Andreas Kemna ist Fraktionsvorsitzender der Partei "Die Partei". Erst redete er knapp vier Minuten in Floskeln, dann warf er die Münze, wie seine Fraktion abstimmen würde.

© CAS-TV / Stadt Castrop-Rauxel

40 Floskeln in 4 Minuten: Rede eines Castrop-Rauxeler Politikers schlägt alles

rnKommunalpolitik

Einmal im Jahr diskutieren Castrop-Rauxeler Politiker den städtischen Haushalt. Eine Rede stach aus der Haushaltsdebatte heraus, als eine Kettung von Floskeln. Wir dokumentieren sie im Wortlaut.

Castrop-Rauxel

, 29.11.2021, 19:30 Uhr

Andreas Kemna, Vorsitzender der Fraktion von „Die Partei“, hat bei der Ratssitzung am 25. November eine denkwürdige Rede zur Einbringung des Haushaltes. Alle anderen Fraktionen bis auf die ohnehin abwesende UBP hatten im Vorfeld gesprochen. Das Schlusswort vor der Abstimmung hatte Kemna. Er sagte im Wortlaut:

„Vor meiner Rede darf ich Ihnen einen Hinweis in eigener Sache mitteilen: Wir von der Fraktion haben nachgearbeitet, indem wir die letzten Reden noch mal nachgeschaut haben im Internet. Wir haben bei jeder Redewendung und Floskel einen Schluck getrunken. Ein Trinkspiel, das trotz nur alkoholfreier Getränke recht erheiternd war. Ich darf Ihnen, vor allem den Zuschauerinnen und Zuschauern, die über das Neuland zugeschaltet sind, den ausdrücklichen Rat und Hinweis geben: Tun Sie das bitte nicht, schon gar nicht mit Alkohol. (...)

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Der aktuelle Haushalt zeigt uns deutlich, wo wir stehen. Wir stehen nämlich am Abgrund, also finanziell gesprochen. Schon lange steht uns das Wasser bis zum Hals, und das, obwohl wir als Kommune wie viele andere Kommunen ganz schön auf dem Trockenen sitzen. Viele Kommunen, gerade im Ruhrgebiet, sitzen gemeinsam in einem Boot und drohen abzusaufen. Und das, obwohl wir alle an einem Strang ziehen sollten. Da scheinen manche aber immer noch in eine andere Richtung... aber was soll’s.

Wir sitzen also auf dem Trockenen und dennoch ist kein Land in Sicht. Auf einen grünen Zweig kommen wir so garantiert nicht mehr. Der Karren steckt im Dreck. Uns am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen, werden wir wohl nicht schaffen. Dazu ist das finanzielle Fundament, auf das wir gebaut sind, viel zu schwach. Die übergeordneten Stellen, also die schwarzen Nullen [räuspert sich], verzeihen Sie, die mit den schwarzen Nullen, werden über uns kein Füllhorn mehr ausschütten. Wir werden langfristig den Karren vor die Wand fahren, sehenden Auges übrigens. Es mag da viele Ideen geben, wie wir unser strukturelles Defizit langfristig abbauen, aber viele Köche verderben auch den Brei. Und nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird.

Andreas Kemna am Pult in der Europahalle: Es gelang nicht allen Mitarbeitern der Verwaltung und allen anwesenden Politikern, bei seiner Rede nicht zu lachen.

Andreas Kemna am Pult in der Europahalle: Es gelang nicht allen Mitarbeitern der Verwaltung und allen anwesenden Politikern, bei seiner Rede nicht zu lachen. © CAS-TV / Stadt Castrop-Rauxel

Mit dem Stärkungspakt seinerzeit wurde wenigstens mal was Gutes versucht, aber das Gegenteil vom Gut ist meistens eben auch gut gemeint. Unsere Stadt ist leider kein Wolkenkuckucksheim. Wir können die Bürgerinnen und Bürger und Gewerbetreibenden nicht auspressen wie Zitronen, das geht nun mal nicht. Irgendwann ist der Drops halt einfach gelutscht.

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Wenn ich mir den Haushalt nun also anschaue, muss ich feststellen: Die Verwaltung – Lob an dieser Stelle – hat viele Ideen, hat tolle Ideen und Ansätze, in wichtige Projekte zu investieren. Wir hätten auch noch viele Ideen, wo man investieren könnte, müsste, sollte. Aber wir sind ja nur bedingt bei ‚Wünsch dir was‘, meistens ist es eher ein ‚So isses‘. So bleibt festzustellen, dass wir den Strukturwandel hätten viel eher anpacken müssen und die Chancen seinerzeit beim Schopf fassen, dann wäre viel mehr möglich. Aber wie ein großer Philosoph und Fußballer auch schon mal gesagt hat: ‚Wäre, wäre, Fahrradkette.‘

Ich darf an Sie alle appellieren: Werfen Sie die Flinte nicht ins Korn, da liegt doch schon der Hase im Pfeffer. Dieser Haushalt ist kein großer Wurf. Leider. Große Sprünge sind aber auch leider nicht drin. Zumindest ist er aber auch nichts, was man wie Sauerbier anpreisen muss, vielfach zwar alter Wein in neuen Schläuchen, aber doch wenigstens kein alter Hut.

Alles in allem hat die Verwaltung eine Menge rausgeholt, auch wenn man natürlich – verzeihen Sie mir das Wort – aus Scheiße kein Gold machen kann. Anders gesagt: Aus einem Ackergaul kann man kein Rennpferd machen. Mehr wäre schön, da beißt die Maus kein Faden ab. Aber langfristig muss sich auch weiter oben was tun. Denn wer die Musik bestellt, der sollte sie auch bezahlen.

Da gehen wir ja immerhin langsam zu über, nachdem bei den Verantwortlichen auch angekommen ist, dass man einem nackten Mann nicht in die Taschen fassen kann. Das letzte Hemd haben wir ja schon lange gegeben.

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Herr Bürgermeister, Sie hatten bei der Einbringung des Haushaltes schon sehr treffend gesagt, wir sollten aufhören, Wasser in den Wein zu gießen – ein schönes Wort. Aber im Wein liegt Wahrheit, nicht nur Wasser. Deshalb lohnt sich auch ein Blick hinter die Fassade dieses Haushaltes, und da sieht es insgesamt eher düster aus.

Mein vorbereiteter Redebeitrag ist zu Ende. Ich darf Ihnen noch kundtun, wie wir von der Fraktion abstimmen werden. (kurze Pause, kramt in den Taschen) Das haben wir beim letzten Mal per Münzwurf entschieden. Das machen wir natürlich heute auch. Ich habe extra eine Münze mitgebracht, also ich bin nicht ganz so arm wie die Stadt. Bei Zahl lehnen wir ab (wirft), ich guck mal. (schaut nach) Wir stimmen zu. Herzlichen Glückwunsch!“

Sitzungsleiter Bürgermeister Rajko Kravanja schließt danach mit einem Schmunzeln die Debatte und sagt: „Mir war nicht klar, wie viele Floskeln es überhaupt gibt. Dankeschön für die Zusammenfassung.“

Hinweis der Redaktion

Warum berichten wir so ausführlich über diese Rede dieser kleinen Fraktion und nicht über die der anderen Fraktionen? Weil sie in besonderer sarkastischer Weise die Kommunalpolitik und die Stadtverwaltung aufs Korn nimmt und sich damit in subtiler Weise kritisch einlässt zu einem Thema, das alle betrifft. Das Video wird nach sieben Tagen gelöscht, diese Rede wollten wir aber fürs Archiv erhalten. Lesen Sie dazu und zur Abstimmung nach Münzwurf auch unseren Meinungsbeitrag.

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