Zwischen Entlassungen und Rekord-Investitionen Wie geht es Chemie-Konzern Rain Carbon wirklich?

Rain Carbon streicht Stellen: Chemie-Unternehmen in der globalen Zange
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Rain Carbon beschäftigt allein in Castrop-Rauxel 424 Mitarbeiter. Darunter sind 65 Auszubildende. Es gibt außer der Stadtverwaltung und den Krankenhaus-Gesellschaften kein Unternehmen in der Stadt, das mehr Beschäftigte hat. In manchen Segmenten ist das auf 100 Hektar befindliche Werk in der Chemieindustrie in seinen Segmenten Marktführer in Europa und auch weltweit vorn dabei.

Zuletzt gab es gute und schlechte Nachrichten: 2019/20 tätigte das inzwischen in den USA sitzende Mutterunternehmen die größte Einzel-Investition aller Zeiten am Standort Castrop-Rauxel: Man baute eine neue Produktionsanlage (HHCR) für die Destillation wasserklarer Harze. Jetzt kam Landes-Industrieministerin Mona Neubaur vorbei, um Wertschätzung auszudrücken und Probleme zu besprechen. Denn zuletzt überwog nach außen eher ein negatives Gefühl: Es werden Stellen gestrichen. Und zwar fast 10 Prozent an den deutschen Standorten in Castrop-Rauxel und Duisburg.

Wie geht es dem Unternehmen nun wirklich? Wir haben uns Stimmungen und Fakten angehört und angesehen.

Geschäftsführer Dr. Christoph Börner (r.) empfing im Juni Industrieministerin Mona Neubaur (Grüne), Bürgermeister Rajko Kravanja und andere Vertreter von Land und Stadt bei Rain Carbon.
Besuch bei Rain Carbon in Rauxel und Bladenhorst: Das Chemiewerk mit Geschäftsführer Dr. Christoph Börner (r.) empfing im Juni 2024 NRW-Industrieministerin Mona Neubaur (Grüne), Bürgermeister Rajko Kravanja und andere Vertreter von Land und Stadt. © Tobias Weckenbrock

„Die Rain Carbon Germany GmbH hat heute (Freitag, 7. Juni 2024) die Belegschaft der Werke Castrop-Rauxel und Duisburg im Rahmen einer Informationsveranstaltung vor Ort über geplante Personalanpassungsmaßnahmen informiert. Die geplanten Anpassungsmaßnahmen wurden gemeinsam mit den Arbeitnehmervertretern beider Werke und der Gewerkschaft IGBCE mit dem Ziel entwickelt, beide Standorte zukunftsfähig zu machen und betreffen 54 der derzeit 570 Arbeitsplätze. Die gemeinsame Einigung war das Ergebnis einer mehrmonatigen gemeinsamen Analyse zwischen der Unternehmensleitung und den Arbeitnehmervertretern sowie der Gewerkschaft.“

Mit diesem Statement ging das US-amerikanische Unternehmen an jenem Tag an die Öffentlichkeit. Schon vorher waren aus internen Kreisen Infos durchgesickert. Es ist zwar von „zukunftsfähig“ die Rede. Aber unter dem Strich bleibt für viele in der Belegschaft, dass 54 Menschen weniger beschäftigt werden (können). Ist es ein Gesundschrumpfen? Eine „Marktanpassung“? Oder ist es ein Abschied auf Raten vom Chemie-Standort Castrop-Rauxel?

Das wäre bitter. Die Stadtverwaltung betont immer wieder die Bedeutung dieses Chemiewerks. Klar, denn Hunderte Familien hängen direkt wirtschaftlich davon ab. Weitere Dienstleister haben indirekt etwas davon, dass Rain Carbon, einst bekannt als Rütgers, in Castrop-Rauxel erfolgreich ist. Und auch die Begleiterscheinung, dass hier ein Standort für die größte und effizienteste Windkraftanlage der Stadt ist, errichtet und in Betrieb gegangen im Jahr 2020 mit fast 200 Metern Höhe, spielt bei alledem eine Rolle.

In Zukunft vielleicht noch mehr. Rain Carbon ist wichtiger Partner. Bürgermeister Rajko Kravanja sagte jüngst im Betrieb: „Ich fühle mich hier wie zu Hause.“ Auf unsere Frage danach, wie man miteinander auskommt, meinte er, man arbeite „seit Monaten sehr intensiv“ zusammen. „Wir haben ein starkes Interesse aneinander. Es ist an vielen Stellen eine Win-Win-Situation. Wir profitieren zum Beispiel von den Kompetenzen, was ein Fernwärmenetz angeht.“ Letztlich sei es ein natürlicher Selbsterhaltungstrieb, dass man miteinander spreche. Auch durch die Corona-Pandemie, als man eng kooperierte, sei die Zusammenarbeit gewachsen.

Mona Neubaur mit Unternehmens-Vertretern, unter anderem Werksleiter Carsten Grabosch (2.v.l.), Geschäftsführer Christoph Börner (3.v.r.) und Betriebsrats-Vorsitzender Ulrich Sternemann (2.v.r.), dem Landtagsabgeordneten und Staatssekretär Josef Hovenjürgen (M.), Bürgermeister Rajko Kravanja und Wirtschaftsförderer Jens Langensiepen (r.).
Mona Neubaur mit Unternehmens-Vertretern, unter anderem Werksleiter Carsten Grabosch (2.v.l.), Geschäftsführer Christoph Börner (3.v.r.) und Betriebsrats-Vorsitzender Ulrich Sternemann (2.v.r.), dem Landtagsabgeordneten und Staatssekretär Josef Hovenjürgen (M.), Bürgermeister Rajko Kravanja und Wirtschaftsförderer Jens Langensiepen (r.). © Tobias Weckenbrock

Erdgas-Verbrauch halbiert

Nach Corona ist der Begriff „Kommunale Wärmeplanung“ ein entscheidender Punkt, wo die Stadt Hilfe gut brauchen könnte: Bei Rain Carbon in Castrop-Rauxel werden jährlich 450 Gigawattstunden Energie verbraucht. Erzeugt wird sie mit Gas, aber der Anteil regenerativer Quellen wächst. Mit 17 Millionen Euro Investment habe man die CO₂-Emissionen von 2018 bis 2023 um 53 Prozent gesenkt, heißt es unternehmensseitig. Der Verbrauch von Erdgas sank von knapp 700 auf rund 330 GWh.

2014 baute man mit dem Energiekonzern Uniper eine Fernwärmestation auf dem Gelände, um Abwärme aus der Produktion für die Versorgung von Wohngebäuden im Umland einzusetzen. So werden das Hallenbad, das Rathaus und die Stadt- und Europahalle mit Heizwärme versorgt. „Man muss sich nicht täglich auf dem Schoß sitzen. Aber es ist wichtig, Vertrauen zueinander zu haben“, sagt Bürgermeister Rajko Kravanja. Es gebe „zwei, drei Ideen, die wir weiterspinnen müssen“. Ganz sicher geht es dabei auch um Wärme für mehr Gebäude im Stadtgebiet. Und um die Frage, welche Rolle Wasserstoff für die Energieversorgung der Zukunft konkret spielen kann.

Rain Carbon, ehemals als Rütgers bekannt, ist für den Wirtschaftsstandort Castrop-Rauxel von enormer Bedeutung.
Rain Carbon, ehemals als Rütgers bekannt, ist für den Wirtschaftsstandort Castrop-Rauxel von enormer Bedeutung. © Tobias Weckenbrock

„Über die Rahmenbedingungen“, sagte Christoph Börner, Geschäftsführer der Rain Carbon Germany GmbH, gefragt danach, worüber man mit der Politik sprechen müsse, wenn sie da ist. So wie Mona Neubaur im Juni. „Es war ein sehr fruchtbares Gespräch auf der Suche nach Möglichkeiten, sich zu helfen“, bilanzierte Börner. Es gehe darum, die Situation der Chemieindustrie am Standort NRW zu verbessern, damit man die gesellschaftliche und wirtschaftliche „Moll-Stimmung“ (Börner) loswerde. Die Energiepreise, die Bedingungen der Rohstofflieferung: Die Lage im weltweiten Wettbewerb sei nicht einfach.

Dennoch ist Börner selbstbewusst: „Innovation findet nach wie vor hier statt“, sagt der Chef, „nicht aufgrund von anderer staatlicher Förderung woanders. Aber das muss man weiterhin gangbar machen.“ Fördertöpfe müssten nicht nur da, sondern „auch zugreifbar sein, damit die Energiewende und die Industriewende hier gelingen kann“, so Börner gegenüber Mona Neubaur.

Die Grünen-Ministerin sagte bei ihrem Besuch, dass die Lage „nicht schön“ sei für global tätige Unternehmen in Europa. Sie steckten in einer Zange: Auf der einen Seite seien die USA, die extrem viel staatliches Geld in die Wirtschaft pumpten und so den Wettbewerb für sich zu beeinflussen versuchten. Auf der anderen Seite sei Asien mit geringeren gesetzlichen Auflagen und einer undurchsichtigen staatlichen Subventionierung. „Hier als Exporteur mithalten zu können, ist eine Herausforderung. Aber es gibt viel Grund zu Zuversicht“, sagte Neubaur.

Rain Carbon habe verstanden, dass es in die Energiewende investieren müsse. „Sie können sich da sehen lassen“, so Ministerin Neubaur in Richtung Geschäftsführer Christoph Börner und Werksleiter Carsten Grabosch. Erneuerbare Energien gäben Unternehmen Planungssicherheit, weil man damit Energiekosten festschreibe. „Die Frage der guten Rahmenbedingungen müssen Europa, Bund und Land beantworten; aber auch die Kommune. Wir fangen nicht bei nichts an, sondern investieren in diesen Standort; und das ist ein gutes Signal. Es gibt die Entschlossenheit von Rain Carbon und der Kommune, den Zukunftsplan zu erfüllen“, so Neubaurs Analyse.

Auf dem Gelände von Rain Carbon dreht sich seit einigen Jahren die größte Windkraftanlage in Castrop-Rauxel: Das Stadtwerke-Windrad ist 200 Meter hoch.
Auf dem Gelände von Rain Carbon dreht sich seit einigen Jahren die größte Windkraftanlage in Castrop-Rauxel: Das Stadtwerke-Windrad ist 200 Meter hoch. © Rain Carbon

Technologieführer im Upcycling

Rain Carbon positioniert sich als weltweit größter Hersteller und Technologieführer im Upcycling von Nebenprodukten aus der Kokerei, Raffinerie und Petrochemie. Das Unternehmen sei größter Hersteller von Steinkohlenteerpech, schreibt es über sich. Zu einer Zeit, als im Ruhrgebiet Steinkohle gefördert wurde, lagen die Rohstoffe vor der Tür. Das Vorgänger-Unternehmen Rütgers hatte es bei der Gründung Ende des 19. Jahrhunderts einfacher als die Entscheider von Rain heute. Inzwischen werden Petrolkoks und Kokskohle aus der Welt hierher geholt, um daraus zum Beispiel wasserklare Harze zu destillieren. Die werden in der Lebensmittel- oder Arzneimittel-Verpackungsindustrie weiterverarbeitet.

Man wolle alternative Rohstoffe finden, heißt es auf einer offenen To-Do-Liste des Unternehmens. Man wolle eine noch höhere Energieeffizienz erreichen. Man wolle leistungsfähigere und neue Endprodukte schaffen. Man wolle mit der Stadt das Fernwärmenetz ausbauen und zwei weitere Projekte verfolgen: mehr Windkraft und mehr Photovoltaik. 100 Hektar stehen dem Unternehmen am Standort insgesamt zur Verfügung. Womöglich ist da noch ein Ausbau drin.

Die HHCR-Anlage war die größte Einzelinvestition in der Geschichte von Rain Carbon. Sie ging 2019 an den Start. Hier werden wasserklare Harze in Pastillenform hergestellt.
Die HHCR-Anlage war die größte Einzelinvestition in der Geschichte von Rain Carbon. Sie ging 2019 an den Start. Hier werden wasserklare Harze in Pastillenform hergestellt. © Rütgers Germany

Rain sei ein „innovativer, zuverlässiger und verantwortungsvoller Partner“, heißt es in einer Broschüre der Rain Industries Ltd. Rund 50 Mitarbeiter werden jetzt in eine Auffang- und Transfergesellschaft entlassen. Dort werden sie weiter bezahlt und fortgebildet, damit sie mit etwa einem Jahr genügend Zeit haben, einen neuen Job zu finden. 11 freie Stellen im Unternehmen sollen ebenfalls aus diesem Kreise nach einer Umqualifizierung neu besetzt werden.

Die Job-Streichungen sind ein Anzeichen dafür, dass nicht alles rosig ist. Doch die 60 Millionen Euro, die in die 2019 in Betrieb genommene HHCR-Anlage investiert wurden, und weitere Millionen, die seither in andere Bestandteile des Werks flossen, waren und sind ein Bekenntnis zum Standort. Kürzlich erst war Unternehmens-Präsident Gerald Sweeney vor Ort.

Dr. Guenther Weymans war 2017 COO bei Rain Carbon in Castrop-Rauxel. Damals zeigte er, wie wasserklare Harze aussehen (Mitte). Sie sind eines der Produkte des Unternehmens.
Dr. Guenther Weymans war 2017 COO bei Rain Carbon in Castrop-Rauxel. Damals zeigte er, wie wasserklare Harze aussehen (Mitte). Sie sind eines der Produkte des Unternehmens. © Tobias Weckenbrock (2017)

Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel erschien ursprünglich am 9. Juli 2024.