durch Unterlassen verantworten.

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Auf der Liste sollte eine Statistik geführt werden: Bei Reanimationen und/oder Todesfällen sollte festgehalten werden, welche Pflegekräfte zum fraglichen Zeitpunkt Dienst hatten. Diese Strichliste wurde jetzt im Mintrop-Prozess vorgelegt. Das Ergebnis: 18 Mal war Niels Högel bei Todesfällen und/oder Reanimationen im Dienst. Der nächste in der Reihenfolge kommt gerade mal auf 10 solcher Dienste.

Der Umgang mit dieser Liste dürfte eine entscheidende Rolle bei der Frage spielen, ob es zu einer Verurteilung Mintrops kommen wird oder nicht. Nach den in der Anklageschrift niedergelegten Ermittlungen der Staatsanwaltschaft ist Mintrop nämlich durch den Chefarzt über den Inhalt dieser Liste informiert worden.

Ein möglicherweise verhängnisvolles Gespräch

Im Nachgang habe es ein Gespräch mit den Verantwortlichen der Klinik gegeben, in dem N., der leitende Pfleger der Station, darauf gedrängt haben soll, die Behörden einzuschalten. Das aber hätten sowohl die Pflegedienstleiterin des Klinikums als auch Geschäftsführer Mintrop abgelehnt. Die Argumentation: Man habe für einen solchen Schritt keine Beweise und wolle zudem keinen Skandal provozieren.

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Ob und mit welchem Inhalt es ein solches Gespräch tatsächlich gegeben hat, werden die Zeugenvernehmungen in den nächsten Wochen zeigen. Eines scheint zumindest festzustehen: Direkt angesprochen auf die ihn belastenden Zahlen der Strichliste hat den Krankenpfleger Niels Högel offenbar niemand. Das zumindest erklärte Högel als Zeuge am letzten Verhandlungstag mit Bestimmtheit. Er habe die Liste das erste Mal 2019 gesehen, während des Mordprozess gegen sich.

Versetzung konnte weitere Morde nicht verhindern

Einig waren sich die Verantwortlichen ganz offenbar nach dem „Horror-Wochenende“ nur, dass Högel die herzchirurgische Intensivstation verlassen solle. Dazu gab es Gespräche, die in einem Versetzungsantrag Högels mündeten, der daraufhin Ende 2001 in die Anästhesieabteilung des Oldenburger Klinikums wechselte. Auch bei diesen Gesprächen sind nach allem, was bisher bekannt ist, die Verdachtsmomente gegen Högel nicht offen angesprochen worden.

Bis die Versetzung wirksam wurde, arbeitete und mordete Högel weiter auf der Station 211 des Klinikums Oldenburg. Und deshalb steht jetzt auch Mintrop vor Gericht.