Für Gabie Raven ist es nichts Neues, wenn Abtreibungsgegner vor ihren Kliniken stehen. In ihren 30 Jahren als Ärztin, die sich auf Schwangerschaftsabbrüche spezialisiert hat, ist sie schon öfter mit ihnen aneinandergeraten. Jede Woche werde gegen ihre Kliniken in Rotterdam und Roermond protestiert.
Auch ihre neue „Gynaikon Praxisklinik“, die Anfang November am Körner Hellweg in Dortmund eröffnet hat, ist Ziel der Abtreibungsgegner geworden. Allerdings auf zwei Arten, die sich in ihrer Form und Extremität teilweise stark unterscheiden.
Sichtbare, ruhige Abtreibungsgegner
Die erste ist der sichtbare Protest. Zunächst versammelten sich rund 60 Menschen am 26. November (Samstag) vor der Klinik in Körne zu einer stillen Gebetsmahnwache. Eine eher friedliche, in sich gekehrte Versammlung, die eher unscheinbar wirkte. Nur eine Teilnehmerin sagte, dass ihr Bauch nicht ihr gehöre, sondern Gott. Ein kleiner Hinweis, worum es der Gruppe eigentlich ging.
Offensichtlicher war es am Mittwoch (30.11.) nach der Gebetsmahnwache: Drei Männer aus den Niederlanden fuhren rund 200 Kilometer von Giessenburg bei Rotterdam nach Dortmund, um gegen die Klinik von Gabie Raven zu demonstrieren.
Einer von ihnen ist Joop van Ooijen – Evangelist, Gründer der Partei „Jezus Leeft“ (Jesus lebt) und ein radikaler Abtreibungsgegner. Gabie Raven würde mit ihrer Dortmunder Klinik „Mord exportieren“, behauptet van Ooijen. Deshalb sei er schon seit zehn Jahren gegen die Ärztin aktiv.

An ihrem Fahrzeug hingen Banner mit den Worten „Abtreibung ist Babymord“ und „Abtreibung ist Babycaust“. Letzterer wurde von der Polizei sichergestellt – wegen des Verdachts auf Volksverhetzung. In direkten Gesprächen behauptete ein anderer Niederländer aus der Gruppe auch, dass Abtreibungen schlimmer seien als der Holocaust.
Dennoch waren die Männer – abgesehen von den antisemitischen und Holocaust-relativierenden Vergleichen – in diesen Gesprächen bemüht, friedlich auch auf konfrontative Fragen zu reagieren. Sie wollten andere von ihren Positionen überzeugen, evangelisieren.
Radikale Hetze im Internet
Die andere Ebene ist nicht direkt vor der Klinik sichtbar, sondern spielt sich eher hinter den Kulissen ab. Und vor allem im Internet. Dort wird Gabie Raven als Ärztin direkt beleidigt und sogar bedroht. Oft wird sich dabei auch auf den christlichen Glauben berufen.
Auf mehreren Webseiten wird vor einem „KZ Körne“ gewarnt. Gabie Raven sei eine „holländische Tötungsspezialistin“, die sich am „deutschen Babycaust“ beteilige. Das Personal der Klinik arbeite „in einer tickenden Zeitbombe“ und „man kann nur hoffen, dass niemand durchdreht“. Eine Anspielung auf die USA, wo radikale Abtreibungsgegner verstärkt auftreten, und in der republikanischen Partei auch politisch vertreten sind.
Es werden dazu Beispiele genannt: Im Mai 2022 soll eine Frau ein Feuer in einer Abtreibungsklinik in Casper (Wyoming) gelegt haben. Und im November 2015 wurden drei Menschen in Colorado Springs bei einer Schießerei vor einer Klinik für Schwangerschaftsabbrüche getötet. „Das gibt es in Europa natürlich nicht. Noch nicht“, heißt es weiter dazu auf einer Webseite.
Ein Flyer mit ähnlichen Inhalten seien derweil laut Raven auch bei ihren Nachbarn am Körner Hellweg verteilt worden, unter anderem Arztpraxen, sowie bei ihrem Vermieter. Auch dieser Redaktion ist ein Schreiben dieser Art zugeschickt worden. Nach Angaben der Polizei Dortmund liege der Fall zur Prüfung bei der Staatsanwaltschaft.
Überrascht von extremer Tonalität
Pfarrer Andreas Hahn ist von dieser extremen Tonalität überrascht. Er ist der Beauftrage für Sekten- und Weltanschauungsfragen der Evangelischen Kirche von Westfalen. Eine ungewöhnliche Form, die er im deutschen Abtreibungsdiskurs noch nicht erlebt habe, sagt Pfarrer Andreas Hahn dazu. Normalerweise seien die Abtreibungsgegner eher moderat.
Allerdings sind sie eine heterogene Gruppe, wie sich am Beispiel Dortmund zeigt. Es gibt nicht die Abtreibungsgegner, sondern verschiedene Strömungen. Meist seien sie jedoch christlich geprägt.
Bei der stillen Gebetsmahnwache seien laut Hahn katholische Symbole erkennbar gewesen. Diese katholischen Abtreibungsgegner kämen meist eher aus dem „traditionalistischen Milieu“, die mit der modernen Kirche nichts anfangen könnten. Die niederländischen Abtreibungsgegner seien derweil protestantisch und auch eher dem christlichen Fundamentalismus zuzuordnen.

Das sind Menschen, die „ihre Radikalität leben und keine liberalen Strukturen der eigenen Religiosität zulassen“, so der Sekten- und Weltanschauungsbeauftragte Hahn. Sie haben einen „klaren Kanon von Lehren und Verhaltensweisen, von denen nicht abzuweichen ist“. Andere Meinungen werden nicht akzeptiert.
Christliche Werte über freien Willen
Deshalb seien für sie Holocaust-Relativierungen und persönliche Anfeindungen gegen Raven auch mit ihrem christlichen Glauben vereinbar. Für sie gibt es „nur diese eine Lesart, die zulässig ist“, erklärt der Pfarrer. Ihre christlichen Werte, etwa das fünfte Gebot „Du sollst nicht töten“ bei den protestantischen Fundamentalisten, stehen an oberster Stelle. Selbst ein Abbruch einer unfreiwilligen Schwangerschaft durch eine Vergewaltigung muss diesen Werten untergeordnet werden, genauso wie der freie Wille der Frau generell.

Wegen der unterschiedlichen Strömungen geht Andreas Hahn davon aus, dass sich diese konkreten Aktionen im Sande verlaufen werden. Zumindest bei dem christlichen Teil. Bei den radikalen Internetseiten fehlen ihm die „typisch christlichen Marker“. Die Abtreibungsgegner, die es aus Glaubensfragen sind, seien es eher aus persönlichen Gründen. Eine Gefahr bestehe nur, wenn andere radikalisierte Gemeinschaften dort andocken, etwa aus Unzufriedenheit mit der Politik oder durch Verschwörungsideologien.
Tatsächlich hat es seit dem 30. November auch keine weiteren Protestaktionen vor der Gynaikon Praxis in Körne gegeben. Auch auf den einschlägigen Webseiten ist es ruhiger geworden.
„So persönlich kenne ich das nicht“
Gabie Raven kennt drastischere Aktionen von Abtreibungsgegnern. So sei ihre Praxis in Rotterdam mal zugeklebt worden, weshalb Personal und Patientinnen das Gebäude nicht betreten konnten.
Das Ausmaß, das sie wegen ihrer Dortmunder Praxis erlebt, sei aber deutlich anders. „So persönlich kenne ich das nicht“, sagt Raven. Zumindest nicht aus den Niederlanden. Einschüchtern lässt sich aber trotzdem nicht. Und Angst habe sie auch nicht.
„Nach 30 Jahren Erfahrung weiß ich: Man kann nicht mit ihnen reden, weil man zwei unterschiedliche Sprachen spricht“, sagt die Ärztin. Sie nimmt die Abtreibungsgegner deshalb in Kauf. Gabie Raven macht ihre Arbeit aus Überzeugung. Um Frauen zu helfen, selbst darüber entscheiden zu können, ob sie schwanger bleiben wollen, oder eben nicht.
Niederländische Abtreibungsgegner hetzen gegen Klinik: Verdacht auf Volksverhetzung
Abtreibungsgegner demonstrieren gegen Klinik: Ärztin sagt, sie „habe keine Angst“
Terre de Femmes distanziert sich von Veranstaltung in Dortmund: Eigene Ortsgruppe hatte sie organisi