Silvia Friedel kickt ein Stück Plastik beiseite. Es landet neben dem übrigen herumliegenden Müll. „Echt asozial“, sagt Friedel und setzt sich auf die Bank am Spielplatz im Hof. Neben ihr nickt ihre Nachbarin Martina Englisch. Dabei ist der Müll an dem Spielplatz in Castrop-Rauxel eines ihrer geringeren Probleme „Manchmal denke ich: Lass die Scheiß-Bude doch einfach verkommen“, sagt Englisch. „Kümmere dich einfach nur um deine eigene Wohnung. Aber wenn jeder so denkt, verkommt das Haus ja noch mehr.“ Seit 17 Jahren wohnt sie hier, Friedel sogar seit 40. Umziehen wollen sie nicht. Also streiten sie mit ihrem Vermieter – dem Immobilienkonzern LEG.

Seniorin schläft im Wohnzimmer
Drinnen setzen sich die beiden Frauen zu ihrer Nachbarin Erika Grein ins Wohnzimmer. „Seit einer Woche schlafe ich hier auf dem Sofa, weil das Schlafzimmer nicht mehr richtig warm wird“, sagt Grein. Auch Friedel berichtet von einzelnen kühlen Heizkörpern in ihrer Wohnung. Abends werde die Temperatur der Heizkörper ohne ihr Zutun gesenkt. „Im Moment frieren sich manche hier den Arsch ab.“ Mehrmals seien Handwerker da gewesen, doch dauerhaft seien die Probleme noch nicht gelöst. Ein abgebrochener Schlüssel im Schloss versperrt den Zugang zum Heizungskeller.
Die Treppen vor dem Haus sowie die Kellertreppe würden nicht mehr regelmäßig geputzt, seitdem die neue Reinigungsfirma übernommen habe. Eine Unterschriftenaktion in der Nachbarschaft sei von der LEG ignoriert worden. Sie hatten gefordert, wieder zur vorherigen Reinigungsfirma zu wechseln. Briefe an den LEG-Vorstand seien unbeantwortet geblieben. „Ich weiß nicht, ob sie die einfach aussortieren und schreddern“, sagt Englisch.

Mängel, Müll und miese Stimmung
Vor der Haustür hat sich, als kürzlich alles eingeschneit war, ein Lieferwagen festgefahren. „Der hat zweieinhalb Stunden lang georgelt und die Wiese aufgewühlt“, sagt Friedel. Gekümmert habe sich um die Schäden noch niemand. Sie rechne auch nicht damit.
Die Nachbarinnen gehen in den Keller. Englisch knipst das Licht an. An eine Kellerwand wurden in roter Farbe drei Hakenkreuze geschmiert. „Die hatte ich noch gar nicht gesehen“, sagt Englisch. Einen Raum weiter steht ein Einkaufswagen. Bis auf eine Jägermeister-Flasche ist er leer. Daneben liegen eine ausgesonderte Transportbox für ein Autodach, ein beträchtlicher Haufen aussortierter Fahrräder, ein Bildschirm und ein Staubsauger. Draußen steht weiterer Sperrmüll neben überquellenden Müllcontainern. „Wollen Sie Sperrmüll loswerden?“, fragt Friedel. „Müssen Sie einfach dazustellen.“ Hier wird mit Galgenhumor gearbeitet.
Kampf gegen Windmühlen
Anrufe beim Objektbetreuer der LEG seien erfolglos geblieben. Man begegne „dem guten Mann“ höchstens zufällig im Hausflur, sagt Englisch. Die Gespräche über die Hotlines nach Düsseldorf oder Berlin brächten quasi nichts. „Dann steckt man lange in der Warteschleife und soll immer nur Fotos schicken.“ Die Kommunikation sei „ein Kampf gegen Windmühlen“.
Friedel will Mieterhöhung verweigern
Die Schwerinerinnen sitzen auf dem Sofa von Erika Grein und fluchen wie die Rohrspatzen. Der Zustand wäre schon ärgerlich genug – sauer sind die Mieterinnen obendrein über die steigenden Nebenkosten. Die Reinigung des Spielplatzes und eines Privatweges würden ihnen in Rechnung gestellt – obwohl beide praktisch öffentlich genutzt und unzureichend aufgeräumt würden. „Wir kriegen jedes Jahr was drauf“, sagt Friedel. 671 Euro warm soll sie neuerdings monatlich für ihre 75 Quadratmeter zahlen. 2024 seien es noch 643 gewesen, im Jahr davor 616. Die Nebenkosten wurden innerhalb von zwei Jahren um 18 Prozent erhöht. Ungewöhnlich sind solche Dimensionen laut Quellen wie Haus & Grund oder Immobilienscout24 nicht.
Dass aber ihre die Kosten für „Müllreduzierung“ von 26 auf 46 Euro pro Jahr gestiegen sind, ärgert Friedel. Genauso wie die Kostenerhöhung für den Winterdienst von 11 auf 33 Euro pro Jahr. Der Preis für die Beleuchtung sei gestiegen, wobei unnötigerweise die Außenbeleuchtung nachts eingeschaltet bleibe. Friedel weigert sich nun, die Mieterhöhung zum neuen Jahr zu bezahlen. Sie habe sich schon Beistand durch den Mieterbund gesichert. Jetzt sei ihr der Kragen geplatzt, sagt Friedel. Deswegen auch der Anruf bei der Presse.


Angedrohte Räumungsklage
Martina Englisch hatte schon reichlich Stress mit der LEG. Vor ungefähr zwei Jahren, erzählt sie, habe die LEG eine Nachzahlung von rund 600 Euro an Heizkosten von ihr verlangt. Dabei sei der Zähler defekt gewesen. Sie verweigerte die Zahlung, woraufhin die LEG mit einer Räumungsklage gedroht habe. „Aus Angst habe ich dann doch bezahlt“, sagt Englisch. Der Einspruch gegen die Nebenkostenabrechnung 2022 wird bei der LEG noch geprüft. „Sobald uns ein Ergebnis vorliegt, werden wir Frau Englisch darüber in Kenntnis setzen und ihr gegebenenfalls überschüssige Beiträge erstatten“, sagt LEG-Sprecher Maximilian Kreft.

LEG beseitigt Mängel
Offenbar hat sich der öffentliche Aufschrei und der Besuch unserer Redaktion schon gelohnt. Kurz nach der Anfrage unserer Redaktion antwortet Maximilian Kreft. Die rassistischen Schmierereien habe ein Maler bereits überstrichen, schreibt er. Unzulässige Gegenstände im Keller würden kurzfristig entfernt. Die Reparatur des Rauchwarnmelders am Kellereingang sei in Auftrag gegeben worden. Ebenso die Beseitigung der Rasenschäden vor dem Gebäude. Der angestaute Papiermüll werde zeitnah durch einen externen Dienstleister entsorgt. „Die Entleerung der Mülltonnen erfolgt turnusmäßig, wir werden den Rhythmus hier gegebenenfalls anpassen.“
Die geschilderten Mängel bei der Reinigung des Treppenhauses würden überprüft. Bei anhaltender schlechter Leistung werde der Dienstleister erneut gewechselt. Es werde überprüft, ob die dauerhafte Außenbeleuchtung relevant für die Verkehrssicherheit sei, oder womöglich ein Bewegungsmelder kaputt sei.

Bemühungen um die Heizung
Das zuständige Heizungsunternehmen sei aufgefordert worden, das Schloss zum Heizungskeller umgehend austauschen zu lassen. Im Zuge der letzten Beschwerde von Martina Englisch habe die LEG „die Vorlauftemperatur der Anlage erhöht und die Nachtabsenkung verkürzt“. In der Wohnung von Erika Grein wurde im Oktober 2024 festgestellt, dass die Etagenabsperrung der Heizung zugedreht war. „Da die Absperrung innerhalb der Wohnung liegt, muss dies versehentlich durch die Mieterin oder ihre Angehörigen herbeigeführt worden sein“, sagt Kreft. „Der Absperrhahn wurde durch unseren Reparaturdienst geöffnet, woraufhin die Heizungen (...) wieder einwandfrei funktionierten.“
Bei den Heizkörpern von Friedel müssten Ventile an den Heizkörpern in Küche und Kinderzimmer ausgetauscht werden. Ein bereits angesetzter Termin „musste leider kurzfristig seitens der Mieterin abgesagt werden.“ Sobald der Zugang zum Heizungsraum wieder hergestellt wurde, werde umgehend ein neuer Termin vereinbart.

Der richtige Ansprechpartner
Um Schäden schnellstmöglich beheben zu können, sollen Mieter die in den Hausfluren ausgehängten Kommunikationswege nutzen, sagt Kreft. Grundsätzlich sei der Zentrale Kundenservice eine wichtige Anlafustelle. Zudem stünden ein Webportal und eine App für Schadensmeldungen zur Verfügung. „Da unsere Objektbetreuer aus haftungstechnischen Gründen keine Reparaturen selbstständig vor Ort durchführen dürfen und auch nicht dazu berechtigt sind, Reparaturaufträge an externe Unternehmen zu erteilen, ist es nicht vorgesehen, dass unsere Mieter*innen sich im Schadensfall an sie wenden.“

Überforderter Konzern setzt auf Wachstum
„Der Konzern ist nicht fähig oder nicht Willens, ein gutes Wohnumfeld für seine Mieter herzustellen“, sagte kürzlich Hans-Jochem Witzke, 1. Vorsitzender des Deutschen Mieterbundes e.V.. „Es vergeht keine Woche, in der die LEG nicht in die Schlagzeilen gerät. Schimmelbefall, ausgefallene Aufzüge, defekte Heizungsanlagen, Ratten- und Müllprobleme werden regelmäßig aus den Beständen der LEG gemeldet.“
Ende 2024 hat die LEG laut Witzke die Brack Capital Properties N.V. (BCP) übernommen. Die 9100 übernommenen Wohneinheiten wiesen in Teilen eine schlechte Substanz und Investitionsstau auf. „Die LEG sollte dringend ihren Service verbessern und mehr Mittel in die Instandhaltung der teils maroden Gebäude stecken, anstatt auf Einkaufstour zu gehen“, sagt der Miterbund-Vorsitzende. Die zahlreichen Medienberichte, in denen über Missstände in LEG-Häusern berichtet wird, zeigten nur die Spitze des Eisbergs. Denn viele Mieter wehrten sich aus Angst vor Wohnungsverlust nicht. „Nur durch die inzwischen weit verbreitete Wohnungsnot kann die LEG eine niedrige Leerstandsquote vorweisen.“ In Beratungsgesprächen falle oft der Satz: „Wenn es eine bezahlbare Alternative gäbe, würde ich sofort ausziehen“.
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