Hände liegen auf einem Tisch

Zwei Dorstenerinnen erzählen, wie sie die Pflege ihre Ehepartners erleben. Für andere pflegende Angehörige haben sie einen wichtigen Rat. (Symbolbild) © picture alliance / Oliver Killig/dpa-Zentralbild/dpa

Pflegende Dorstenerin: „Ich möchte das nicht noch einmal durchmachen müssen“

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Laut einer aktuellen Studie des VdK sind immer mehr pflegende Angehörige stark überlastet. Zwei Dorstenerinnen erzählen aus ihrem Alltag als Pflegende und geben anderen einen wichtigen Rat.

Dorsten

, 22.08.2022, 11:00 Uhr / Lesedauer: 4 min

Mehr als ein Drittel der pflegenden Angehörigen fühlt sich stark belastet, viele von ihnen sind weiblich, im Rentenalter und vernachlässigen ihre eigene Gesundheit. Das sind Ergebnisse einer groß angelegten Befragung des VdK unter pflegenden Angehörigen, die im Mai veröffentlicht wurde. Wir haben zwei Dorstenerinnen besucht, die selbst pflegen und sie mit der Studie konfrontiert.

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Eine von ihnen ist die 72-jährige Heike Bodenbach. Sie pflegt ihren 83-jährigen Mann Klaus (alle Namen geändert), der an Demenz erkrankt ist. Vor rund sechs Jahren bemerkte sie die ersten Auffälligkeiten an ihrem Mann. Er war oft störrisch, vergaß immer wieder Kleinigkeiten - es gab häufig Streit.

„Ich wusste, da stimmt was nicht, aber niemand hat mich richtig ernst genommen. Viele haben eine falsche Vorstellung von Demenz. Das war sehr belastend“, erzählt Bodenbach. 2018 sei bei ihrem Mann dann endlich eine beginnende Demenz diagnostiziert worden.

„Am liebsten hätte ich die Tapeten von den Wänden gerissen“

Vor der Diagnose war die Dorstenerin sehr aktiv, ehrenamtlich engagiert und reiste viel. „Mir war schnell klar, dass jetzt unser ganzes Leben umgekrempelt wird. Am liebsten hätte ich die Tapeten von den Wänden gerissen“, erinnert sie sich.

Bodenbach gestand sich relativ schnell ein, dass sie sich Hilfe holen musste. „Ich glaube, dass sich viele pflegende Angehörige so überlastet fühlen, weil sie sich keine Hilfe holen. Das ist eine Hol-Schuld – die Angebote sind nämlich da“, sagt die 72-Jährige.

Sie selbst landete damals beim Dorstener Caritasverband. Dort riet man ihr, schon jetzt einen Pflegegrad zu beantragen. „Da wäre ich selbst nicht draufgekommen“, so Bodenbach. Mittlerweile hat ihr Mann Pflegegrad 2 zugesprochen bekommen.

Angehörigentreffen und Gedächtnistraining

Einmal im Monat besucht Heike Bodenbach den Gesprächskreis für pflegende Angehörige der Dorstener Caritas, um sich mit anderen auszutauschen. Auch Angebote der Caritas für ihren Mann – wie das Demenz-Café oder das Gedächtnistraining - nutzt sie.

Zudem besucht Klaus Bodenbach viermal in der Woche eine Tagespflege-Einrichtung. Regelmäßige Unterstützung erhält seine Frau auch durch eine Betreuerin zu Hause. Sie spielt mit ihrem Mann Karten, geht mit ihm spazieren, bringt ihn zu Arztterminen.

„Tagespflege und die Betreuerin sind eine enorme Entlastung. Ich kann nur für meinen Mann etwas tun, wenn es auch mir gut geht“, sagt die 72-Jährige. Sie habe lernen müssen, ihren Mann nicht mehr bei allen Entscheidungen einzubeziehen, sondern zu versuchen, in seinem Sinne zu entscheiden.

„Wir leben in zwei Welten“

„Wir sind kein Paar mehr, wie wir es mal gewesen sind. Wir leben in zwei Welten – in meine hole ich ihn nicht mehr zurück und in seine möchte ich nicht. Wir können nur füreinander da sein, schöne Dinge miteinander teilen und jeden Tag so nehmen wie er kommt“, sagt Heike Bodenbach.

Dass man als pflegende Angehörige auf sich selbst achten muss, hat auch die heute 86-jährige Renate Werner erleben müssen. Vor etwa drei Jahren fing ihr damals 81-jähriger Mann Heinz (alle Namen geändert) mehr oder minder plötzlich an, Dinge zu vergessen, Sachverhalte nicht mehr zu verstehen.

„Das machte ihn sehr ungehalten und er ließ es an mir aus“, erinnert sich Renate Werner. Relativ schnell stand die Diagnose Demenz fest. Ihr Arzt empfahl, bei der Caritas um Hilfe zu bitten. Vier Monate besuchte er das dortige Demenzcafé, bis auch das nicht mehr ging und er stattdessen regelmäßig eine Tagespflegeeinrichtung besuchte. Seine Frau tauschte sich beim Angehörigentreffen mit anderen Pflegenden aus.

„Der Austausch tat mir gut, die Tagespflege war für uns beide wichtig – er hatte was zu tun, ich konnte durchschnaufen. Es ist ein Segen, dass es so etwas gibt“, sagt die Dorstenerin. Fast zwei Jahre pflegte sie ihren Mann zu Hause – kam selbst kaum vor die Tür.

Pflegende wurde selbst krank

Als Renate Werner dann doch einmal für zwei Wochen mit ihrer Enkelin in den Urlaub fuhr und ihren Mann für diese Zeit in die Kurzzeitpflege brachte, bekam sie starke Nervenschmerzen. „Bei mir ging nichts mehr, ich brauchte selbst Hilfe“, erinnert sie sich.

Zu dieser Zeit war die Demenz bei ihrem Mann schon stark fortgeschritten. Er verstand kaum noch etwas, erkannte sie oft nicht mehr. Renate Werner wagte den Schritt und brachte ihn in einer Demenz-WG unter. „Es ging zu Hause einfach nicht mehr. Er lief mir die ganze Zeit in jeden Raum hinterher. Sein Umzug in die WG war eine große Erleichterung“, erzählt die 86-Jährige.

Der Zustand ihres Mannes verschlechterte sich daraufhin weiter. Er war sehr verwirrt, äußerte selbst, dass er nicht mehr leben wolle. Nach einem Sturz samt Kopfverletzung landete er im Krankenhaus, wo er am 18. Februar 2022 verstarb.

Zur Ruhe kommen und erholen

„Für ihn war das ein Segen, denn er wollte nie bettlägerig werden“, sagt seine Frau. So langsam komme sie auch zur Ruhe, könne sich selbst etwas erholen. „Das alles hat mich wirklich fertig gemacht und ich möchte es nicht noch einmal durchmachen müssen“, sagt sie.

Jetzt, ein halbes Jahr später, verspürt sie auch Trauer: „Ich vermisse meinen Ehemann, nicht aber den Demenzkranken.“ Fast drei Jahre habe sie sich seiner Krankheit unterordnen müssen, habe ihre „Pflicht erfüllt“, seine Launen ausgehalten. „Anderen pflegenden Angehörigen kann ich nur raten, sich früh Hilfe zu holen und sich gut zur organisieren “, sagt sie.

Mechthild Enstrup-Schlimbach vom Ambulanten Seniorendienst des Caritasverbandes Dorsten

Mechthild Enstrup-Schlimbach vom Ambulanten Seniorendienst des Caritasverbandes Dorsten erlebt, dass viele pflegende Angehörige sich viel zu spät Hilfe holen. © Manuela Hollstegge

Sich möglichst früh Hilfe zu holen, ist auch der wichtigste Tipp, den Mechthild Enstrup-Schlimbach vom Ambulanten Seniorendienst des Dorstener Caritasverbandes Angehörigen mit auf den Weg gibt: „ Viele warten viel zu lange und sind dann schon so erschöpft, dass man gar nicht mehr richtig helfen kann.“

Die Psychosoziale Beratung und Begleitung für Pflegebedürftige und Pflegende bei der Caritas ist für alle kostenlos und hat das Ziel, dass Erkrankte so lange wie möglich zu Hause leben können und Pflegende Unterstützung erhalten.

Demenz als Tabu-Thema

Enstrup-Schlimbach erlebt bei ihrer Arbeit Demenz häufig immer noch als Tabu-Thema. „Freunde wenden sich ab, weil sie mit der Krankheit nicht umgehen können. Auch Angehörige müssen das erst einmal lernen“, erzählt sie. Denn oftmals ginge die Krankheit auch mit einer Wesensveränderung einher, die sehr belastend seien könne.

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Neben dem Hilfeholen sei das Wichtigste für die Pflegenden daher, nicht zu hohe Erwartungen an sich selbst zu haben und sich Zeit für die Selbstfürsorge zu nehmen. „Man verliert sich sonst ein Stück weit und das kann sich dann auch auf die eigene Gesundheit auswirken – Rückenprobleme und häufige Infekte sind unter pflegenden Angehörigen keine Seltenheit“, so Enstrup-Schlimbach.

  • Mehr Informationen zu Hilfeleistungen des Caritasverbandes Dorsten gibt es unter www.caritas-dorsten.de. Kontakt zu Mechthild Enstrup-Schlimbach gibt es unter Tel. (02362) 91 87 24.
  • Der Ambulante Seniorendienst der Caritas informiert am 26. August (Freitag) auf dem Wochenmarkt in Holsterhausen über seine Angebote.
  • Allgemeine Informationen für Pflegende gibt es zudem unter www.zuhause-leben-im-alter.info.