Ende November 2022: Vor der neu eröffneten Praxis der Ärztin Gabie Raven protestieren Anhänger extremer Positionen gegen das Recht von Frauen auf Abtreibung.
Raven steht für dieses Recht ein. Die Niederländerin führt Schwangerschaftsabbrüche in der privaten Klinik am Körner Hellweg und in mehreren anderen Städten durch.
Holocaust-Vergleiche
Eine kleine Gruppe, organisiert aus den Niederlanden, demonstriert gegen solche Einrichtungen, wo immer diese eröffnen.
Im Dortmunder Fall erhielten unter anderem die Mitarbeiterinnen von Ravens Praxis Drohungen im Internet und auf Flugblättern.
„Sie werden in Zukunft ständig belästigt, beschimpft und bedroht. Nicht nur während der Arbeit, auch abends auf dem Heimweg oder zu Hause in Ihrer Wohnung. Wenn Ihnen nichts Schlimmeres passiert“, lautet ein Eintrag auf einer Seite der Gruppe vom 6. Oktober 2022. Der Beitrag ist immer noch öffentlich im Internet zu finden.
Der Eigentümer des Gebäudes, eine Versicherung, wurde öffentlich unter Druck gesetzt. Zudem sollen Nachbarn der Praxisräume angesprochen worden sein.
Ärztinnen solidarisieren sich
In Dortmund haben sich zuletzt zwei Ärztinnen im Ruhestand mit Gabie Raven und ihren Mitarbeiterinnen solidarisiert. Antje Huster-Sinemillioglu und Elisabeth Horsch-Wutschel, zwei aus Altersgründen nicht mehr praktizierende Gynäkologinnen aus Dortmund, richteten im Januar einen Brief an die Ärztekammer Westfalen-Lippe.
Hierin wird die Vertretung der niedergelassenen Ärzte unter anderem gebeten und aufgefordert, sich dafür einzusetzen „dass bundesweit endlich Schutzzonen vor den entsprechenden Praxen und Beratungsstellen eingerichtet werden“.
Direkte Konfrontation vermeiden
Damit könnte direkte Konfrontation mit Abtreibungsgegnern etwa auf Gehwegen vor Einrichtungen vermieden werden.
Elisabeth Horsch-Wutschel sagt im Gespräch mit dieser Redaktion: „Wichtig ist, dass es verbindliche Regelungen gibt: für betroffene Frauen, aber auch und für Mitarbeiterinnen und Ärztinnen und Ärzte, die Abtreibungen durchführen.“
Ohnehin stelle sie mit Blick auf die vergangenen Jahre fest, dass die Zahl der Praxen, die diesen aus ihre Sicht grundlegenden Teil der gynäkologischen Versorgung nicht mehr praktizieren, gesunken sei.
Gerade einmal drei Medizinerinnen und Mediziner in Dortmund führen derzeit Abbrüche durch.
Es gibt rund 1300 Schwangerschaftsberatungen pro Jahr. In mehr als Eintausend davon fällt die Entscheidung, das Kind nicht zu bekommen.
Erst im Sommer 2022 war das gesetzliche Werbeverbot für Abtreibungen aufgehoben worden. Bis dahin durften Arztpraxen nicht darauf hinweisen, dass bei ihnen die Möglichkeit zu dieser medizinischen Behandlung besteht.
Diffamierung durch Gegner
„Die Diffamierung durch Gegner seit Jahren trägt dazu bei, dass viele genau überlegen, ob sie sich dem aussetzen möchten“, sagt Elisabeth Horsch-Wutschel. Deshalb hält sie es für wichtig, solchen häufig mit Desinformation versetzten Kampagnen etwas entgegenzusetzen.
„Jeder kann seine Meinung dazu haben. Aber es gehört zur Selbstbestimmung von Frauen, dass Schwangerschaftsabbrüche angeboten werden. Denn es gibt Situationen, in denen Frauen nicht anders entscheiden können“, sagt die Gynäkologin, die über viele Jahre am Wilhelmplatz in Dorstfeld praktiziert hat.
Ärztekammer reagiert
Ende Januar, knapp einen Monat nach dem Brief der Dortmunder Ärztinnen, hat sich der Präsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe, Dr. Hans-Albert Gehle, zum Thema geäußert.
In einer Stellungnahme zum Thema „eskalierende Gewalt gegen Ärzte und Helfer“ geht es auch um die Zunahme von „Belästigungen von Ärztinnen und Ärzten sowie deren Patientinnen durch Abtreibungsgegner vor Praxen und Einrichtungen, in denen Schwangerschaftsberatung angeboten und Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt werden.“
„Der Kammervorstand verurteilt diese sogenannten Gehsteigbelästigungen“, sagt Hans-Albert Gehle. Das Persönlichkeitsrecht der Schwangeren und der Praxismitarbeiterinnen sei besonders schützenswert.
Gehle sieht die Situation in einem größeren Zusammenhang mit zunehmender Aggression und Gewalt gegen medizinisches Personal.
Forderung an Bundesregierung
Die Bundesregierung sei aufgefordert, solche Belästigungen und Bedrohungen als Ordnungswidrigkeit einzustufen. Gehle spricht sich zudem für die Einrichtung von Schutzzonen rund um Beratungsstellen und betreffende Praxen aus.
Elisabeth Horsch-Wutschel macht die Unterstützung der Ärztekammer Hoffnung. „Vielleicht ist das der entscheidende Schubser dahin, dass nicht mehr jede einzelne Stadt entscheiden muss, wie sie mit solchen Bedrohungsszenarien umgeht“, sagt sie.
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