
Marina Samra, Schwangerschafts(konflikt)beraterin beim Sozialen Zentrum in Dortmund, erlebt in den Beratungsgesprächen immer wieder die Notlagen von Frauen und Paaren, wenn es keinen Termin für einen Abbruch gibt. © Kolle
Kaum noch Ärzte in Dortmund bieten Abtreibungen an – „Frauen sind unter Druck“
Gesundheitskonferenz
Rechnerisch jede sechste Schwangerschaft in Dortmund wird abgebrochen. Doch es gibt nur noch wenige Ärzte, die den Eingriff vornehmen - und die bedienen auch noch das Umland mit.
Immer wieder muss Marina Samra in verzweifelte Gesichter von Frauen schauen, wenn sie ihnen keinen Arzt für eine Abtreibung vermitteln kann – weil es in Dortmund gerade keine medizinischen Kapazitäten für den Eingriff gibt. Marina Samra ist Schwangerschaftskonfliktberaterin beim Sozialen Zentrum in der Westhoffstraße, einer von drei anerkannten Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen in Dortmund.
Rund 600 Schwangerschaftskonfliktberatungen im Jahr führe das Soziale Zentrum im Schnitt durch, berichtet Fachbereichsleiterin Maria Preuß. Bei der Awo sind es etwa 700 jährlich, deutlich weniger bei Donum Vitae. 2021 gab es 1289 Schwangerschaftskonfliktberatungen in Dortmund. Mit welchem Ergebnis sie enden, wissen die Beraterinnen nicht.
Doch 85 Prozent, so die deutschlandweiten Schätzungen, enden mit einem Abbruch. Das ist rechnerisch auch in Dortmund jede sechste Schwangerschaft. Doch ungewollt Schwangere müssen nicht nur das obligatorische, aber ergebnisoffene Beratungsgespräch führen, sondern sie müssen nach der oft schwierigen Entscheidung erst einmal einen Arzt oder eine Ärztin finden, die den Eingriff vornimmt; denn Ärzte dürfen es, aber müssen es nicht.
Schwerpunktthema bei Kommunaler Gesundheitskonferenz
Dieses Problem war auf Antrag der Grünen im Sozialausschuss des Rates auch eines der Schwerpunkthemen bei der Kommunalen Gesundheitskonferenz (KGK) Ende Juni in Dortmund. Die 20 Expertinnen und Experten kamen zu dem Fazit, dass die Versorgungslage in Dortmund, was Schwangerschaftsabbrüche betrifft, unzureichend ist. Auch weil darunter Frauen sind, die aus der näheren Umgebung wie dem Sauerland und der Eifel, aus Lünen und Selm anreisen.
Nach Angaben der Beratungsstellen von Awo und Sozialem Zentrum gibt es nur zwei Ärztinnen und einen Arzt in Dortmund, die einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen, laut Stefan Kuster, Pressesprecher der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL) sind es fünf niedergelassene Ärzte und Ärztinnen.
Noch 2012 gab es neun Gynäkologen, die einen Abbruch vorgenommen haben. Von den verbliebenen sind einige schon Mitte bis Ende 50 und gehen in absehbarer Zeit in Rente. Das sei eine Generation von Ärztinnen und Ärzten gewesen, die damals gegen den Paragrafen 218 demonstriert hätten, sagt Maria Preuß: „Das war eine andere Zeit und eine andere Haltung.“
Hohe emotionale Belastung
Dortmund sei im Vergleich zu anderen Städten wie Lünen, Selm und Bork oder dem ländlichen Raum, wo es gar keine Abtreibungspraxen gebe, noch relativ gut versorgt - aber auch hier seien es zu wenige.
„Neben langen Wegen müssen die Frauen daher lange auf ihren Erstkontakt beziehungsweise Abbruchtermin warten. Dies stellt eine hohe emotionale Belastung für die Frauen dar“, sagt Maria Preuß, die bei der Gesundheitskonferenz für alle drei Beratungsstellen gesprochen hat. „Zusätzlich bedeutet es auch, dass die Schwangeren oft weder in Bezug auf die Methode des Abbruches noch auf den Ort eine Wahlfreiheit haben.“
„Die Frauen sind unter Druck und wollen, dass der Abbruch so schnell wie möglich durchgeführt wird“, berichtet Marina Samra. Schnell werde es zeitlich eng, wenn die Betroffenen erst nach einer Woche oder später einen Termin beim Gynäkologen bekämen, um die Schwangerschaft zunächst offiziell feststellen zu lassen.
Wunsch nach vertraulicher Behandlung
Die Beraterinnen greifen in akuten Lagen auch schon mal selbst zum Telefon, um einen Abtreibungstermin zu vermitteln, stoßen aber auch an Grenzen, wenn es einfach keine Termine gibt, weil zum Beispiel zwei Ärzte gleichzeitig im Urlaub sind.
Zuweilen versuchen die Beraterinnen auch, außerhalb Dortmunds einen Termin für den Abbruch zu bekommen, doch da sie nach dem Eingriff unter Narkose nicht Auto fahren dürften, seien die Frauen auf die Unterstützung anderer angewiesen. Der Wunsch nach vertraulicher Behandlung gehe so verloren. Marina Samra: „Für die Frauen ist das eine unheimliche Zumutung.“

Das gesamte Schwangerschafts(konflikt)beratungsteam im Sozialen Zentrum Dortmund unter der Leitung von Maria Preuß (r.). © Kolle
Aus Sicht der drei Dortmunder Beratungsstellen sind die Gründe, die zu der aktuellen Situation geführt haben, vielschichtig. Heute müssten Mediziner und Medizinerinnen, die Abbrüche vornähmen, vielerorts mit Ablehnungen bis zu Protestaktionen vor den eigenen Praxen rechnen. „Sie haben Angst“, so Maria Preuß. Andere lehnten den Eingriff aus ethischen oder religiösen Gründen ab.
Fehlende Räumlichkeiten
Zudem sei der Schwangerschaftsabbruch kein fester Bestandteil des Medizinstudiums, kritisiert Maria Preuß. Das könnte sich allerdings ändern; denn nach dem umstrittenen Werbeverbot für Abtreibungen, das der Bundestag im Juni aufgehoben hat, will Bundesfamilienministerin Lisa Paus laut Medienberichten den Eingriff in die ärztliche Ausbildung aufnehmen.
Es gibt für Ärzte aber auch praktische Hindernisse für Schwangerschaftsabbrüche. Das sind zum Beispiel fehlende Räumlichkeiten in Praxen. Sie vermissen eine räumliche, zentrale Infrastruktur, in der – wie in anderen Ländern – der Abbruch vorgenommen werden kann, auch ohne Sorge vor Repressalien vor der eigenen Praxistür.
Zu den Wünschen von Ärzten, die sich laut einer Erhebung die Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen vorstellen können, zählt auch der nach einem höheren finanziellen Anreiz.
KVWL-Sprecher: Vergütung weniger relevant
Dazu sagt KVWL-Sprecher Kuster auf Nachfrage: „Die Vergütung für Schwangerschaftsabbrüche ist vergleichbar mit anderen ambulanten Operationen. Sie ist je nach Aufwand sehr unterschiedlich, da die Frauen zum Teil mehrfach zu Nachuntersuchungen in die Praxis kommen.“
Auch der Schwangerschaftsfortschritt und die Art des Schwangerschaftsabbruchs – medikamentös oder operativ – spielten eine Rolle für die Höhe des Behandlungsaufwands und dementsprechend für die Vergütung.
Vor diesem Hintergrund, so Kuster, sei für die Zahl der Frauenärzte, die Abbrüche durchführten, der monetäre Aspekt weniger relevant. Er kommt ebenfalls zu dem Schluss: „Für den operativen Schwangerschaftsabbruch spielt zum Beispiel eine Rolle, dass der Arzt oder die Ärztin über ambulante operative Behandlungsmöglichkeiten verfügen muss – dies ist aber nicht immer der Fall.“
„Keine andere Wahl, als schwanger zu bleiben“
Die Kommunale Gesundheitskonferenz hat nun das Gesundheitsamt federführend beauftragt, unter Beteiligung der Beratungsstellen Gespräche mit allen Beteiligten zu führen: mit den niedergelassenen Ärzten, der KVWL und den Dortmunder Kliniken mit gynäkologischen Abteilungen.
Dr. Frank Renken, Leiter des Gesundheitsamtes und stellvertretender Vorsitzender der Konferenz: „Wir werden zunächst klären, welches die wesentlichen Gründe in unserer Stadt sind, die zu dieser unzureichenden Versorgungslage geführt haben.“ Er gehe davon aus, dass man die Diskussion dann gemeinsam mit den für die Versorgung zuständigen Personen und Strukturen lösungsorientiert weiterführen könne.
Damit den Beraterinnen nicht mehr ungewollt schwangere Frauen gegenübersitzen, die, weil sie keinen Termin für einen Abbruch bekommen, resigniert sagen: „Wenn das so geregelt ist, bleibt einem keine andere Wahl, als schwanger zu bleiben.“
Der Schwangerschaftsabbruch
- Ein Schwangerschaftsabbruch gilt gemäß § 218 StGB grundsätzlich als strafbar. Dieser Strafbestand greift nicht, wenn die betroffene Frau mindestens drei Tage vor dem Eingriff eine Beratung nach § 219 StGB wahrgenommen hat und der Eingriff innerhalb einer Frist von 12 Wochen nach der Empfängnis durch einen Arzt bzw. eine Ärztin durchgeführt wird.
- Die Beratung muss in einer Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle durchgeführt werden. Diese erfolgt ergebnisoffen und vertraulich.
- Die Beratung dient dem Schutz des ungeborenen Lebens, soll zur Entscheidungsfindung dienen und erläutert die Rechtslage.
- Darüber hinaus erhalten die Ratsuchenden Hinweise zu Möglichkeiten der Kostenübernahme sowie zu Verhütungsmitteln (Verhütungsmittelfonds in Dortmund).
Stellvertretende Leiterin der Dortmunder Stadtredaktion - Seit April 1983 Redakteurin in der Dortmunder Stadtredaktion der Ruhr Nachrichten. Dort zuständig unter anderem für Kommunalpolitik. 1981 Magisterabschluss an der Universität Bochum (Anglistik, Amerikanistik, Romanistik).
