Marzouk Chargui wurde vor einem Jahr zum Vorsitzenden des Dortmunder Integrationsrates gewählt, ist aber nach Bekanntwerden des EDG-Korruptionsskandals auf Drängen der SPD von diesem Amt zurückgetreten. © F: Schumann/Pietsch (M: Albers)

Meinung

Das System Filz macht Auswüchse wie den EDG-Skandal erst möglich

Die Stadt Dortmund hat mal wieder einen Korruptionsskandal mit Verwicklungen in die Politik – und in den Sport. Ein besonderer Fall von Personalpolitik auf Gegenseitigkeit, der aber ins System passt.

Dortmund

, 22.02.2022 / Lesedauer: 4 min

Für alle, die es schon immer gewusst haben, dass in Dortmund der SPD-Filz regiert, ist die neueste Korruptions-Affäre ein gefundenes Fressen. Der einflussreiche EDG-Konzernbetriebsratsvorsitzende Marzouk Chargui soll für die Vermittlung von Jobs beim Dortmunder Entsorger fürstlich abkassiert haben: 3000 Euro von Bewerbern mit Migrationshintergrund und 5000 Euro von deutschstämmigen Anwärtern.

Das ist zuallererst ein Fall von krimineller Energie, sollte dies stimmen. Doch Chargui ist nicht nur EDG-Betriebsratschef und inzwischen freigestellt, sondern er wurde auch vor einem Jahr zum Vorsitzenden des Dortmunder Integrationsrates gewählt – und das über die Internationale SPD-Liste.

Damit haben jetzt neben der EDG auch die Genossen ein Problem, das sie vor der Landtagswahl im Mai ganz schnell wieder vom Tisch haben wollen. Bereits zwei Tage nach Bekanntwerden des Skandals haben sie dafür gesorgt, dass Chargui von seinem politischen Amt zurücktritt.

Der EDG-Sündenfall der CDU

Wenn die CDU nun vom Schaden der Sozialdemokratie spricht und mit einem Finger auf die SPD und den Filz zeigt, zeigen drei Finger auf sie zurück. Nicht vergessen ist der EDG-Sündenfall der CDU aus dem Jahr 2010, den der damalige SPD-Ratsfraktionschef Ernst Prüsse später als seinen „größten Coup“ bezeichnet hat. Er hatte mitten im Kommunalwahlkampf den Fraktionsvorsitzenden der CDU, Frank Hengstenberg, damals noch im Dienst der Deutschen Post, in die EDG-Geschäftsführung katapultiert und damit Filz-Vorwürfe des politischen Gegners zum stumpfen Schwert gemacht.

Die EDG ist nur eine der Stadttöchter, in denen sogenannte verdiente Lokalpolitiker auf lukrative Posten gehievt wurden. Da die SPD seit nunmehr über 70 Jahren stärkste Kraft im Rat ist, ist es kein Wunder, dass vor allem Genossen davon profitiert haben und noch immer profitieren. Gleiches gilt für die Verwaltung.

Inzwischen klappt das nicht immer mehr so reibungslos mit dem Selbstbedienungsladen für Sozialdemokraten wie früher, als CDU und Grüne noch nicht zueinander gefunden haben. So ist der Versuch, den heute SPD-Parteivorsitzenden Jens Peick auf den Posten des Arbeitsdirektors beim Klinikum Dortmund zu hieven, gescheitert. Peick ist jetzt SPD-Bundestagsabgeordneter.

Abstrakte Gefahr eines Interessenskonflikts

Doch beim jüngsten Beispiel hat es wieder funktioniert: Olaf Treichel wurde vom Rat zum neuen Chef des Rechnungsprüfungsamtes bestellt – gegen die Stimmen der CDU. Die Christdemokraten, die sich zunächst bei der Abstimmung enthalten wollten, stimmten gegen Treichel, nachdem bekannt worden war, dass Treichel im selben SPD-Ortsverein sitzt wie sein Duz-Freund und Vorsitzende des Rechnungsprüfungsausschusses, Roland Spieß. Beide haben früher bei der EDG gearbeitet, Spieß ist noch heute dort.

Die abstrakte Gefahr eines Interessenskonflikts, wenn die Spitzen der beiden städtischen Kontrollgremien eine solche Nähe haben, war für die übrigen Fraktionen nicht groß genug, um dagegen zu stimmen.

Nun kann man sagen, dass es in jedem Unternehmen, in jeder Verwaltung, in allen politischen und gewerkschaftlichen Institutionen Verbindungen unter den dort Tätigen gibt. Das ist menschlich. Doch in Dortmund hat Filz System. Immer wieder. Dabei hatte man ihn schon mal überwunden geglaubt. Doch wenn Posten-Proporz und Vetternwirtschaft vor Fachkenntnis kommen, ist es für Menschen mit krimineller Energie zumindest einfacher, Unrechtmäßiges zu tun.

Von der Politik hofiert

Das sieht man auch an den engen, politischen Verflechtungen von Betriebsräten der Stadttöchter wie Marzouk Chargui, der nach den bisherigen Erkenntnissen die Personalpolitik auf Gegenseitigkeit auf die strafrechtlich relevante Ebene gehoben hat.

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Wohlgemerkt, es handelt sich um das mutmaßliche Fehlverhalten eines Einzelnen, doch als EDG-Aufsichtsrat und Konzernbetriebsratschef sowie SPD-Mitglied konnte er mitreden, war als Multiplikator bei den Arbeitnehmern wichtig für die Politik und wurde von ihr hofiert. Er konnte sich bedeutsam fühlen und hat diese politische Subkultur offensichtlich für sich missbraucht.

Verflechtungen reichen bis in den Sport

Nicht nur in der Politik steht Chargui plötzlich schräg im Stall, sondern auch im Sport. „Wir gehen dahin, weil die uns Jobs besorgen“, sollen Fußballer gesagt haben, als Chargui und sein Komplize sie erst für die SG Phönix Eving und dann für den VfL Kemminghausen abgeworben haben.

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Die Politik beklagt derweil lautstark die Auswüchse des Filzes, die sie selbst erst möglich gemacht hat. Der Vertrag von Frank Hengstenberg als kaufmännischer Geschäftsführer der EDG wird übrigens verlängert – auf Druck der CDU.

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