
© Kolle
Sohn steckte nach negativem Schnelltest Mutter mit Corona an – sie starb
Corona-Pandemie
Ein Sohn wollte seine Familie in Dortmund zu Ostern besuchen – und hatte zuvor vorsichtshalber einen Schnelltest gemacht, der negativ ausfiel. Ein falsches Testergebnis mit fatalen Folgen.
Wenn Heinz Hessing Bundesgesundheitsminister Jens Spahn in den Nachrichten hört, packt ihn die Wut. Eine verzweifelte Wut. „Das könnte ein toller Sommer werden“, verkündete Spahn hoffnungsvoll in die Mikrofone. Für Heinz Hessing klingt das wie Hohn. Für ihn und seine Kinder wird es vor allem ein trauriger Sommer.
Seine Frau Antje Hessing ist mit gerade mal 65 Jahren am 7. Mai an Corona gestorben – nach dreieinhalb Wochen Intensivstation mit Beatmung. Sie gehörte aufgrund von Vorerkrankungen bei der Impfung zur Priogruppe 2. Ende März hätte sie zumindest nach den Ankündigungen der Politik ein Impfangebot erhalten sollen. „Doch es gab keinen Impfstoff“, sagt der Witwer.
Auch wie sich Antje Hessing mit der britischen Virus-Mutante angesteckt hat, ist tragisch. Der Sohn, der in Hamburg lebt, war wegen Corona schon zu Weihnachten nicht nach Hause gekommen und wollte dann zu Ostern seine Familie in der Gartenstadt besuchen.
„Vom milden Verlauf bis zum Tod alles möglich“
Bevor er kam, hatte der Sohn an Gründonnerstag einen Schnelltest mit negativem Ergebnis gemacht und reiste Karfreitag an. „Am Ostermontag hat er dann erfahren, dass eine Arbeitskollegin an Corona erkrankt ist. Er hat dann sofort einen weiteren Schnelltest gemacht, der positiv war“, berichtet Heinz Hessing, „Meine Frau, meine Tochter und ich haben dann auch sofort Schnelltests absolviert, die allerdings negativ waren.“
Dennoch haben alle auch einen PCR-Test gemacht. Zwei Tage später kam die schlechte Nachricht: Auch die Eltern und Schwester Nina waren positiv und mussten für zwei Wochen in Quarantäne. Nina Hessing erinnert sich noch gut an das Telefongespräch, als die Stimme am Ende der anderen Leitung sagte: „Sie sind positiv getestet worden. Vom milden Verlauf bis zum Tod ist alles möglich.“
Und genauso kam es innerhalb der Familie Hessing. „Während meine Tochter und mein Sohn verschiedene Corona-typische Symptome mit Fieber und Schüttelfrost aufwiesen, verlief der Krankheitsverlauf bei mir relativ mild“, berichtet Heinz Hessing.
Mit Lungenentzündung ins Krankenhaus
Seine Frau klagte nach einer Woche über Luftnot, hatte starken Husten. Das wurde so schlimm, dass er am 13. April den Rettungsdienst verständigte. Die letzten Worte, die die Familie von der Mutter hörte, als sie nach draußen in den Rettungswagen getragen wurde, waren drei: „Au, au, au“, klagte sie jämmerlich. „Wir konnten nicht mehr mit ihr sprechen“, sagt die Tochter.
Weil ihr Sauerstoffgehalt gesunken war, wurde sie im Krankenhaus in ein künstliches Koma versetzt, einen Tag später auch künstlich beatmet. Sie hatte eine Lungenentzündung.
Hessing: „Ihr Zustand war ernst. Von da an schwebten wir ständig in einem Zustand zwischen Hoffen und Bangen.“ Täglich riefen er und seine Tochter bei der Intensivstation an, um sich nach dem Gesundheitszustand von Antje Hessing zu erkundigen. „Oft mussten wir bis zu fünf Stunden auf den Rückruf warten, sogar bis abends 22.30 Uhr, weil das Personal so beschäftigt war. Die Wartezeit war schrecklich“, sagt Hessing und hat immer wieder Tränen in den Augen.
Zustand besserte sich anfangs leicht
Anfangs besserte sich der Zustand seiner Frau sogar leicht. Die Ärzte sagten ihnen, sie müssten in kleinen Schritten denken. Doch nach einer Woche bekam Antje Hessing eine Blutvergiftung, von der sie sich nicht mehr erholte.
Am 6. Mai wurden Vater und Tochter zur Intensivstation bestellt. Die leitende Ärztin teilte ihnen mit, dass sie es nicht schaffen würde. „Das war der schrecklichste Satz“, sagt der Witwer: „Ihre Frau wird an multiplem Organversagen sterben. Wir haben Sie angerufen, damit Sie Abschied nehmen können.“

Aus glücklicheren Tagen: Heinz Hessing mit seiner verstorbenen Frau Antje Hessing. © Privat
Mit Schutzkleidung, doppelter Maske und Schutzvisier, geführt durch zwei Schleusen, traten sie an das Intensivbett. „Wir haben sie nach dreieinhalb Wochen nur noch in Ansätzen erkannt“, sagt Tochter Nina, „den Anblick werden wir unser Leben lang nicht vergessen.“
Drei Tage nach 65. Geburtstag gestorben
„Es war schrecklich, sie dort so hilflos liegen zu sehen wie auch die anderen Patienten, denen es ebenfalls schlecht ging“, ergänzt ihr Vater und fordert: „Ein Besuch auf der Intensivstation sollte allen Querdenkern und Corona-Leugnern zur Pflicht gemacht werden.“ Er ist fassungslos, wenn er hört, „dass es Menschen gibt, die behaupten, da liegen nur Puppen in den Betten.“
Am nächsten Tag (7.5.) starb Antje Hessing, drei Tage nach ihrem 65. Geburtstag, den sie so gern gefeiert hätte und für den sie viele Pläne hatte. Ihr Mann hatte eine Woche nach der Trauerfeier am Pfingstmontag einen Krampfanfall, bei dem er sich drei Rippen brach und für vier Tage ins Krankenhaus musste. „Ursache war laut Ärzten die lang andauernde Anspannung durch die Covid-Erkrankung meiner Frau und die damit verbundenen Belastungen“, sagt er.
Die Familie spricht so offen über das traurige Ereignis, weil sie wachrütteln will – und angesichts der fortschreitenden Lockerungen warnen will, dass die Pandemie noch nicht vorbei ist. Antje Hessing ist das 254. Todesopfer in Dortmund, das ursächlich an Corona gestorben ist. Vater und Tochter wollen zeigen, welche Schicksale sich für die Betroffenen selbst und ihre Hinterbliebenen hinter den nüchternen Zahlen der Corona-Toten verbergen.
„Meine Frau hätte gern noch gelebt.“
Sein Sohn mache sich schwerste Vorwürfe, dass er Ostern nach Hause gekommen sei, obwohl er nicht hätte ahnen können, dass er positiv war und trotzdem alle Vorkehrungen getroffen habe wie den negativen Schnelltest, sagt der Vater.
„Meine Frau hätte gern noch gelebt“, so der 67-Jährige. „Wäre das Impfen schon mal eher losgegangen und wäre ausreichend Impfstoff da gewesen, hätte sie die erste Impfung schon haben können. Dann wäre die Krankheit auch bei ihr vielleicht harmloser verlaufen.“
Schlimm für die Familie ist eine vorwurfsvolle Frage, mit der sie sich neben der großen Anteilnahme und Hilfe von Verwandten, Freunden, Nachbarn und Bekannten immer wieder konfrontiert sehen. „Wie habt ihr euch das eingefangen?“ Nina Hessing: „Wir nehmen die Krankheit ernst. Wir waren immer vorsichtig, haben unsere Kontakte eingeschränkt, Maske getragen und die Hände desinfiziert.“
Krankenhaus-Tasche in doppelten Müllsäcken entsorgt
Auch Antje Hessing hatte ihren Mann gefragt, als sie noch konnte: „Warum hat uns das getroffen?“ Jetzt liegt sie auf dem Ostfriedhof. Bilder von ihr mit der Familie sind auf dem Sideboard im Esszimmer aufgereiht und erinnern an glücklichere Zeiten.
Ihre Tasche mit den persönlichen Sachen aus dem Krankenhaus hat die Tochter, wie vom Klinik-Pfleger empfohlen, „ganz schnell durchgeguckt, alles in doppelte Müllsäcke gepackt und entsorgt“ – bis auf eine Uhr. „Die habe ich gründlich desinfiziert.“
Heinz Hessing hat sich professionelle Hilfe gesucht, um mit dem tragischen Verlust seiner Frau fertigzuwerden. Doch noch immer platzt ihm der Kragen, wenn Jens Spahn sagt, das könne ein toller Sommer werden.
Brief an Jens Spahn
Er hat dem Gesundheitsminister einen Brief geschrieben, unter anderem mit dem Vorwurf: „Wenn ich sehe, welche Personengruppen auch ohne Impfberechtigung inzwischen geimpft worden sind, weil sie über Beziehungen oder ähnliches verfügen, während Personen, die dringend geimpft werden müssen, noch nicht geimpft wurden, dann frage ich mich, in welcher ‚Bananenrepublik‘ wir eigentlich leben.“
Aus diesen Worten spricht Verbitterung, die sich bei Heinz Hessing und seiner Tochter paart mit der Sorge, dass mit den Lockerungen und neuen Freiheiten die Menschen unvorsichtig werden – und sich das Schicksal von Antje Hessing deshalb wiederholt.
Stellvertretende Leiterin der Dortmunder Stadtredaktion - Seit April 1983 Redakteurin in der Dortmunder Stadtredaktion der Ruhr Nachrichten. Dort zuständig unter anderem für Kommunalpolitik. 1981 Magisterabschluss an der Universität Bochum (Anglistik, Amerikanistik, Romanistik).
