Watzke: "Kampf um die Süd gewinnen wir"
Das BVB-Interview
Nervenaufreibende zwei Wochen liegen nach den schlimmen Vorfällen im Spiel gegen Leipzig hinter BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke. Über die Schritte der Aufarbeitung, den notwendigen Dialog mit den Ultras und seine strikte Haltung gegen gewalttätige Hooligans haben Dirk Krampe und Jürgen Koers mit dem 57-Jährigen gesprochen.

"Das war ein komisches Gefühl"“ - BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke vor der leeren Südtribüne.
Wie haben Sie am Samstag das Spiel vor der leeren Südtribüne erlebt? Das war ein komisches Gefühl vor dem Spiel. Wenn der Anpfiff ertönt, dann blende ich aber alles andere aus. Die Zuschauer haben gespürt, dass die Mannschaft eine große Willensanstrengung unternommen hat, und in der zweiten Hälfte fand ich die Stimmung super, obwohl 25.000 Fans gefehlt haben. Trotzdem will ich das nie mehr erleben!
Und wie haben Sie die vergangenen zwei Wochen erlebt? Das war eine harte Zeit, eine Zäsur. Es war auch ein Tiefpunkt, wie wir ihn in den vergangenen zehn Jahren nicht erlebt haben. Angesichts der rasanten Entwicklung, die der BVB durchgemacht hat mit dem Zuwachs an Beliebtheit, an medialer Aufmerksamkeit, war es klar, dass auch mal negative Schlagzeilen kommen würden. Dass die Situation gegen RB Leipzig allerdings so ausgeartet ist, das bedauern wir selbst am meisten. Die letzten 14 Tage waren die härteste Zeit der vergangenen zehn Jahre. Manch eine Kritik ging ja auch stark gegen mich persönlich.
Wie fällt Ihre Antwort darauf aus? Ich habe das selbstkritisch reflektiert, mit vielen Leuten gesprochen und mich gefragt, ob ich mir irgendetwas vorwerfen muss, ob ich mich für irgendetwas in der Öffentlichkeit entschuldigen muss. Ich sage: Nein! Ich habe RB Leipzig nicht beleidigt oder diskreditiert. Ich habe auch niemanden zur Gewalt aufgerufen. Diese hässlichen Szenen hätten sich auch ohne meine Äußerungen so zugetragen. Deswegen ziehe ich mir diesen Schuh nicht an. In einer Demokratie muss man streiten dürfen ohne gleich für Gewalt verantwortlich zu sein. Ich verabscheue Gewalt! Und was die Kritik angeht: Ich kann austeilen, ich kann auch einstecken. Ich habe meinen Leuten nach drei Tagen gesagt, sie sollen die ganzen Drohbriefe wegschmeißen. Die lagen zu drei Stapeln geordnet auf meinem Tisch, je nachdem, ob man mich beseitigen, "nur" schlagen oder lediglich beschimpfen wollte.
Woher kamen diese Briefe? Die meisten konnten von der Postleitzahl her leicht zugeordnet werden. Ich konnte damit umgehen. Für meine Familie war das schwieriger. Wenn meine 87-jährige Mutter am Telefon bepöbelt wird, dann ist das nicht mehr lustig. Aber der Fußball hat ihnen und uns schon so viele schöne Momente geschenkt...
Wie steht Borussia Dortmund jetzt da? Dieser Verein hat etwas Außergewöhnliches. Wenn hier jemand in schwere See gerät, dann stehen alle zusammen, wie das in keinem anderen Verein der Fall ist. Ich habe während der vergangenen zwei Wochen nie das Gefühl gehabt, dass sich innerhalb des Klubs Fraktionen bilden, ganz im Gegenteil. Wir standen hier eng zusammen. Am Samstag hat sich diese Solidarität dann noch einmal im Stadion gezeigt. In der ganzen Diskussion hat mich eines irritiert: Je weiter von außen die Leute kamen, desto undifferenzierter wurde das Ganze.
Wie meinen Sie das? Auch wenn es nicht populär war, habe ich immer die Meinung vertreten, dass man bei den Ultras deutlich differenzieren muss. Bei unseren etwa 800 Ultras bin ich mir sicher, dass die weit überwiegende Mehrheit von denen mit Gewalt nichts am Hut hat. Ich streite mich oft genug mit ihnen, aber dann geht es um inhaltliche Dinge. Wenn wir aufhören, den Dialog mit der Ultra-Szene zu führen - wie das manch ein Ahnungsloser zurzeit fordert - , wird sie sich weiter radikalisieren. Wir müssen darauf hinwirken, dass es eine Klärung gibt innerhalb der Szene, auch zwischen denen, die Fans von Borussia Dortmund sind und denen, die der Gewalt nicht entsagen.
Erreicht diese Radikalisierung nicht zunehmend die Ultras? Wir haben ein gesellschaftliches Problem, von dem sich auch der Fußball und Borussia Dortmund nicht lösen können. Unsere Gesellschaft wird radikaler, gewalttätiger, sie verroht. Darauf müssen sich Politik und Justiz einstellen und reagieren. Der Fußball allein kann das nicht lösen. Bei den 88 Personen, die von der Polizei auf dem Weg nach Darmstadt aufgehalten worden sind, war kein BVB-Fan dabei. Ganz im Gegenteil! Das sind Leute, die uns bewusst schaden, die uns zerstören wollen. Wenn die in Darmstadt die ganze Pyrotechnik gezündet hätten, diese Bilder wären wir nie mehr losgeworden. Das sind Hooligans, die kamen aus ganz NRW, viele davon aus dem rechten Milieu. Da geht es nicht mehr um Fußball.
Wie halten Sie die aus dem Stadion und aus dem Fußballumfeld fern? Das Stadion ist nicht das Problem. Die bekommen alle Verbote, solange es geht. Und viele hatten schon Stadionverbote bei uns in Dortmund. Es ist gut, dass wir jetzt viele weitere Namen haben, die wir ausgrenzen können. Sie bleiben aber trotzdem Teil unserer Gesellschaft. Das Problem in diesem Land ist doch: Jemand, der dir um 17 Uhr das Nasenbein bricht und um 17.15 Uhr verhaftet wird, der läuft um 19.30 Uhr wieder frei in der Stadt herum und lacht dich aus. Da müssen Staat und Justiz nicht populistisch mediale Forderungen an den Fußball stellen. Da müssen sie mal selbst über ihren eigenen Schatten springen. Die Opfer in Deutschland dürfen nicht die blanke Ohnmacht des Staats empfinden. Diese Täter müssten zwei, drei Tage aus ihrem sozialen Umfeld herausgerissen werden, damit da alle merken, was da los ist. Es kann doch nicht sein, dass die am nächsten Morgen schon wieder bei Papa und Mama sitzen und sich die Butterbrote schmieren lassen. Das muss man auch mal ächten.
Wie wollen Sie mit diesen Leuten einen Dialog führen? Mit den Hooligans führe ich keinen Dialog. Bei den Ultras habe ich immer das Gefühl, dass es um Borussia Dortmund geht, bei diesen Hooligans sehe ich das nicht. Da geht es um Lust auf Gewalt, um Krawall und Selbstdarstellung. Wer sich so deutlich auf die Seite der Gewalt stellt, mit dem rede ich nicht. Aber wir können nicht auf der Strobelallee oder am Rabenloh eingreifen - das ist Sache des Staates. Und das gehört einfach zur Wahrheit. In diesem Land herrscht Gewaltenteilung.
Hätten Sie beim Spiel gegen RB Leipzig eher auf die Banner reagieren müssen? Es gibt die klare Absprache zwischen Polizei und den Ordnungsdiensten, dass die nur in die Tribüne hineinmarschieren, wenn es Gefahr für Leib und Leben gibt. Sonst könnte das zu einer unglaublichen Eskalation führen, ein solches Vorgehen wäre aus taktischen Gründen ergo falsch gewesen. Selbst eine Durchsage hätte angesichts der aufgeheizten Atmosphäre nicht für Ruhe gesorgt, da hätten wir eher unsere Machtlosigkeit in dem Moment bloßgestellt. Zu einer differenzierten Betrachtungsweise gehört auch: Nicht alle Plakate waren beleidigend, viele waren durch die Meinungsfreiheit komplett gedeckt. Zum Hintergrund: Als vor zwei Jahren auf der Südtribüne ein Plakat zur Solidarität mit dem NWDO (Nationaler Widerstand Dortmund, d. Red.) aufgerufen hat, also mit einer verfassungsfeindlich eingestuften rechten Bewegung, da haben wir vor Gericht verloren. Wir hatten Stadionverbot erteilt, doch das hat das Gericht als freie Meinungsäußerung bewertet. Gegen Leipzig waren die Transparente gegen Ralf Rangnick und die mit den Pflastersteinen weit unter der Gürtellinie. Das ging gar nicht! Die Rädelsführer werden die längstmögliche Form des Stadionverbots bekommen und müssen sich womöglich auch noch zivilrechtlich verantworten.
Es ist immer wieder zu hören, welches Bedrohungspotenzial die radikalisierten Fans ausüben. Alles zusammengenommen werden jetzt durch die verschiedenen Vergehen sicher 100 bis 150 Stadionverbote zusammenkommen. So eine Zäsur, auch was die Ahndung dieser Taten angeht, haben wir noch nie gehabt. Den Kampf auf der Südtribüne gewinnen wir. Am Ende lautet aber die entscheidende Frage, ob die Gesellschaft diesen Kampf gewinnt. Sie muss erst einmal gewillt sein, ihn zu führen.
DFB-Präsident Grindel hat den "Aufstand der Anständigen" gefordert. Ein frommer Wunsch? Wir haben lange über das Urteil diskutiert und hatten das Gefühl, es hier mit einer sehr harten Kollektivstrafe zu tun zu haben. Wenn mehr als 24.000 komplett Unbeteiligte, Anständige ausgeschlossen werden, das ist schon, ein krasses Urteil. Auf der anderen Seite wussten wir auch, dass ein Nicht-Akzeptieren dieser Strafe in der Gesellschaft verheerend angekommen wäre. Wir hatten keine Alternative, die öffentliche Meinung hätte uns vernichtet. Kämpfe, die man nicht gewinnen kann, muss man auch nicht führen. Demzufolge haben wir uns dafür entschieden. Ich stand selbst 15 Jahre auf der „Süd“, wenn ich früher da ausgeschlossen worden wäre, das hätte ich auch nicht verstanden. Auf der „Süd“ wird es eine Klärung geben, davon bin ich überzeugt.
Die Rechtsprechung ermöglicht es, dass die Täter Schadenersatz leisten. Holen Sie sich das Geld zurück? Grundsätzlich ist das unser Anliegen, wir haben das übrigens auch schon häufiger so gemacht! Es gibt in diesem Fall aber zwei Probleme: Die Geldstrafe und die Ausfälle bei den Einnahmen müssten wir differenzieren in dem Sinne, welche Strafe es für welches Vergehen gibt. Da das DFB-Urteil aber bekanntlich sehr pauschal ist und verschiedene Vergehen zusammenfasst ohne sie einzeln zu bewerten, haben wir da ein Problem. Das zweite Problem ist, dass wir unter Umständen eine Menge von Prozessen führen, die womöglich auch gewinnen könnten, aber bei den Tätern dann gar nichts zu holen wäre, weil die nicht zahlen können. Wir werden das juristisch prüfen!
Wie hoch beziffern Sie den Schaden? Den ökonomischen Schaden beziffern wir auf eine halbe Million Euro. Der Imageschaden ist zusätzlich auch da. Auf der anderen Seite: Alle, die sich mit dem BVB beschäftigen, die wissen, was wir an Integrations-, an Präventiv, an Anti-Diskriminierungs-Arbeit leisten. Die wissen auch, dass Borussia Dortmund immer auf der richtigen Seite steht. Das werden wir auch wieder hinbekommen. Wichtig ist, dass wir nicht alleine gelassen werden und intern den Klärungsprozess vorantreiben.
Was können Sie noch verbessern, zum Beispiel beim Entdecken von Bannern und Pyrotechnik durch Kontrollen? Zur Wahrheit gehört: Eine nachhaltige Verbesserung könnten wir nur mit Körperscannern gewährleisten. Solange wir die Leibesvisitation nicht im Intimbereich durchführen dürfen, werden wir dem nicht habhaft werden. Jeder, der sich in der Szene auskennt, weiß, wie Pyrotechnik oder Banner ins Stadion hineingeschmuggelt werden. Die Gesellschaft muss sich irgendwann entscheiden: Wollen wir größtmögliche Freiheit oder größtmögliche Sicherheit? Wenn wir die entsprechenden Möglichkeiten an die Hand gegeben bekommen und auch einsetzen wollen, bekommen wir das in den Griff. Wenn wir auf das bisherige Prozedere angewiesen sind, werden wir die Probleme in Deutschland nie ganz in den Griff bekommen. Da muss sich niemand - auch in der Politik und in Wahlkampfzeiten - etwas vormachen!