Sechser Julian Weigl: "Ich bin kein Küken mehr"
Das BVB-Interview
Julian Weigl brilliert nicht nur als Passgeber. Auch als Führungsspieler wird der Nationalspieler für Borussia Dortmund immer wichtiger. Mit seinen 22 Jahren gehört Weigl bereits zu den Anführern im BVB-Trikot. Im Interview spricht der zentrale Mittelfeldspieler über Zeit zum Nachdenken, seine Rolle als Bindeglied und die neue Lust am Spazierengehen.

Julian Weigl: "Ich bin jetzt auch im Mannschaftsrat und versuche, in die entsprechende Rolle hineinzuwachsen."
Wir müssen über die 79. Minute gegen Gladbach sprechen. Ihr erstes Bundesliga-Tor. Wenn wir ehrlich sind, hätten wir eigentlich einen anderen Torjubel erwartet, einen Salto vielleicht…
(lacht) Ja, vielleicht hätte ich vorher was einstudieren sollen. Aber ich treffe ja nicht so oft, von daher bereite ich mich auf solche Situationen auch nicht vor. Es war ähnlich wie in Lissabon bei meinem allerersten Tor für den BVB: pure Emotion. Aber es war eben auch ein besonderer Moment, nach meiner Verletzung gleich im ersten Spiel von Beginn an zu treffen.
War das auch der Moment, wo Sie wussten, jetzt liegt die Verletzung endgültig hinter mir?
Ja, kann man so sagen. Es war das i-Tüpfelchen. Ich war froh, dass ich 90 Minuten spielen durfte, dass ich keinerlei Probleme mehr mit dem Sprunggelenk habe. Das Tor war die Krönung obendrauf.
Sie sind vom ersten Tag an durchgestartet in Dortmund, die Verletzung war der erste richtige Rückschlag. Wie sind Sie damit umgegangen?
Es war keine einfache Zeit, auch deshalb, weil ich zuvor noch nie schlimmer verletzt war. Ich habe aber relativ früh den Schalter umgelegt und mir vor Augen geführt, dass ich in erster Linie dafür dankbar sein muss, dass ich so lange keine schwere Verletzung hatte. Ich habe mir vorgestellt, wie es hätte laufen können, wenn ich vor zwei Jahren schwer verletzt in Dortmund hätte starten müssen. Wahrscheinlich wäre dann vieles anders gelaufen.
Sind Sie eine Frohnatur, die dann relativ schnell positiv denkt?
Ich musste mit diesem Schlag schon erst mal klar kommen. Auch in der Rehaphase, als ich anfangs nicht wusste, was am nächsten Tag passiert. Andere, die schon öfter verletzt waren, kennen ihren Körper und können besser abschätzen, ob es normal ist, wenn der Körper auch gewisse Situationen mit Schmerzen reagiert.
Und Sie hatten plötzlich viel Zeit nachzudenken…
Ja, aber jetzt, da diese Zeit zum Glück hinter mir liegt, möchte ich positiv darauf zurückblicken, denn ich konnte diese Zeit auch nutzen, um an körperlichen Defiziten zu arbeiten.
Sind Sie ein geduldiger Mensch?
Nein, ehrlich gesagt nicht. Ich bin grundsätzlich jemand, der schnell etwas erreichen möchte. Aber ich hatte in diesem Fall gar keine Möglichkeit, auszubrechen. Die Fitnesstrainer hatten einen klaren Plan, sie hätten mich auch nie vorschnell wieder reingeworfen. Aber natürlich kommt man mal nach Hause und ist unzufrieden, weil es nicht vorwärts geht. Als die Jungs dann wieder hier im Training waren, war es besonders schwer. Die gehen raus auf den Platz, aber du bist nur im Kraftraum. Man macht da sein Ding und ist irgendwie nicht so richtig Teil der Mannschaft. Das wurde erst wieder besser, als ich in Bad Ragaz wieder näher dabei sein konnte.
Zwei Jahre sind an Ihnen nur so vorbeigeflogen. Während der Verletzung konnten Sie mal durchatmen. Bekommt man da auch mal Angst, wie schnell es gegangen ist?
Angst nicht; ich bin schon stolz auf das, was in diesen zwei Jahren passiert ist. So hatte ich Zeit, das alles mal zu reflektieren. Auch aus dem Blickwinkel war es sogar eine wertvolle Zeit für mich, die Reha hat mir als Mensch gut getan. Ich war ja auch in München und konnte viel mit alten Freunden quatschen, die jetzt ihr Leben als Kreisliga-Fußballer leben und damit sehr glücklich sind. Ich weiß, dass ich als Fußballprofi immer noch am Anfang bin. Jetzt gilt es weiterzumachen.
Als Sie zurück waren, hatte sich einiges verändert. Neue Teamkollegen, ein neuer Trainer. Wie bereitet man sich darauf vor?
Ich war von Anfang an bei den Sitzungen mit dabei, weil Peter Bosz wollte, dass ich trotz meiner Verletzung möglichst viel von seinen Vorstellungen von unserem System und den Rollen der einzelnen Spieler mitbekomme. Das war einerseits wichtig und hat mir zugleich auch ein gutes Gefühl gegeben. In den Testspielen habe ich natürlich vor allem auf Nuri Sahin geachtet, wie er das auf der Sechs macht und wie man sich im neuen System verhalten soll.
Sahin hat es auf Ihrer Position sehr gut gemacht…
Definitiv, und das war für unseren Start auch sehr wichtig, weil die Sechs im System des Trainers eine wichtige Rolle spielt mit dem Gegenpressing und der offensiven Ausrichtung.
Unter Tuchel waren Sie gesetzt, dann kam die Verletzungszeit, in der Sahin sehr stark zurückgekommen ist. Mussten Sie noch nie so stark kämpfen um ihren Platz wie aktuell?
Es ist auf jeden Fall eine neue Situation, weil ich eben aus einer Verletzung komme. Ich war immer dabei, immer bereit und konnte mich jeden Tag zeigen. Wichtig für mich ist, dass ich jetzt wieder fit bin und mich anbieten kann. Alles andere entscheidet sowieso der Trainer.
Der Saisonstart war beinahe perfekt, einige Mitspieler sprechen schon davon, dass man vielleicht den großen Wurf landen kann. Was meinen Sie?
(lacht) Diese Frage bekomme ich oft gestellt. Es stimmt, in der Liga stehen wir oben, das fühlt sich gut an. In der Champions League leider nicht. Ziel ist es, jetzt endlich auch dort Spiele zu gewinnen, um dort auch über die Gruppenphase hinaus weiterspielen zu können. In der Bundesliga scheinen wir gefestigter als im Vorjahr. Wir hatten zuletzt ein schlechtes Spiel in Augsburg und haben trotzdem die drei Punkte mitgenommen. Das zeigt, dass wir auch schlechte Spiele gewinnen können. Sie wollen es sicher nicht hören, aber wir gucken wirklich von Spiel zu Spiel. Und, natürlich: Wir wollen am liebsten jedes gewinnen.
Ist diese Diskrepanz zwischen Liga und Champions League auch ein wenig Warnung? Der Spielplan hatte es ja durchaus gut gemeint mit dem BVB, jetzt kommen aber die stärkeren Gegner, gegen die Sie in der Königsklasse verloren haben …
Real war deutlich besser als wir, das müssen wir zugeben. Tottenham hat schlichtweg unsere Fehler eiskalt ausgenutzt. Man wird in den Rückspielen sehen, ob es in beiden Fällen nur Tagesform war, oder ob diese Mannschaften einfach besser sind als wir. Wir sind uns aber schon bewusst, dass wir gegen die Top-Mannschaften wenig Fehler machen dürfen. Und es stimmt, es kommen jetzt auch in der Liga schwierigere Wochen, die gleich am Samstag mit Leipzig anfangen.
Wie groß ist Ihre Hoffnung, dass es ein ruhiges Spiel wird nach den Vorkommnissen im Februar?
Ich finde schon, dass die Aufregung um das Konstrukt Leipzig sich ein wenig beruhigt hat. Ich nehme im Moment nicht mehr so viele Anfeindungen wahr und hoffe natürlich, dass es ruhig bleibt.
Auf Seite 2 spricht Julian Weigl über seine Perspektiven im DFB-Kader für die WM 2018, Tipps von Bastian Schweinsteiger und eine kuriose Abstimmung über seine neue Brille.
Sie haben sicher auch während Ihrer Verletzungspause und vergangene Woche die Länderspiele gesehen. Wie eng ist der Kontakt zum DFB?
Ich stehe in engem Kontakt mit Co-Trainer Markus Sorg. Oliver Bierhoff hat zu meinem Geburtstag angerufen. Mit Bundestrainer Joachim Löw habe ich nicht persönlich gesprochen. Aber der Kontakt ist insgesamt schon eng.
Bei der EM 2016 durften Sie mit reinschnuppern. Wie sehen Sie Ihre Perspektiven für die WM 2018?
Das ist natürlich ein Fernziel, ganz klar. Wer wie ich bei einem Turnier dabei war, wenn auch ohne Einsatz, der will beim nächsten Turnier wieder mitfahren. Ich war vor meiner Verletzung auf einem sehr guten Weg und wurde immer eingeladen zu den Länderspielen. Ich habe meine Chancen bekommen und auch mal von Beginn an gespielt. Das Feedback war ganz gut vom Bundestrainer. Da kam die Verletzung zum ungünstigen Zeitpunkt. Aber bis zur WM ist noch genug Zeit für mich. Ich bin jetzt fit, wir stehen noch am Anfang der Saison. Die oberste Priorität ist, gesund zu bleiben und zu spielen. Um in die Nationalmannschaft zu kommen, muss ich Top-Leistungen bringen.
Das eine bedingt das andere, oder?
Gerade auch im zentralen Mittelfeld ist der deutsche Kader herausragend gut besetzt. Ich habe schon 2016 gesagt, dass es keine Schande ist, auf der Bank zu sitzen, wenn man sieht, wer da alles vor einem spielt. Ich würde 2018 gerne mitfahren, aber es ist noch zu früh, um da eine Tendenz zu sehen. Andere, wie zum Beispiel mein Kumpel Jo Kimmich, der immer gesund war und gespielt hat, haben vielleicht auf ihrer Position einen Vorteil.
Gutes Feedback gab es auch von ganz großen deutschen Stars. Bastian Schweinsteiger hat Ihnen gesagt, Sie dürften ruhig mal etwas böser werden auf dem Platz ...
(lacht) Ja, das hat er mir damals geschrieben. Er schaut öfter unsere Spiele. Er spielt jetzt in Chicago, wo die Familie meiner Freundin (Sarah Richmond, d.Red.) herkommt, da haben wir immer mal wieder Kontakt. Für ihn freue ich mich, dass er nach der schwierigen Zeit in Manchester wieder Spaß hat und geschätzt wird. Das hat er sich auch verdient.
… und der böse Julian?
Ich kann mir ja nicht vor dem Spiel vornehmen, dass ich diesmal böse bin. Aber ich bin auch kein kleines Küken mehr wie mit 19 Jahren, als ich zum BVB kam. Ich darf dem Schiedsrichter oder dem Gegenspieler auch mal meine Meinung sagen. Und auch in der Mannschaft merke ich, dass mein Wort etwas wert ist – auch ohne jemand anzuschreien, um böse zu wirken.
… ein Arturo Vidal werden Sie nicht mehr.
Nein, da wäre ich auch nicht authentisch.
Als Sven Benders Abschied im Sommer feststand, hat Sportdirektor Michael Zorc ungefragt Ihren Namen genannt als einen derjenigen, die in der Hierarchie nachrücken und Verantwortung übernehmen sollen.
Ich bin jetzt auch im Mannschaftsrat und versuche, in die entsprechende Rolle hineinzuwachsen. Vielleicht gerade weil wir viele junge Spieler haben, kann ich ein gutes Bindeglied sein, weil ich mit den Jungen gut kann, aber auch mit den älteren Spielern. Ich bringe mich ein, wenn das gefragt ist.
In sozialen Netzwerken gewähren Sie viel Einblick in ihr Leben. Die Fans durften sogar über Ihre neue Brille mit abstimmen. Wie kam es dazu?
Dafür habe ich mir auch viel Spott anhören müssen (lacht). Ich gehöre zu einer Generation, die mit Social Media großgeworden ist und das auch viel nutzt. Für mich ist es daher nichts Außergewöhnliches, dass ich Einblicke in mein Leben biete, aber natürlich auch nur bis zu einem gewissen Grad.
Die Fans honorieren das auch, oder?
Ja. Ich bekomme da gutes Feedback. Bei der angesprochenen Brille gab eine große Resonanz. Viele haben sich gemeldet und Gedanken gemacht. Ich habe aber keine runde Brille gewählt, nur weil die Mehrzahl der Fans sich dafür ausgesprochen hat.
Sie sind ein außergewöhnlich eloquenter Profi. Woher kommt das?
Ich wurde bei 1860 München mit 18 Jahren als Kapitän ins kalte Wasser geworfen, musste nach dem Training ohne Pressesprecheralle möglichen und unmöglichen Reporterfragen beantworten. Vieles war da „Learning by doing“. Grundsätzlich kann ich mich schon ausdrücken, war in der Schule in Deutsch auch ganz gut. Gewisse Sachen lernst du dann aus den Interviews selbst. Ich möchte immer ich selbst sein.