Traditionslokal nicht zum ersten Mal vor dem Aus Wie aus Koch-Willms der Tanzpalast Mythos wurde

Wie aus dem Haus Koch-Willms einst der Tanzpalast Mythos wurde
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Es steht gerade schlecht um den Tanzpalast Mythos an der Borghagener Straße. Im 111. Jahr könnte das Traditionslokal – in dem Jahrzehnte lang das Haus Koch-Willms war und das inoffiziell noch immer diesen Beinamen trägt – schließen. Damit würde eine lange Geschichte enden.

Seit 2018 schon ist der TÜV der Brandschutz- und Lüftungsanlage im Saal abgelaufen. Das erklärte nun Marvin Michalek, der seit zwölf Jahren Pächter und Geschäftsführer ist. Die Kosten, die für die Instandsetzung anfallen, könnten in den „nicht gerade geringen fünfstelligen“ Bereich gehen. Ob die Eigentümer-Gemeinschaft bereit ist, das zu zahlen? Laut Pächter wohl eher nicht. Eher komme ein Abriss infrage.

Damit steht das Gebäude schon zum zweiten Mal vor einer unsicheren Zukunft. Damals, zwischen 2003 und 2005, wurde aus dem Koch-Willms der Tanzpalast Mythos. Aber der Reihe nach.

1914 erbaut

Wilhelm Koch begründete den Standort an der Borghagener Straße um 1900. Der Zimmerer schwamm mit auf der Woge des Aufschwungs, als bei uns die Zechen zu ungeahnter Blüte ansetzten. Er fertigte den Dachstuhl für die Stickstoff-Halle in Ickern, als Stickstoff noch Stickstoff war und es keine Ahnung gab, dass irgendwann mal erst die BASF kommen und dann die Ruhrkohle und deren Tochter die denkmalgeschützte Halle abreißen würde.

Und er setzte den Dachstuhl für St. Petri, die evangelische Kirche in Habinghorst, die seit vergangenem Jahr entweiht ist. Als die Zimmerleute auf ihrer Wanderschaft Station machten und sich an der Borghagener Straße beköstigen ließen, fassten Wilhelm Koch und seine Frau Emma den Entschluss, eine Gaststätte zu bauen. Neben dem Zimmerer-Betrieb gab es 1914 die Einweihung samt Kegelbahn. Doch dann wurde Wilhelm eingezogen und kam aus dem Ersten Weltkrieg mit Malaria zurück, starb 1930.

Koch-Wilms war bekannt für die großen Taubeneinsätze: "Riesengroß", sagt Helmut Orwat heute. Bei einem dieser Termine gelang dem Fotografen dieses Bild mit dem Mädchen und den Vögeln.
Koch-Wilms war bekannt für die großen Taubeneinsätze: "Riesengroß", sagt Helmut Orwat heute. Bei einem dieser Termine gelang dem Fotografen dieses Bild mit dem Mädchen und den Vögeln. © Foto: Helmut Orwat

Emma und ihr Schwager August Koch führten den Betrieb weiter, August übernahm die Zimmerei, Emma die Gastwirtschaft. 1933 wurde der erste Biergarten gebaut – mit einem Rosengarten und einer Tanzfläche im Freien, eine Idylle pur mit Rutsche, Schaukel und Springbrunnen.

Drei Mädels waren aus der Ehe von Wilhelm und Emma Koch hervorgegangen. Else, Hilde und Waltraud. Else heiratete 1935 den Gastwirt Rudolf Willms, der einst mit Ernst Kuzorra bei Schalke 04 Fußball spielte. Aus dieser Verbindung stammen die beiden Söhne: Werner und der gleichnamige Rudolf, der später lange die Gaststätte führte. Knapp zehn Jahre, bevor „Rudi“ 2014 starb, sprach er lange mit unserer Zeitung über sein Haus Koch-Willms.

Unzählige Vereine wurden in der Gaststätte geboren. Den Anfang machte 1935 der Billardverein Grün-Weiß Habinghorst. Nach dem Krieg kamen der Tischtennis-Verein Rot-Gold Ickern, der Deutsch-Österreichische Knappenverein, der Boxverein 47, der VdK, die Kaninchenzucht-, die Geflügelzucht-, die Schafzuchtvereine und die Abschlussbälle der Tänzer hinzu. 1947 wurde hier die Thekenmannschaft der KW-Buben gegründet, aus dem die Sportfreunde Habinghorst resultierten. Der ABC Habinghorst fand seine Wiege bei Koch-Willms, die Kegelvereine, erinnerte sich Rudolf Willms später, kamen wie die Briefmarkenfreunde, der Angelverein, der Haus- und Grundeigentümerverein, die Karnevalisten, die Schützen, der Haus- und Grundeigentümerverein, die Ferromatic-Leute, die Jäger, die Feuerwehr, Rütgers und viele weitere.

Drei Fernseher bei der WM 1954

1948 übernahm Else Willms die Gaststätte, weil ihr Mann nach dem Zweiten Weltkrieg in französischer Gefangenschaft starb, und der Name Koch-Willms wurde aus der Taufe gehoben. Rudolf Willms ging 1951 nach Dortmund zum „Holzknecht“ und trat wegen der Krankheit der Mutter 1952 in den Dienst des Familienbetriebs an der Borghagener Straße ein. Glorreiche Zeiten.

1953 hatte Koch-Willms als erste Gaststätte unserer Stadt einen Fernseher. Rudolf Willms: „Und das erste Radio hatten wir auch, wie Oma immer erzählt hat.“ Zur Fußballweltmeisterschaft 1954 flimmerten die unvergessenen Spiele gleich auf drei Bildschirmen, auch dank Elektro Breilmann und der verwandtschaftlichen Beziehungen. 1956 dann die epochale Investition: Der Saal wurde gebaut, mit zwei innen liegenden Kegelbahnen.

So sah Damenmode in den 1970er-Jahre aus: Angelika Nowitzki (r.) läuft hier 1975 in der Gaststätte Koch-Willms über den Laufsteg.
So sah Damenmode in den 1970er-Jahre aus: Angelika Nowitzki (r.) läuft hier 1975 in der Gaststätte Koch-Willms über den Laufsteg. © LWL-Medienzentrum für Westfalen/Helmut Orwat

An fünf Tagen wurde gekegelt, an zwei Tagen war der Saal frei für Veranstaltungen. Und es war proppenvoll, die Castrop-Rauxeler strömten zu Koch-Willms, die Vereine kamen ohne Unterlass. Die Reisevereinigung der Taubenzüchter mit über 300 Leuten suchte sich Koch-Willms aus, die Tauben-Garage für den ersten Taubenexpress wurde gebaut. 1958, erinnert sich Rudolf Willms, ging’s los mit öffentlichen Tanzveranstaltungen, die Sechs-Mann-Kapelle „Kolibris“ sorgte für Furore – in Habinghorst ging die Post ab.

Und dann 1968, drei neue Kegelbahnen wurden gebaut; der Saal war frei für Familienveranstaltungen und nichts musste mehr mit enormem Aufwand umgerüstet werden. 1968 gab es die erste Disko mit Diskjockey Charly Plücker, wie noch immer auf einem alten Plakat zu lesen ist. In den 1970er-Jahren wurden hier gar Modenschauen veranstaltet, wie sich das ehemalige Castrop-Rauxeler Model Angelika Nowitzki erinnerte.

Immer ging bei Koch-Willms die Post ab, gerade, auch wenn der traditionelle Altweiber-Karneval angesagt war; hier tanzten und feierten über 1000 Närrinnen und Narren gemeinsam. Auch Bands wie die Silverstrings gründeten sich hier und als Rudi Willms 2014 starb, schrieb sein Sohn Holger Willms bei Facebook: „Ohne sein Tanzlokal würden sich viele Ehepaare aus Castrop-Rauxel eventuell nicht gefunden haben.“

Das Ende vom Haus Koch-Willms

Trotzdem hat es nicht gereicht. Obwohl die Küche in der Gaststätte, die Annelie Willms nach der Heirat 1963 bis 1977 in Eigenregie geführt hat, immer hervorragende Kritiken erhielt. Warum? „Der erste Genickbruch war der Bau der Stadthalle“, sagte Rudolf Willms. Das war im Frühjahr 1976.

Der zweite kam, als Edelhoff nicht kam. Wie lange ist das her, dass der damalige Landesminister Uwe Matthiesen den Bau von Verbrennungsöfen auf dem Edelhoff-Gelände in Ickern ankündigte und die Vision ausgab, 1000 neue Arbeitsplätze entstünden, bis unser Stadtparlament seinen Beschluss kippte und ein klares Nein aussprach zum Mülltourismus.

In Spitzenzeit arbeiteten sieben Köche gleichzeitig im Haus Koch-Willms.
In Spitzenzeit arbeiteten sieben Köche gleichzeitig im Haus Koch-Willms. © Privat

Rudolf Willms hatte im Vertrauen auf die Ansiedlung schon Leute eingestellt. Weil er das Versprechen in der Tasche hatte, für den Kantinenbetrieb zuständig zu sein. Und dann kam wie Phönix aus der Asche Xscape. „Die Konkurrenz können wir nicht mehr schultern“, hatten ihm seine Söhne gesagt. Xscape ist nicht gekommen.

Aber die Söhne auch nicht wieder, um den Familienbetrieb weiterzuführen. „Es ist vorbei“, resümierte Rudolf Willms, „auch das Freizeitverhalten hat sich geändert“. Heute gingen die Menschen halt zum Italiener, zum Chinesen, zum Griechen, aber nicht mehr zu einem urdeutschen Betrieb.

Gebäude zwangsversteigert

So war zum Jahreswechsel 2002/2003 Schluss mit der Traditionsgaststätte Koch-Willms. Alle Bemühungen um eine Übernahme und Fortführung des Betriebs scheiterten. Und so sollte er im Dezember 2003 zwangsversteigert werden. Zu der Immobilie, die mit einem Verkehrswert von 550.000 Euro angegeben wurde, gehörten neben der Gaststätte der angebaute Saal, die dreizügige Kegelbahn, drei Wohnungen, vier Gästezimmer, Garagen und der Biergarten. Nur einen Bieter gab es nicht. Selbst die Hälfte des Verkehrswertes, also 275.000 Euro, wollte niemand zahlen.

Rund ein halbes Jahr später sah das anders aus. Für 315.000 Euro wechselte die Gaststätte vor einem voll besetzten Gerichtssaal den Besitzer. Viele wollten zuschauen. Und der Wunsch von Rudolf Willms, dass das Haus Koch-Willms in seinem Charakter bewahrt wird, ging in Erfüllung. Nur sollte aus der Gaststätte ein Tanzlokal werden. „Wir wollen alte Zeiten erwecken“, sagte Geschäftsführer Thomas Peitos in Namen der beiden 20 Jahre jungen Käufer Wassilios Peitos und Johannis Nestos. Und weiter: „Alle können sich wieder bei uns melden, für große Gesellschaften und natürlich auch zum Kegeln.“ Es sollte internationale Küche, Live-Veranstaltungen, Vereinsfeste und private Feiern geben – „nur keine Jugenddisco“.

Doch bis zur Eröffnung des Tanzpalastes Mythos, so der damals frische Name, sollte es noch bis 2005 dauern. Knapp ein Jahr lang wurde modernisiert. „Eine hohe sechsstellige Summe“ sei in die Räumlichkeiten geflossen. „Die teuersten Sachen sieht man nicht. Wir haben unheimlich viel in die Sicherheit, in Brandschutz und Rauchabzug, investiert“, berichtete Thomas Peitos. Heute, gut 20 Jahre später, ist es wieder der Brandschutz, der Probleme macht.

Olaf Bartecki (m.) war zunächst Chefkoch und später selbst Macher des Mythos.
Olaf Bartecki (m.) war zunächst Chefkoch und später selbst Macher des Mythos. © Privat

In der Zwischenzeit wurde zunächst Olaf Bartecki, der vorher Chefkoch bei den griechischen Betreibern war, zum Partner von Zoran Amann, der Eventmanager der Firma Ruhrkonzerte, war. „Wir wollen weg von der reinen Samstagabend-Disco und hin zu mehr Events“, war ihre Idee. Damit blieben sie nicht alleine.

Zum 100-jährigen Jubiläum 2014 hatte Marvin Michalek bereits die Geschicke an der Borghagener Straße übernommen und kündigte damals an: „Wir werden feiern wir früher.“ Und auch seitdem wurde wieder viel im Tanzpalast gefeiert. Zumindest bis vor ein paar Monaten. Seitdem ruht die traditionsreiche Gaststätte. Ihre Zukunft ist ungewiss.

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