BVB-Trainer Bosz als Typ, Teamplayer und Taktiker
Erste Bilanz nach 100 Tagen
Der beste Saisonstart aller Zeiten, die meisten Ballbesitzphasen und die höchste Passquote der Liga. Nach den ersten 100 Tagen bei Borussia Dortmund ist es Zeit für eine erste Bilanz des neuen BVB-Trainers Peter Bosz. Eine Annäherung an den Niederländer als Typ, als Teamplayer und als Taktiker.
Peter Bosz, der Typ:
Trainer werden ja gerne in Schubladen gesteckt. Es gibt ganz schön viele davon. Eine Schublade für Laptoptrainer, eine für alte Hasen. Jugendtrainer. Feuerwehrmänner. Geborene Co-Trainer. Motivationskünstler. Taktikfüchse. Käuze. Der Schubladencontainer ist ein ziemlicher Brummer von Möbel.
Beim BVB fiel die Kategorisierung der Fußballlehrer in der jüngeren Vergangenheit leicht. Jürgen Klopp steckten viele Beobachter in die Schublade des Motivationskünstlers, wenngleich das sicherlich zu kurz griff. Thomas Tuchel wurde bis zum Hals zu den Taktiktüftlern gestopft, der Rest von ihm lagerte bei den Laptoptrainern.
In welche Schublade passt Bosz?
Nun ist Peter Bosz da. Am Sonntag seit 100 Tagen – und irgendwie weiß man immer noch nicht so richtig, wo man ihn hinpacken soll, den Niederländer, für den der BVB im Sommer rund drei Millionen Euro Ablöse in Richtung Ajax Amsterdam überwies und dessen Oma ausgerechnet Schalke mochte. Keine Schublade schreit nach ihm.
„Er ist ein sehr schlauer Trainer“, hat sein Boss Hans-Joachim Watzke jüngst über ihn gesagt. Bosz sei vielleicht nicht so emotional wie Jürgen Klopp, meinte der BVB-Geschäftsführer, sondern eher besonnen, so wie es ein Ottmar Hitzfeld als Trainer war. „Darüber hinaus ist er sehr verbindlich und analytisch.“ Das klingt, um ehrlich zu sein, irgendwie nach einer Mischung aus seinen beiden Vorgängern: ein bisschen emotionaler Kumpel wie Klopp - ein bisschen Tüftler und Analytiker wie Tuchel.
Kommunikation: Eher Klopp als Tuchel
Bosz selbst sagt über seinen Führungsstil: „Man kann beides sein. Autoritär und trotzdem auch jemand, der die Spieler versteht.“ Das beißt sich erstmal nicht mit der Vorgänger-These. Zumindest in einer Sache allerdings ähnelt Bosz deutlich stärker Klopp als Tuchel: in der Kommunikation - auch wenn er kein vergleichbarer Entertainer ist.
Relativ gut deutlich wird das an einem weiteren Satz von BVB-Chef Watzke, der eigentlich ziemlich selbstverständlich daherkommt für einen erfolgreichen Fußballverein: „Peter weiß, dass er sich auf uns verlassen kann, und wir uns umgekehrt auch auf ihn.“
Lob von der Vereinsführung
Man kann diesen Satz jetzt freilich wieder als Seitenhieb gegen Tuchel interpretieren, man kann ihn aber auch als das stehenlassen, was er zunächst einmal ist: ein Lob für Peter Bosz und seine Zusammenarbeit mit der Vereinsführung des BVB.
Der Niederländer hat es von Tag eins an verstanden, einen aufregenden Sommer beim BVB unaufgeregt zu moderieren. Erst führte er geduldig durch die Gerüchteküche von Pierre-Emerick Aubameyang, danach manövrierte er sich und den BVB sicher an der Wechselposse um Ousmane Dembele vorbei. Dabei bediente er sich häufig eines einfachen Stilmittels: Ehrlichkeit.
Ehrlich währt am längsten
„Ous war heute nicht beim Training. Und ganz ehrlich: Ich habe keine Ahnung, warum nicht.“ Es sind Sätze wie diese, die Bosz glaubwürdig auftreten lassen. Er redet nicht um den heißen Brei herum. Intern wie extern. Das kommt gut an. Ehrlich währt ja am längsten. Nur eine Schublade gibt es dafür nicht.
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Peter Bosz, der Teamplayer:
Teamarbeit steht für Bosz an erster Stelle. Als Cheftrainer ist er der Entscheider, doch er hebt sich nicht von anderen ab. „Jede Person im Umfeld der Mannschaft hat ihre Aufgabe und Position. Das ist mir wichtig zu sagen: Alle sind wichtig.“ Bosz bespricht sich mit Sportdirektor Michael Zorc und Watzke, mit der medizinischen Abteilung, mit den Fitnesstrainern, natürlich mit den Spielern. Auch das kommt gut an. „Er ist ein ruhiger, sehr menschlicher und korrekter Typ, wie das gesamte Trainerteam“, sagt Nuri Sahin über Bosz.
In Krüzen die perfekte Ergänzung
Zu den ersten Ansprechpartnern gehört Co-Trainer Hendrik „Hendrie“ Krüzen. Beide kennen sich seit 2000. Krüzen, der 1988 mit der Niederlande unter Rinus Michels Europameister wurde, sei ein Gegenpol zu ihm, meint Bosz. Sie besäßen unterschiedliche Persönlichkeiten. Ihre Stärken und Schwächen ergänzen sich. Während Krüzen (52) beim Training noch gerne mit den Profis spiele, dort sein Ohr nah an den Spielern habe, die Stimmung in der Mannschaft erspüre, sei er als Cheftrainer in einer etwas distanzierteren Position. „Ich suche immer nach Leuten, die anders ticken als ich.“
Das gilt auch für seinen zweiten Co-Trainer Albert Capellas. Der Spanier, 49 Jahre alt, ist ein Analytiker, ein Förderer der Jugend, ebenso ein Verfechter des schönen, abenteuerlustigen Fußballs. In Barcelona leitete er jahrelang die Talentschmiede „La Masia“. Nun holte ihn Bosz nach Dortmund.
Bosz will nichts zwangsoptimieren
Als „primus inter pares“ umgibt er sich gerne mit anderen Experten, er hört gerne zu. Als er beim BVB begann, staunte er über den „sehr großen Verein“, in dem „sehr professionell“ gearbeitet werde. Er wollte nicht viel ändern, nichts umkrempeln, nichts zwangsoptimieren. Die Erleichterung zwischen Brackel und B1 war spürbar.
Obwohl er die Spieler taktisch wie physisch mit großen Herausforderungen konfrontierte, zog er sie von Beginn an auf seine Seite. Als großes Plus erwies sich der Klimawandel, für den er gesorgt hatte. Der BVB ist wieder zu einem Wohlfühl-Ort geworden. Wollten manche Beobachter die Mannschaft im Frühjahr noch in Tuchel-Befürworter und -Gegner unterteilen, tritt das Team im Frühherbst 2017 als Einheit auf. Bosz gewährt (fast) allen Spielern Einsatzzeiten, er lobt und kritisiert transparent, in aller Fairness.
Ton und Methode finden Anklang
Selbstredend wird der Niederländer mal laut, wenn es ihm notwendig erscheint. Doch seine Mannschaft hat ihn und sein Team bereits sehr gut verstanden, schneller, als es der Trainer erwartet hat. Ton und Methoden von Bosz und Co. finden Anklang beim Premium-Personal. Der zweitbeste Kader der Liga dankt es mit dem besten Fußball. Der Plan funktioniert.
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Peter Bosz, der Taktiker:
Taktisch setzt Borussia Dortmund unter Bosz auf ein klassisches 4-3-3-System. Die Klassik verbindet sich allerdings mit der Moderne: Neben viel Ballbesitz fordert Bosz auch die bedingungslose Jagd nach dem Ball.
Eine der extremsten Ausprägungen der Vorstellungen des neuen Trainers gab es im Heimspiel gegen Borussia Mönchengladbach zu sehen. Die Innenverteidiger Ömer Toprak und Sokratis bildeten wie gehabt die letzte Verteidigungslinie - aber sie standen dabei zehn Meter weit in der Gladbacher Spielhälfte und ihr Torwart nur gut 30 Meter dahinter. Also ebenfalls weit im Feld.
Weiterentwicklung des Tuchel-Fußballs
Derart offensiv agiert Borussia Dortmund auch unter Bosz, dem Vorreiter des extremen Gegenpressings, nicht immer. Die Weiterentwicklung des Tuchel-Fußballs geschieht in vielen kleinen Details: So stehen die Außenverteidiger ein Stück höher, im Zentrum bewegen sich die Mittelfeldspieler unablässig und sind flexibel auf mehreren Positionen unterwegs. Das sorgt für permanente Unruhe beim Gegner.
Auch der alleinige Sechser schiebt nach vorne. Unter Tuchel war Julian Weigl auch ein „Ballabholer“, der sich bis hinter die Innenverteidiger bewegte - unter Bosz stehen Weigl oder Nuri Sahin gefühlt 20 Meter weiter in Richtung gegnerisches Tor. „Damit hat der Sechser viel mehr Einfluss auf das Offensivspiel“, sagte Weigl. Er hoffte schelmisch auch, „dass ich dadurch vielleicht öfter mal selbst in Abschlusspositionen komme.“ Lange warten musste Weigl nicht: Beim 6:1 gegen Gladbach traf er von der Strafraumkante aus sehr sehenswert. Es war sein erstes Bundesliga-Tor.
Neue Rolle der Innenverteidiger
Ein weiterer Kernpunkt betrifft die Rolle der Innenverteidiger, die je nach Spielsituation die Freiheit genießen, nach vorne initiativ und aktiv zu werden. Mit den rotierenden Mittelfeldspielern schafft dies eine personelle Überzahl, die entweder in einem Kombinationsspiel in die Spitze mündet oder aber in überraschenden, weiten Vertikalpässen der Innenverteidiger auf die Sturmspitze gipfeln. So fielen gegen Gladbach das 1:0 und das 3:0 nach scharfen Pässen über 30 Meter.
Die 4-3-3-Grundordnung, die die meisten niederländischen Trainer bevorzugen, wird auch von Bosz präferiert. Der 53-Jährige folgt der alten Cruyff-Schule. Bosz hat gezeigt, dass er sein bevorzugtes System durchzieht, auch wenn es einem Gegner gelingt, die Schwachstellen aufzudecken.
Probleme in der Champions League
Wie in der Champions-League. Teams vom Kaliber Tottenham und vor allem Real Madrid waren in der Lage, sich spielerisch aus dem gegnerischen Pressing zu befreien, sie übten selbst Druck aus und nutzten Dortmunder Fehler aus. Beim blitzschnellen gegnerischen Umschalten offenbarte die Dortmunder Defensive Probleme im Abstimmungsverhalten und im Stellungsspiel, so fielen in London die Treffer zum 0:1 und 1:2 nach gleichem Muster, so erspielte sich Real in Dortmund neben den Treffern zahlreiche gute Kontergelegenheiten.
Kein Wunder, dass der akribische Trainer seine Borussia noch lange nicht am Ziel, also nahe der perfekten Umsetzung der favorisierten Taktik, sieht. Bosz war nach diesen Spielen ehrlich genug, die Probleme anzuerkennen und wird sich seine Gedanken darüber gemacht haben, ob ein wenig mehr Absicherung des eigenen Aufbauspiels nicht manchmal ratsam wäre.
Die Herausforderungen werden größer
Denn obwohl es im bundesweiten Wettbewerb bislang noch keinem Gegner gelungen ist, den Bosz-Code so zu entschlüsseln, dass Dortmund in ernsthafte Schwierigkeiten geriet, weiß auch der Startrekord-Trainer, dass die Herausforderungen auf nationalem Parkett nach der Länderspiel-Pause größer werden. Dann geben allmählich die Schwergewichte der Bundesliga ihre Visitenkarte ab. Bosz wird dann weiter gefragt sein. Als Typ, als Teamplayer und als Taktiker.