
© Petra Berkenbusch
Alleine wohnen und selbstbestimmt leben trotz geistiger Behinderung
Ambulant Unterstütztes Wohnen
Behindert zu sein, muss nicht automatisch heißen, für immer im Wohnheim oder bei den Eltern wohnen zu müssen. Für ein selbst-bestimmtes Leben braucht es aber manchmal Helfer.
Nathalie wohnt noch bei ihren Eltern, aber das soll bald ein Ende haben. Die Kauffrau für Bürokommunikation ist auf der Suche nach einer eigenen Wohnung, aber das ist nicht leicht. Die 27-Jährige ist Autistin, hat trotz ihrer Ausbildung auf dem ersten Arbeitsmarkt bisher nicht Fuß fassen können. Sie arbeitet in der Behindertenwerkstatt. „Da fühle ich mich wohl, aber ich würde gerne nicht mehr abhängig sein vom Amt“, erklärt sie beim Treffen in den Räumen der Lebenshilfe an der Suitbertusstraße.
Nathalie ist nicht die einzige Klientin des Ambulant Unterstützten Wohnens, die an einem Dienstagnachmittag bereit ist, Auskunft zu geben über die Arbeit der Lebenshilfe und die Wohn-Probleme von Menschen mit Behinderungen. Wir einigen uns darauf, dass in der Zeitung nur ihre Vornamen erwähnt werden, und hoffen, dass daraus niemand die Erlaubnis ableitet, behinderte Menschen einfach duzen zu dürfen.
Lebenshilfe hat keine eigenen Wohnungen zu vergeben
Nathalie, die andere Menschen am liebsten auf Abstand hält und aufgrund ihrer Erkrankung oft sehr ernst erscheint, mag es, komplett alleine zu leben. „Mama ist halt irgendwie immer da“, beschreibt sie den Zustand bei den Eltern. Aber es sei nicht leicht für Menschen mit einer Behinderung, eine Wohnung zu finden.
Das bestätigt Oliver Gellenbeck zwar, berichtet aber auch von Vermietern, die sich bewusst an die Lebenshilfe wenden und Wohnraum für deren Klienten anbieten. Für Amella war bisher leider noch nicht das Passende dabei. Die Rentnerin wohnt in einer Wohngemeinschaft, die sie aber gern verlassen würde. Sie scheut das Alleinsein nicht, wenngleich ihr im Ruhestand schon manchmal langweilig sei.
Zu Marcel kommen die Betreuer jede Woche neun Stunden
Mehr Glück mit der Wohnung hatte Marcel: Seit dem 25. April 2013 lebe er nun schon in den eigenen vier Wänden, erzählt er wie aus der Pistole geschossen. Er fühle sich alleine sehr wohl. Neun Stunden Betreuung pro Woche hat er mit der Lebenshilfe vereinbart. „Zu mir kommen fünf Mitarbeiter“, berichtet er selbstbewusst.
Hilfe beim Online-Banking oder bei Einkäufen stünden dann auf dem Programm. Wenn der Verkäufer im Elektronik-Markt sich jedoch ausschließlich an den Betreuer wendet, macht Marcel auch schon mal darauf aufmerksam, dass er der Kunde sei.
Betreuer wollen sich nach und nach überflüssig machen
So selbstbewusste Auftritte freuen die Mitarbeiter, die Sozialarbeiter, Heilerziehungspfleger, Ergotherapeuten oder Studenten sind. Denn ihr Ziel sei es schließlich, erklärt Oliver Gellenbeck, sich nach und nach überflüssig zu machen. „Wir trainieren mit unseren Klienten eigentlich, dass wir eines Tages nicht mehr kommen müssen, sie aber zumindest das erreichte Maß an Selbstständigkeit erhalten können.“

Seit 2019 sind die Mitarbeiter des ambulantes Dienstes mit dem von der „Aktion Mensch“ gesponserten Fahrzeug unterwegs. © Lebenshilfe
33 Klienten werden zurzeit von den zwölf Mitarbeitern betreut.
Luisa gehört dazu, ist mit ihren 22 Jahren beim Treffen das „Küken“ in der Runde. Sie bekommt Hilfe im Haushalt, beim Einkaufen, bei Arztterminen, aber auch Begleitung in der Freizeit - montags bis donnerstags. Am Wochenende komme sie allein zurecht.
Manchmal ist doch die Mama noch gefragt
„Und dann ist ja auch immer noch meine Mom da, wenn mal was ist“, erzählt Luisa. Sie lernt Hauswirtschaft und Altenpflege-Hilfe und hofft auf einen festen Job, wenn die Ausbildung in einem Jahr geschafft ist. Die teilweise schwere Arbeit in der Pflege falle ihr leicht. „Mein Kopf ist ja krank“, erklärt sie. „Mein Körper nicht.“
Schwer arbeiten - das tut Dieter schon lange. Seit 1999 ist er als Hilfsarbeiter im Metallwerk Kleinken beschäftigt. Das gefällt ihm ebenso wie das selbstständige Leben in der eigenen Wohnung, bei dem ihm die Lebenshilfe unterstützt. Da geht es ihm wie Sven, der schon seit zehn Jahren von der Lebenshilfe betreut wird und Hilfe bekommt beim Einkaufen und bei Abrechnungen. Er berichtet: „Wir gehen auch spazieren.“
Neue Broschüre ist in „Leichter Sprache“ verfasst
Der Kontakt zwischen den Menschen mit Behinderung und der Lebenshilfe kommt ganz unterschiedlich zustande. Oliver Gellenbeck: „Manchmal melden sich die Familien, manchmal die Wohnheime oder Behindertenwerkstätten.“ Wenn die Idee zu einer eigenen Wohnung aufkommt, stellen sich viele Fragen, deren Beantwortung die Klienten im „Soziologensprech oder Beamtengeblabber“ (Gellenbeck) nicht gebrauchen können. Deshalb hat die Lebenshilfe neulich die Broschüre übers Ambulant Unterstützte Wohnen“ auch in „Leichter Sprache“ verfasst.
Kurze Sätze mit jeweils nur einer Aussage klären darüber auf, wie man Hilfe bekommen kann beim selbst-bestimmten Leben und woraus diese Hilfe bestehen kann. Im Heftchen gibt es auch schon erste Hinweise auf Fragen wie „Wer bezahlt die Wohnung und die Hilfen?“, „Wieviel Unterstützung bekomme ich?“
Wie umfangreich die Unterstützung durch die ambulanten Betreuer ist, wird übrigens in einem Gespräch zwischen dem Klienten und dem Kostenträger, dem Landschaftsverband, geklärt.
Geboren und geblieben im Pott, seit 1982 in verschiedenen Redaktionen des Medienhauses Lensing tätig. Interessiert an Menschen und allem, was sie anstellen, denken und sagen.
