Diskussion bei Facebook: Rajko Kravanja, Guido Baumann und Matthias Langrock (v.l.).

© Tobias Weckenbrock

Medien-Debatte: „Leben im Zwiespalt zwischen Schnelligkeit und Sauberkeit“

rnFacebook-Sprechstunde

Eine Debatte über Medien lieferten sich Mittwochabend RN-Lokalchef Matthias Langrock und Bürgermeister Kravanja in einem Online-Livestream. Es ging um Aktualität und Tiefe, Facebook und Fakten.

Castrop-Rauxel

, 03.11.2021, 18:55 Uhr / Lesedauer: 3 min

Du bist Castroper, wenn: Eine Gruppe auf der Internet-Plattform Facebook mit über 20.000 Mitgliedern. Dort schreiben Nutzer Infos aus ihrem Lebensumfeld, laden Fotos oder kurze Videos hoch, stellen Fragen – und kritisieren. Die Stadt, die Ruhr Nachrichten, die Polizei, die Schule – alles, was sie betrifft und bewegt.

Die Ruhr Nachrichten: Seit den 1940er-Jahren etablierte Tageszeitung in Castrop-Rauxel, heute die letzte verbliebene mit einer eigenen Redaktion. Ihr Anspruch und ihre Aufgabe: Nachrichten und Infos aus der Stadt recherchieren und transportieren, in der Zeitung und auf verschiedenen digitalen Kanälen. Aktuell, kritisch, hintergründig – und inzwischen am besten schneller, als das Ereignis selbst passiert ist.

Dazwischen die Stadtverwaltung und an ihrer Spitze Bürgermeister Rajko Kravanja: Kummerkasten und Prügelknabe für viele Bürger, die sich über Dinge, die vor sich gehen, sorgen, ärgern, wundern. Er publiziert teils selbst bei Facebook auf seiner eigenen Seite und erreicht damit direkt Tausende von Menschen, die ihm auch gleich direkt Kommentare und Nachrichten zusenden können.

Die sich immer schneller drehende Welt macht die Medienlandschaft komplexer denn je: Wie erreichen die Infos die Menschen? Was ist fake, was ist wahrhaftig? Was ist geschehen, was nicht? Häufig genug werde drauf gehauen, so Guido Baumann, der am Ende der über 90-minütigen Diskussionsrunde für die Einblicke in die Arbeit der Redaktion dankte.

„Wir müssen Lebensbegleiter der Leute sein“

RN-Lokalchef Matthias Langrock sagte: „Es gibt viele Kanäle, die es vor 15 Jahren nicht gab: Facebookseiten der Stadt, des Bürgermeisters – wir müssen auf diese Kanäle reagieren, es ist einfach vieles anders als früher. Die neue Konkurrenz arbeitet anders als früher. Mit der WAZ konnte man sich früher wohl schon mal absprechen, aber mit der Stadt kann man das heute ja kaum.“ Wichtig sei, zu zeigen, dass man als Redaktion vor Ort sei. Bewegtbild und Audio gewinne an Bedeutung. „Wir müssen noch stärker Lebensbegleiter der Leute sein.“

Aber wie ist es um die Verantwortung als einzige Lokalredaktion der Stadt bestellt, fragte Guido Baumann ihn. „Wir haben das Recht und die Pflicht zu berichten, sind privilegiert, wir können recherchieren, die Stadt muss uns antworten“, so Langrock. „Aber wir müssen genau hinsehen. Es muss stets stimmen, was wir schreiben. Aber wir können auch nicht mit einer Nachricht, die bei Facebook diskutiert wird, tagelang warten, denn dann ist die Gefahr groß, dass es bei uns keiner mehr lesen mag.“

„Da ist ein Widerspruch zwischen Validität und Schnelligkeit“

Rajko Kravanja meinte: „Es ist der Zwiespalt zwischen Schnelligkeit und Sauberkeit. Bevor wir als Stadt etwas veröffentlichen, muss es ganz valide sein. In der Zeit ist es dreimal bei Facebook diskutiert worden und ist zweimal bei den Ruhr Nachrichten online erschienen. Da ist ein Widerspruch zwischen Validität und Schnelligkeit.“ Manchmal gebe es eine andere Deutung von Sauberkeit und Qualität als in der RN-Redaktion, aber das liege auch in der Natur der Sache.

Facebook-Zuschauerin „Mareike Boni“ wünschte sich, mehr zu lesen von schönen Sachen. Guido Baumann berichtete dazu von seinem eigenen Medienkonsum: „Man bekommt viel Mord und Totschlag auf sein Handy, je nachdem, was man abonniert. Dieser Überschwang an schlechten Nachrichten versaut einem zum Teil den Tag, man kann sich davon runterziehen lassen.“ Matthias Langrock aus Sicht der Lokalredaktion: „Wir haben ja auch positive Beiträge, hier war es ja zum Beispiel der Bericht über den Vater mit dem Baby am Rochus. Das lebt von den Bildern, von den Schilderungen.“

Die Leute bewege vor allem das, was ihnen selbst im Leben täglich widerfährt oder widerfahren könnte – ob gut oder schlecht. „Die Tatsache, dass ein Laden schließt, eine Baustelle den Weg versperrt, Immobilienpreise steigen, 300 offene Baugenehmigungen, dann sind das Themen, die wir vermitteln können“, so Langrock. Genauso die Frage nach einem Blitz-Ausverkauf von Aktionsware bei Aldi, die messbar erfolgreicher sei ein Besuch aus der Partnerstadt. „Das Haushaltsdefizit der Stadt betrifft erst einmal direkt keinen, anders als eine Erhöhung der Hundesteuer um 10 Euro.“

Dennoch versuche man, auch Hintergrund zu liefern. Und das auch dann, wenn man vorher schon weiß, dass dieses Thema vielleicht nicht der erfolgreichste Artikel des Tages wird. „Wir haben einen gesellschaftlichen Auftrag, sind aber auch ein Wirtschaftsunternehmen“, erklärte Langrock. „Wir müssen mit dem Personal, das wir haben, das bestmögliche herausholen. Um unseren Preis zu rechtfertigen, müssen wir uns absetzen von dem anderen Material.“

Guido Baumann mit Blick auf Kravanja: „Du wirst ja über die CAS-App nicht pushen, dass das Bürgerbüro nicht funktioniert.“ Kravanja dazu mit einem Lachen: „Jetzt läuft es ja…“

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