Claudia Kurz berät bei der Verbraucherzentrale an der Reinoldistraße zum Thema Energiearmut.

Claudia Kurz berät bei der Verbraucherzentrale an der Reinoldistraße zum Thema Energiearmut. © Oliver Volmerich

Energiepreis-Schock: „Wir befürchten, dass der Hauptansturm noch kommt“, sagt die Beraterin

rnInterview

Bei der Verbraucherzentrale steigen die Beratungs-Anfragen zu Energie-Armut deutlich. Beraterin Claudia Kurz warnt vor einem gefährlichen Fallstrick bei Hilfen. Sie sagt: „Reagieren Sie sofort!“

Dortmund

, 21.09.2022, 05:00 Uhr / Lesedauer: 4 min

Herbst und Winter ohne Heizung, weil Gas und/oder Strom abgestellt sind - das ist eine Horrorvision für viele Familien. Menschen wie Claudia Kurz helfen dabei, dieses Szenario zu verhindern. Als Expertin der Verbraucherberatung in Dortmund berät sie zum Thema Energiearmut. Oliver Volmerich sprach mit ihr:

Man spricht von Energiearmut, wenn Menschen ihre Strom- oder Gasrechnung nicht mehr bezahlen können. Angesichts drastisch steigender Energiepreise könnte die Zahl der Betroffenen bald deutlich steigen. Ist das für Sie schon spürbar?

Ich biete Energiearmutsberatung jetzt schon im zehnten Jahr hier in Dortmund an. Ich habe schon das ganze Jahr über gemerkt, dass die Zahl der Anfragen deutlich gestiegen ist. Es ist deutlich mehr als im letzten Jahr.

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Als Verbraucherzentrale machen wir uns schon seit Monaten Gedanken darüber und beobachten die Entwicklung mit Sorge. Wir befürchten, dass der Hauptansturm noch kommt. Es geht ja überwiegend um die hohen Gas-Abschläge. Und die werden die Verbraucherinnen und Verbraucher ja frühestens im November erreichen.

Mehr als jeder fünfte Dortmunder gilt als armutsgefährdet. Beim Thema Energiepreis ist ja die Besonderheit, dass Bezieher von Hartz IV ja davon nicht betroffen, weil die Kosten der Unterkunft übernommen werden. Es geht also vor allem um Geringverdiener?

Bei den Heizkosten sind die Menschen, die Hartz IV beziehen, relativ gut abgefedert. Wir haben aber auch viele Anfragen von Hartz IV-Beziehern, denen das nicht so ganz klar ist, dass sie etwa eine Jahresrechnung mit Nachzahlungen für Heizkosten dem Jobcenter vorlegen müssen. Rechnungen für Strom und Gas muss man dann auch auseinanderrechnen. Denen ist natürlich relativ schnell geholfen.

Sorgen machen die Haushalte, die ganz knapp über Hartz IV liegen, oder auch Familien mit Kindern, wo das Einkommen immer noch ausgereicht hat. Da muss man immer ganz individuell schauen, welche Lösungen es gibt.

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Es könnte zunehmend sein, dass wir die Empfehlung aussprechen, einen Antrag beim Jobcenter zu stellen, weil ja die Kosten der Unterkunft sehr viel höher werden, wenn die Heizkosten so explodieren. Dadurch entsteht dann automatisch ein Anspruch auf Leistungen.

Eine andere Sache wäre eine sehr hohe Nachzahlungsforderung, die mit der Jahresrechnung oder der Nebenkostenabrechnung durch den Vermieter kommt. Da besteht auch die Möglichkeit, beim Jobcenter einmalige Leistungen zu beantragen.

Was ist dabei zu beachten?

Ganz besonders wichtig ist: Die Leistung muss in dem Monat beantragt werden, in dem die Rechnung fällig wird. Wenn es einen Tag zu spät ist, kann das Jobcenter sagen, dass keine Bedürftigkeit mehr vorliegt.

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Da mache ich mir besondere Sorgen. Denn meine Erfahrungen sind, dass die Leute nicht sofort kommen, sondern die Rechnung erstmal weglegen. Wenn sie dann später kommen, weil sie keine Lösung gefunden haben, ist es oft zu spät. Meine eindringliche Bitte ist: Reagieren Sie sofort.

Claudia Kurz in ihrem Beratungsbüro im Reinoldihaus.

Claudia Kurz in ihrem Beratungsbüro im Reinoldihaus. © Oliver Volmerich

Sind denn bei Ihnen dann auch kurzfristig Termine zu bekommen?

Im Moment ist es noch händelbar. Man bekommt einen Termin spätestens in der darauffolgenden Woche. Wenn wir es nicht mehr schaffen, müssen wir uns etwas überlegen. Wir setzen da natürlich auch Prioritäten. Und Existenzsicherungsberatung hat bei uns Priorität.

Wie läuft die Beantragung beim Jobcenter?

Erst einmal reicht die Ankündigung: Ich will einen Antrag stellen. Von da an zählt es. Alles, was dann folgt, ist leider oft sehr mühselig. Es werden sehr umfangreiche Unterlagen gefordert. Das überfordert dann viele Menschen. Aber es wäre auf jeden Fall eine Lösung, es mit einem Antrag zu versuchen.

Es gibt dann noch eine mögliche Lösung für Familien mit niedrigem Einkommen.

Welche?

Das wäre der Kinderzuschlag, der mit dem Kindergeld ausgezahlt wird und bei der Familienkasse beantragt. Man hat Anspruch darauf, wenn die Familie in einer bestimmten Höhe Einkommen hat, das aber nicht ausreicht, die Kinder adäquat zu versorgen. Da gibt es dann einen relativ einfachen Rechner der Familienkasse, mit dem man das am Computer schon einmal grob berechnen kann.

Wie sieht es mit Rentnerinnen und Rentnern aus? Bei Grundsicherung greifen ebenfalls die Kosten der Unterkunft. Aber auch da liegen ja viele knapp über der Grenze.

Wer Grundsicherung bekommt, kann Rechnungen mit Abschlagserhöhungen beim Sozialamt einreichen. Dann wird es angepasst. Es sagen aber viele Rentnerinnen und Rentner, die mit einer sehr geringen Rente eigentlich den Anspruch auf Grundsicherung oder ergänzende Leistungen haben: Ich möchte nichts vom Amt. Das gibt es wirklich oft.

Was raten Sie dann?

Da ist wirklich Überzeugungsarbeit nötig. Aber wenn man mit einer geringen Rente einen dreifachen oder vierfachen Gas-Abschlag bekommt, führt da oft kein Weg vorbei. Das ist dann für die Betroffenen auch die Möglichkeit, einfach wieder ruhiger zu schlafen.

Können Sie denn auch Tipps geben, wie man Energie sparen kann?

Man kann natürlich immer den Tipp geben, den Warmwasserverbrauch zu reduzieren. Da kann man relativ schnell etwas einspare, in dem ich zum Beispiel mal kritisch auf das Duschverhalten gucke. Baden sollte man möglichst ganz unterlassen.

Eine wirklich intensive Energieberatung bietet ansonsten in Dortmund die Caritas. Die dürfen dann auch in Haushalte mit Sozialleistungsbezug gehen und können ganz konkret sagen, was man dort machen kann.

Das heißt, es gibt ein Beratungsnetzwerk, in dem man aufeinander verweist...

Auf jeden Fall. Generell gilt der Rat, dass jeder jetzt möglichst Geld zurücklegt und spart, damit man seine Jahresrechnung bezahlen kann.

Gibt es denn Signale, dass die Energieversorger mit Gas- oder Stromsperren zurückhaltender umgehen?

Wir wissen noch nicht, was da politisch geplant ist, sehen das aber auch durchaus kritisch. Wir hatten ja schon ein Moratorium für Energiesperren in der Corona-Zeit. Aber das ist keine Lösung. Es ist nur ein Aufschieben des Problems. Zumindest muss man die Zeit, die man gewinnt, nutzen und gemeinsam mit dem Energieversorger nach einer Lösung suchen, etwa mit einer Ratenzahlung oder Stundung für einen gewissen Zeitraum.

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Es hat übrigens eine Gesetzesänderung gegeben. Wenn eine Sperre wirklich droht, müssen die Energieversorger in der Grundversorgung eine sogenannte Abwendungsvereinbarung anbieten. Das ist ein anderes Wort für einen Ratenplan. Da geht es um einen Zeitraum zwischen 6 und 18 Monaten. Wenn das dann von der Höhe der Zahlungen noch immer zu viel ist, muss man sich noch weitergehende Hilfe suchen.

Wichtig ist also, möglichst schnell mit dem Energieversorger zu sprechen?

Damit zeigt man auch, dass man sich kümmern will. Und es muss das Ziel sein, die Sperrung zu verhindern. Es ist sehr viel schwieriger, eine bestehende Sperre wieder aufzuheben, als sie im letzten Moment zu verhindern. Wenn erst einmal gesperrt ist, kann der Energieversorger sagen: Ich mache erst auf, wenn alles bezahlt ist. Dann gibt es nicht mehr die Möglichkeit, in Raten zu zahlen. Dann gibt es nur die Variante alles oder nichts.

Was bringt die Wohngeld-Reform? Die Zahl der Berechtigten soll ja steigen.

Und auch die Heizkosten sollen anders berücksichtigt werden. Aber es sind noch ganz viele Sachen ungeklärt. Auch bei Studierenden ist noch unklar, wie sie die angekündigten Hilfen bekommen.

Also ist man da auch als Beraterin noch ratlos?

Noch ist nichts beschlossen. Wenn das der Fall ist, werden wir als Verbraucherzentrale schnell unsere Informationen auf der Homepage anpassen. Wir haben eine spezielle Seite zur Energiepreis-Krise. Die wird sehr aktuell gehalten.

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