Freunde im Krieg: „So lange ich etwas von ihm höre, ist das ein gutes Zeichen“

© Klinikum Dortmund/dpa

Freunde im Krieg: „So lange ich etwas von ihm höre, ist das ein gutes Zeichen“

rnUkraine-Konflikt

Der Leiter der Dortmunder Kinderklinik, Prof. Dr. Dominik Schneider, ist in großer Sorge um eine befreundete Familie in der Stadt Charkiw. Eine Flucht ist für sie undenkbar.

Dortmund

, 02.03.2022, 18:42 Uhr / Lesedauer: 2 min

Verstörende Bilder aus Charkiw im Osten der Ukraine gingen zuletzt um die Welt. Die Stadt ist seit Tagen Ziel von Angriffen des russischen Militärs. Immer wieder sind auch Aufnahmen von Angriffen auf zivile Gebäude und Wohnviertel zu sehen.

Prof. Dr. Dominik Schneider, Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am Klinikum Dortmund, bekommt diese und andere Bilder in diesen Tagen regelmäßig auf sein Handy geschickt. Von der befreundeten Familie L., die mitten in der umkämpften Stadt lebt und zu der Schneider seit Jahren Kontakt hat.

Familie ist an den Stadtrand geflohen

Der jüngste Kontakt stammt vom Nachmittag des 2. März. „So lange ich etwas von ihm höre, ist das ein gutes Zeichen“, sagt Dominik Schneider.

Der Vater sendete Schneider Fotos und Nachrichten aus einem Dorf in der Nähe Charkiws. Ihren Wohnort im Zentrum hat die Familie bereits verlassen, doch auch das Dorf außerhalb der Stadt stehe bereits unter Beschuss, schreibt er.

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Der Kontakt zur Familie entstand vor neun Jahren – aus einem eigentlich traurigen Anlass. Der damals 4-Jährige Sohne Dmytro war als Kleinkind an Leukämie erkrankt. Nach einem Rückfall kam er für eine Behandlung ins Klinikum Dortmund. „Leider war es nicht mehr zu beherrschen“, sagt Dominik Schneider. Dmytro starb 2013.

Bombenangriffe statt Familienfotos über WhatsApp

Die Verbindung zur Familie hielt, es gebe regelmäßigen Austausch zu Feiertagen und bei Familienereignissen. Dass sich die Nachrichten plötzlich um Lebensgefahr durch Fliegerbomben und traumatische Erlebnisse für die Kinder drehen würden, hätte niemand für möglich gehalten.

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Der Klinikdirektor teilte zuletzt über seinen Account bei Twitter mit über 5000 Followern Nachrichten vom Vater der Familie. Dieser habe ihn ausdrücklich darum gebeten „Das habe ich gerne getan, denn es hat mich sehr angerührt, wie er beschreibt, dass aus seiner Sicht die russische Armee in Charkiw sehr massiv gegen die Zivilbevölkerung vorgeht.“

Schneider teilte am 1. März diese auf Englisch verfassten Worte des 48-jährigen Vaters: „Lieber Dominik, Lieber Professor: Wir leben und die ganze Familie ist zusammen. Wir haben die Stadt verlassen. Die Kinder haben große Angst. Charkiw wird am fünften Tag nacheinander mit Raketen beschossen.“

Große Wut über Putins „faschistischen Überfall“

Aus weiteren Texten, die Schneider nicht veröffentlicht hat, würden viel „Ärger, Hass, Enttäuschung“ deutlich. Für L. fühle sich der Angriff Putins an „wie ein faschistischer Überfall aus dem 2. Weltkrieg, wie ihn die Deutschen den Ukrainern zugemutet haben“.

Eine Flucht nach Westeuropa sei für die Familie derzeit nicht möglich. Denn sie würde vom Osten des Landes quer durch das Kriegsgebiet führen.

So bleibt ihm nur die Hoffnung, „dass der Kontakt möglichst lange hält“. Gleichzeitig richtet Schneider als Kinder- und Jugendmediziner, der sehr stark in Europa vernetzt ist, den Blick auf den Konflikt.

Kinderklinik rechnet mit Patienten aus dem Kriegsgebiet

In Polen rechnen demnach Kliniken in den nächsten Wochen mit einem Exodus von Familien mit an Krebs erkrankten Kindern aus der Ukraine. „Wir sind unter kinderonkologischen Zentren schon dabei uns abzustimmen, Kinder zu übernehmen, wenn eine solche Welle ankäme“, sagt der Direktor der Dortmunder Kinderklinik.

Schon seit einigen Jahren werden am Klinikum Dortmund mit dessen onkologischer Spezialisierung Kinder aus osteuropäischen Ländern, insbesondere Georgien und Ukraine, behandelt.

Für Kinder sei der Krieg nicht nur eine Gefahr für Leib und Leben, sondern bedeute auch eine seelische Traumatisierung. „Die Bilder von Waisenhäusern in Luftschutzkellern oder Kindern in Metrostationen zeigen, dass bei jedem Krieg Kinder unter den am Schlimmsten betroffenen Opfern sind“, sagt Dominik Schneider.

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