Sexuelle Gewalt gegen Frauen in Dortmund nimmt zu - Kampagne soll helfen

© Peter Bandermann

Sexuelle Gewalt gegen Frauen in Dortmund nimmt zu - Kampagne soll helfen

rnGewalt gegen Frauen

Vergewaltigung, sexuelle Nötigung, Missbrauch: Immer mehr Männer in Dortmund begehen Sexualstraftaten, um Macht auszuüben, Frauen zu erniedrigen. Eine neue Kampagne will Abhilfe schaffen .

Dortmund

, 20.05.2019, 17:30 Uhr / Lesedauer: 4 min

Jahrzehnte mussten Frauen um eine Reform des Sexualstrafrechts ringen. Im Jahr 2016 feierten sie den Erfolg: Der Deutsche Bundestag verschärfte das Strafgesetzbuch. Der neue Paragraf 184i definiert die „sexuelle Belästigung“ neu, um das Angrapschen unter Strafe zu stellen.

Immer mehr Frauen zeigen solche Taten an: 2017 waren es laut Polizei in Dortmund 136 Fälle, 2018 schon 218, die zur Anzeige kamen. Dazu kommen weitere Sexualdelikte wie die Vergewaltigung oder der sexuelle Missbrauch.

Opfer durchbrechen das Schweigen

Mit einer auf Dauer angelegten Kampagne will der Verein „Frauen helfen Frauen“ die Täter dazu bewegen, die Straftaten erst gar nicht zu begehen – und Frauen dazu ermutigen, ihr Schweigen zu durchbrechen, Hilfe anzunehmen und zurück ins Leben zu finden. „Nein heißt Nein“, lautet die Parole, die sich an Täter und Opfer gleichermaßen richtet. Das „Nein“ für den Mann spricht ein Verbot aus. Das „Nein“ für die Frau sagt klipp und klar: Ein Übergriff ist nicht zu akzeptieren – sie hat das Recht sich zu wehren.

An keinem Ort müssen die Opfer sexualisierter Gewalt das Leid erdulden. Nicht in der Familie. Nicht unter Freunden. Nicht in der Firma. Doch es sind genau diese Milieus, die Frauen zögern lassen, weil sie gegen den Partner, gute Bekannte oder Familienmitglieder vorgehen müssten. „Die sexualisierte Gewalt und ihre Folgen wird noch viel zu oft verschwiegen“, sagt Claudia Ebbers vom Verein „Frauen helfen Frauen“. Zu oft werde den Betroffenen nicht zugehört und ihnen nicht geglaubt – genau das schützt die Täter, die Macht ausüben und ihre Opfer erniedrigen wollen.

„Nein heißt Nein“ will diese Barrikaden einreißen. Anfangs war dieser Titel eine Vision. Jetzt ist er der Name einer Kampagne, über die Bürgermeisterin Birgit Jörder als Langzeit-Unterstützerin sagt: „Die sexualisierte Gewalt ist ein Thema, das bleiben wird. Viele von uns haben das Glück, diesem Problem nicht ausgesetzt zu sein. Aber: So schlimm es ist, wir müssen es an uns heranlassen und den betroffenen Frauen von unserer Ruhe und Kraft etwas abgeben.“

Kampagne braucht viele Stimmen

Die Bürgermeisterin bittet Dortmunder Vereine, Institutionen und Behörden deshalb, die „Nein heißt Nein“-Kampagne der Frauenberatungsstelle finanziell, ideell oder medial zu unterstützen, damit die eindeutige Bedeutung des Wortes „Nein“ in die Köpfe eindringt. Das Einbinden des Kampagnen-Titels auf der eigenen Internetseite könne ein erster einfacher Schritt sein, um der Botschaft zu mehr Reichweite zu verhelfen.

"Damit es eine solidarische Bewegung wird, brauchen wir noch mehr Unterstützer" - Martina Breuer vom Verein „Frauen helfen Frauen“ bittet Privatpersonen, Schulen, Unternehmen, Vereine und Behörden darum, sich der Kampagne anzuschließen.

"Damit es eine solidarische Bewegung wird, brauchen wir noch mehr Unterstützer" - Martina Breuer vom Verein „Frauen helfen Frauen“ bittet Privatpersonen, Schulen, Unternehmen, Vereine und Behörden darum, sich der Kampagne anzuschließen. © Peter Bandermann

„Nein heißt Nein“ steht bereits auf Aufklebern, Armbändern, Postkarten und Plakaten. Aufmerksamkeit erzeugen wollen die Frauen bei Juicy Beats, auf dem Micro-Festival, bei Dortbunt und im Internet. Martina Breuer von der Frauenberatungsstelle: „Wir sind ein kleiner gemeinnütziger Verein. Ohne Unterstützer kann die Kampagne nicht funktionieren.“

Unterstützer seit vielen Jahren sind der Zonta-Club Dortmund, das „unternehmen online“ und die Agentur „punkt 4 GmbH“. „Zonta feiert im November 2019 das 100-jährige Bestehen. Von Anfang haben wir Projekte unterstützt, die von Gewalt betroffene Frauen schützen“, berichten Gabriele Brübach und Sigrun Rottmann.

Sponsoren und Unterstützer seit vielen Jahren (von links): Dominic Steinkretzer (Agentur Punkt 4 GmbH), Gleichstellungsbeauftragte Maresa Feldmann, Alexandra Thietz (Unternehmen Online), Gabriele Brübach (Zonta Dortmund) und Bürgermeisterin Birgit Jörder.

Sponsoren und Unterstützer seit vielen Jahren (von links): Dominic Steinkretzer (Agentur Punkt 4 GmbH), Gleichstellungsbeauftragte Maresa Feldmann, Alexandra Thietz (Unternehmen Online), Gabriele Brübach (Zonta Dortmund) und Bürgermeisterin Birgit Jörder. © Peter Bandermann

Das „unternehmen online“ unterstützt schon seit vielen Jahren mehrere soziale Projekte in Dortmund, seit zehn Jahren auch schon den Verein „Frauen helfen Frauen“. „Das hier ist ein sehr wichtiges Thema. Man muss es einfach unterstützen“, sagt Alexandra Tietz – und fordert Dortmunder Unternehmen auf, mitzuziehen.

Für Dominic Steinkretzer von der „punkt 4 GmbH“ gehört die Unterstützung sozialer Projekte zur Unternehmenskultur seiner Agentur. „Wir haben es mit einem alltäglichen Problem zu tun, es betrifft alle gesellschaftlichen Gruppen und es hat einen regionalen Bezug. Also helfen wir“, sagt er.

Brüche und Verbrennungen

Gewalt bekommen die Opfer vielfach zu spüren. Gemeint ist nicht nur das Angrapschen. Gemeint ist auch der Eingriff in die körperliche Unversehrtheit, die ein Grundrecht ist. Die Täter demütigen, beleidigen, prügeln, bedrohen, nötigen, kontrollieren, stalken vergewaltigen und töten. Die Frauenberatungsstelle erkennt „eine breite Palette von Kontroll- und Machtmitteln“. Die Folgen: Brüche, Wunden, Verbrennungen, Schmerzen, Narben, Angst, Panik, Depressionen, Suizidgedanken und -versuche.

Folgen hat die in der Familie ausgeübte Gewalt auch für Kinder. Sie zeigen auffälliges Verhalten, werden krank und leiden unter Entwicklungsverzögerungen und Defiziten in der Schule. Töchter, die Gewalt in ihrer Familie erlebt haben, sind einem deutlich höhere Risiko ausgesetzt, in der eigenen Beziehung erneut Opfer von Gewalt zu werden.

Hohe Dunkelziffer

Über die sexualisierte Gewalt gibt es kaum Studien, die das ganze Ausmaß wiedergeben. Laut einer Studie aus dem Jahr 2004 soll jede siebte in Deutschland lebende Frau davon betroffen gewesen sein. „Die Zahl aller Fälle kennen wir nicht, denn die Dunkelziffer ist sehr hoch“, berichtet Claudia Ebbers. Im Jahr 2016 hat die Frauenberatungsstelle 73 Frauen als Opfer sexualisierter Gewalt betreut.

Je besser die Öffentlichkeit über das Thema informiert ist, umso häufiger bitten Frauen in der Beratungsstelle um Hilfe. Weil sie Mut schöpfen. Häufig fließen in der Beratungsstelle an der Märkischen Straße die Tränen. Manche Frauen sind verzweifelt, haben Angst, kommen im Leben nicht mehr klar oder sind sogar aggressiv.

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„Wir sagen ihnen, dass das normale Reaktionen auf eine unnormale Situation sind. Wir sind in Gesprächen und Traumatherapie parteilich an der Seite dieser Frauen –und wir glauben ihnen.“, berichten Martina Breuer und Claudia Ebbers. Die Beratung soll Frauen befähigen, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen. Die Kampagne soll auch über das Beratungsangebot in den Räumen an der Märkischen Straße informieren.

Mehr als eine Verfehlung

Bis 2016 galt zum Beispiel das Angrapschen als beleidigende „Verfehlung“. Erst nach den Übergriffen in den Silvesternacht 2015/2016 in mehreren deutschen Großstädten gab es eine öffentliche Debatte über sexualisierte Gewalt. Vorher wurde den Institutionen, die eine Reform des Sexualstrafrechts forderten, kaum Gehör geschenkt.

Mit dem neuen Paragrafen 184i des Strafgesetzbuches ist laut Polizei Dortmund die Zahl der angezeigten Übergriffe deutlich gestiegen.

Tatorte sind neben dem privaten Umfeld laut Polizei auch Orte mit großen Menschenmengen (Festivals, Diskotheken, Busse, Bahnen). Die Täter sind laut Statistik der Polizei zwischen 16 und 30 Jahre alt. Begangen wird sexualisierte Gewalt von Männern aller Nationalitäten.

Franca Ziborowius steuert die "Nein heißt Nein"-Kampagne. Kontakt: Tel. 0231 / 52 29 98.

Franca Ziborowius steuert die "Nein heißt Nein"-Kampagne. Kontakt: Tel. 0231 / 52 29 98. © Peter Bandermann

Die Dortmunder Polizei rät:

  • Frauen sollten an potenziellen Tatorten aufmerksam sein und auf ihr Bauchgefühl achten. Ein selbstbewusstes und sicheres Auftreten kann schon einen Täter abschrecken. Trillerpfeifen oder Schrillalarm-Geräte sind gute Krachmacher.
  • Eine Anzeige ist wichtig: Sonst macht der Täter weiter. Die Anzeige ist hilfreich, weil die betroffene Frau mit der strafrechtlichen Aufarbeitung die Opferrolle verlassen kann. Mit einer Strafanzeige entstehen Ansprüche nach dem Opferentschädigungsgesetz.
  • Bei sexualisierter Gewalt rät die Polizei dazu, das Fachkommissariat „KK12“ oder die Kriminalwache einzuschalten. Kontakt: 0231/1320.
  • Das Kommissariat für Prävention und Opferschutz bietet Selbstsicherheitskurse für Frauen an. Kontakt: vorbeugung.dortmund@polizei.nrw.de
Die Frauenberatungsstelle benötigt pro Jahr 40.000 Euro an Spenden, um die Kosten decken zu können. Seit ihrer Gründung hat die Beratungsstelle mehr als 50.000 Frauen beraten. Spenden an: Förderverein Frauen helfen Frauen bei der Sparkasse Dortmund, IBAN: DE06 4405 0199 0211 0109 08. BIC: DORTDE33XXX.