Die Situation in der Dortmunder Innenstadt bleibt angesichts der Drogenszene angespannt, Anlieger des Drogenkonsumraums sagen sogar: „Es wird immer schlimmer.“ Bereits im April 2024 hat unser Kollege Lukas Wittland frühmorgens den oberen Westenhellweg besucht und mit Menschen gesprochen, die mit Angst zur Arbeit gehen. Angesichts der aktuellen Situation veröffentlichen wir den Artikel neu.
Den Streit hört man am Dienstagmorgen schon von weitem. Es ist 6.45 Uhr. Die Stadt erwacht gerade und die City ist noch weitestgehend leer. Vereinzelt machen sich Menschen auf den Weg zur Arbeit. Die lauten Rufe kommen von einer Gruppe Menschen, die an der Petrikirche hockt. Offensichtlich bereiten sie sich gerade Drogen vor. Ob diese Drogen nicht nur Inhalt der Pfeifen sind, sondern auch des Streits, ist nicht zu verstehen.
In der Stadtgesellschaft Dortmunds hält die Diskussion um die Drogenproblematik an. Verschiedene Personen haben sich bei unserer Redaktion gemeldet, weil sie sich gerade morgens unwohl fühlen, wenn sie durch die City laufen.
Als problematischen Ort nennen sie den Bereich rund um die Petrikirche. Vor dem Modehändler „Anson’s“ stehe häufig eine größere Gruppe aus offenbar Abhängigen. Es werde gedealt, gepöbelt und gestritten. Vor allem Menschen, die am Westenhellweg arbeiten, fühlen sich dadurch in ihrem Sicherheitsempfinden beeinträchtigt.
Polizeibekannter Hotspot
Dem Ordnungsamt und der Polizei Dortmund ist bekannt, dass sich am Westenhellweg und im Umfeld der Petrikirche einige offenbar drogenabhängige Menschen aufhalten. Von diesen gingen auch Ordnungsstörungen und Ordnungswidrigkeiten aus, teilt Stadtsprecher Christian Stein mit: „Etwa das verbotene Lagern und Campieren im öffentlichen Raum oder das (öffentliche) Konsumieren von Betäubungsmitteln“.
Am Dienstagmorgen ist eine Gruppe an der Petrikirche, aber nicht auf dem Westenhellweg direkt anzutreffen.
Dafür lädt dort eine Frau Waren von einer Palette in ein Geschäft ein. Weil sie nicht weiß, wie ihr Chef es finde, wenn sie Auskünfte gibt, nennen wir ihren Namen und den des Geschäfts nicht. Andere Personen, die in diesem Artikel zu Wort kommen, haben eine ähnliche Sorge. „Heute ist es ziemlich ruhig“, sagt die Mitarbeiterin beim Einräumen. „Aber das ist an anderen Tagen anders. Dann ist morgens schon lautes Gerufe.“

Wunsch nach Sicherheitsleuten
Es helfe, dass es jetzt schon früher hell sei, natürlich sei es aber keine angenehme Situation, wenn sie hier stehe und etwas weiter eine Gruppe Drogen konsumiere und aggressiv sei. Passiert sei ihr noch nie etwas, aber aus dem Eingangsbereich des Geschäfts würde immer wieder Ware verschwinden. „Eigentlich wäre es besser, wenn wir morgens zu dritt wären“, sagt die Mitarbeiterin. „Dann könnte eine Person immer im Eingangsbereich bleiben und aufpassen.“
Aber auch während des laufenden Betriebes am Nachmittag werde gestohlen. Letztens habe sie einen Mann erwischt, der mit Waren im Wert von 300 Euro an der Kasse vorbeigehen wollte. „Security schon morgens wäre gut. Die Kosten könnten sich die hier liegenden Geschäfte auch teilen“, sagt die Mitarbeiterin. Wirklich daran glauben - das tut sie aber nicht.
Die wenigsten Geschäfte hätten Sicherheitsleute wegen der Situation engagiert, sagt Tobias Heitmann. Der Vorsitzende der Händlervereinigung Cityring kritisiert die Situation am oberen Westenhellweg schon lange, er betont aber: „Für mich ist wichtig, dass man zwischen Obdachlosen und Drogenabhängigen unterscheidet.“

Die meisten Obdachlosen seien bemüht, ihren Schlafplatz sauber zu hinterlassen. „Wenn sie auf dem Westenhellweg sitzen und betteln, hat niemand etwas dagegen.“
Bei Drogenabhängigen erlebe er aber eine Enthemmung. Das Betteln sei aggressiver, wenn die Geldnot und der Suchtdruck groß sei. „Sie reagieren auch nicht auf ausgesprochene Hausverbote.“
Wie setzt sich die Szene zusammen?
Offenbar versorgen sich Abhängige am oberen Westenhellweg am Morgen untereinander mit Drogen. Als wir vor einigen Wochen einen Müllwerker bei der Arbeit besuchten, teilten sich mehrere Personen eine Crack-Pfeife in einem Geschäftseingang.
Der Drogenkonsumraum liegt nicht weit entfernt neben der Thier-Galerie und öffnet an Werktagen um 8 Uhr, sonntags um 9 Uhr. Die Öffnungszeiten sind vor einigen Monaten deutlich verlängert worden, um mehr Suchtkranke vom Konsum auf der Straße weg zum Konsumieren in der Einrichtung zu bewegen.
Welche Effekte die Ausweitung der Öffnungszeiten hat, wird gerade ermittelt. Parallel gibt es eine Szeneevaluierung. „Wir wollen ermitteln, welche Menschen wir erreichen. Aber auch, zu welchen Zeiten wir sie noch besser erreichen können und wo uns noch immer Leute durchrutschen“, sagt Willehad Rensmann. Er ist Geschäftsführer der Aidshilfe, die das Café Kick betreibt. „Die Ausweitung der Öffnungszeiten wird gut angenommen. Zu Stoßzeiten geraten wir an unsere Kapazitätsgrenzen.“

Selbst bei der hohen Nachfrage des Angebots sei aber klar, dass auch in Zukunft manche Abhängige nicht den Drogenkonsumraum aufsuchen werden. Dafür gebe es verschiedene Gründe, erklärt Rensmannn. Immer wieder müssten auch Hausverbote ausgesprochen werden. Für andere sei es schlicht nicht attraktiv, da sie sich Crack-Pfeifen teilen würden. Der gemeinsame Konsum ist im Café Kick allerdings streng untersagt.
„Am Ende der Nahrungskette“
Wir sind zurück auf dem Westenhellweg, der für viele nicht nur ein Arbeitsort, sondern auch ein Arbeitsweg ist. Wir gehen ein Stück mit Melanie Adrian, die im Unionviertel wohnt und morgens immer durch die City zur Arbeit geht. „Das ist eine Katastrophe“, sagt sie. „Man wird beleidigt, man sieht die Hinterlassenschaften. Die Menschen finden hier ja auch keine Toiletten. Es ist eklig.“

Ein anderer Mann sagt: „Natürlich sieht man das hier gerade am Morgen sehr deutlich, wenn der Westenhellweg leer ist. Aber wo sollen sie hin? Das sind Menschen, die kein Zuhause haben.“ Dass jemand in die Drogensucht abrutscht, könne ganz verschiedene Gründe haben. Auch wenn er manchmal genervt von der Situation sei, täten ihm die Menschen vor allem leid: „Sie sind ganz am Ende der Nahrungskette und werden das wohl auch bleiben.“
„Ich komme immer mit Ängsten hierher“, sagt hingegen Dilara Isilak. Seit einem Jahr arbeitet die 21-Jährige in der Malzers-Filiale an der Petrikirche. „Wir gehen frühmorgens meist nur zusammen zum Geschäft und schließen auf.“ Sie würden sich dann immer umgucken. „Man fühlt sich hier nicht wohl und beobachtet.“
Spritzen und Krankenwagen
Augenscheinlich Abhängige stünden vor den Fenstern und würden sie anstarren und anschreien. Vor der Toilette des Bäckers habe letztens jemand mit einer Spritze im Arm gelegen. Auch Beschäftigte anderer Geschäfte, die wir sprechen, berichten von Spritzen und Krankenwagen in den Morgenstunden.
Die Malzers-Verkäuferin Dilara Isilak sagt, sie habe schon mehrmals Drogendeals gesehen. Der Rettungsdienst sei regelmäßig wegen Auseinandersetzungen gerufen worden. „Polizei und Ordnungsamt sind auch immer wieder vor Ort, häufig fahren sie aber auch nur vorbei.“ Andere Gesprächspartner sagen, die Behörden seien bemüht, angesichts des Problems aber auch ein Stück weit machtlos.

Die Stadt selbst spricht davon, dass der Kommunale Ordnungsdienst (KOD) etwaige Störungen konsequent unterbinde und dass durch den Kontrolldruck von KOD und Polizei „eine spürbare Verbesserung der Situation im Bereich des oberen Westenhellwegs wie in der City insgesamt eingetreten ist“.
Weniger Beschwerden, laut Polizei
Auch die Polizei teilt mit, dass die stetigen Maßnahmen – auch in Zusammenarbeit mit dem KOD – zu einer deutlichen Reduzierung „von ortsfesten Ansammlungen, Betteln und Belästigungen“ führe – vor allem mit Blick auf den Stadtgarten. Es sei gelungen, die „offene Drogenverkaufsszene zu dezimieren“.
„Damit einhergehend nahm auch die Beschwerdelage, unter anderem der Geschäftsleute der Innenstadt, ab“, sagt Polizeisprecher Gunnar Wortmann. Den Aufenthalt offensichtlich drogenabhängiger Personen bei rechtskonformem Verhalten zu reduzieren, „ist weder Ziel der polizeilichen Maßnahmen, noch erscheint es möglich“, heißt es von Wortmann.
Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel erschien ursprünglich am 24. April. Wir haben ihn aufgrund des großen Interesses erneut veröffentlicht.
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