
Pherai, Reyna, Morey: So funktioniert die BVB-Offensive bei Scouting und Nachwuchs
Borussia Dortmund
Der BVB investiert zig Millionen Euro in weltweites Scouting und die Ausbildung der Top-Talente. Gleichzeitig wird der Sprung zu den Profis schwieriger. Der BVB nimmt die Herausforderung an.
Von Pierre-Emerick Aubameyang bis Dan-Axel Zagadou, aktuell Giovanni Reyna oder Mateu Morey – Borussia Dortmund gehört international zu den Top-Adressen für Spieler mit großem Entwicklungspotenzial. Doch die Konkurrenz schläft nicht. Deswegen wird das System hinter der Talentschmiede jetzt noch einmal mit großem Einsatz optimiert.
Der Aufwand
Mehr als 100 Mitarbeiter unterstehen in der Struktur allein in der Talentschmiede dem „Chef“ und Nachwuchs-Koordinator Lars Ricken. Borussia Dortmund betreibt einen enormen Aufwand, um die besten verfügbaren Talente im eigenen Nachwuchsleistungszentrum auszubilden. „Unsere Scouting-Abteilung ist so gut und professionell, dass wir jeden talentierten Spieler in ganz Europa kennen, vielleicht sogar weltweit“, sagt Ricken. „Wir kennen sie und haben die finanzielle Kraft, um die Spieler auch zu kaufen.“
Ein personeller und finanzieller Kraftakt, im laufenden Betrieb wie strategisch. Alleine am Trainingsgelände Hohenbuschei im Stadtteil Brackel werden aus diesem Grund in den kommenden zwei Jahren bis zu 20 Millionen Euro investiert. Es sei ein wenig „in die Jahre gekommen“, meinte die Sportdirektion. International wird geklotzt. Der BVB will und muss ideale Rahmenbedingungen schaffen, das Trainingsgelände mit all der eingebauten Infrastruktur vom Footbonauten bis zur Kältekammer gehört zur Visitenkarte. Im neuen dreistöckigen Bürogebäude neben dem Jugendhaus, in das die sportliche Leitung einzieht, gehört der Scouting-Abteilung dann die zweite Etage.
Über exakte Kennzahlen der Späher-Sparte schweigt sich der BVB aus. Dem Vernehmen nach sind es allein 15 bis 20 Scouts für den Profibereich unter der Führung von Chefscout Markus Pilawa. Dem stellt dessen Vorgesetzter, Sportdirektor Michael Zorc, übrigens ein exzellentes Zeugnis aus. „Markus Pilawa steht in der Verantwortung und macht einen riesigen Job – wie er es übrigens auch schon gemacht hat, als Sven Mislintat noch da war.“
Bereits bevor der hoch gelobte Mislintat im November 2017 den BVB in Richtung FC Arsenal verließ, hatte Borussia Dortmund dem Scoutingteam eine neue Struktur verliehen und es „so aufgestellt, dass es unabhängig von einzelnen Personen immer auf einem hohen Level funktionieren wird“. Mit der Leitung wurde Pilawa beauftragt. Das System reift und greift. In Sachen Nachwuchs und Scouting muss der BVB europaweit keinen Vergleich scheuen. Schnell und zielsicher will der Klub zugreifen und hat sich dafür eine imposante (Daten-)Basis geschaffen.

Markus Pilawa (l.) leitet die Scouting-Abteilung des BVB. © imago
Dass die Anstrengungen in diesem Bereich immer größer werden, liegt auch an der Entwicklung im modernen Fußball. Zorc: „Die Zeiten, in denen wir Robert Lewandowski für 4,5 Millionen verpflichten konnten, die sind vorbei. Das ist heute unmöglich. Oder Ilkay Gündogan für vier Millionen Euro aus Nürnberg zu holen, das wäre heute eine komplett andere Größenordnung.“
Scouting
An der Sorgfältigkeit und Genauigkeit der Dortmunder Spione gibt es extern wie intern wenig Zweifel. „Unsere Scouting-Abteilung“, sagte Nachwuchskoordinator Ricken gegenüber „Borussia“, „kennt natürlich jedes, aber auch wirklich jedes junge Top-Talent weltweit.“ Dafür sorgen dem Vernehmen nach knapp 20 Scouts in der Nachwuchsabteilung. Zusätzlich erstellen Kaderplaner für die verschiedenen Jahrgänge von der U15 bis zur U19 einen Überblick, wann auf welchen Positionen Spieler gesucht und gefunden werden müssen.
Tatsächlich geht der Blick oft ins Ausland. Aus Gründen, die nicht allein positiv zu sehen sind. „Wir haben im deutschen Nachwuchs zurzeit nicht diese absolute Top-Qualität“, sagte Zorc. „Ich habe leider das Gefühl, dass der deutsche Fußball links und rechts überholt wird.“ Spanien, Frankreich oder England setzen aktuell Maßstäbe in der Ausbildung und der Anschlussförderung. Der BVB hat alles im Blick.

Der BVB hat für die kommende Saison Giovanni Reyna für die U19 verpflichtet. Der 17-jährige US-Amerikaner will in die Fußstapfen von Christian Pulisic treten. © Groeger
Ob Christian Pulisic und Gio Reyna in den USA oder Jadon Sancho als missachtetes Talent in den Niederungen bei Manchester City – den BVB-Kundschaftern entgeht kaum etwas. „Wir schauen uns viele Auswahlspiele an“, erklärt Eddie Boekamp, Sportlicher Leiter des BVB-Nachwuchses. „Spielt im Juniorenbereich die Niederlande gegen Kroatien, dann sind wir da. So haben wir zum Beispiel Immanuel Pherai entdeckt.“ Der junge Holländer ist mit der U17 und U19 des BVB Deutscher Meister geworden. Und gilt als einer, der den Sprung nach ganz oben schaffen kann.
Rechtzeitig die Fühler austrecken, früher an den Talenten dran sein, das gehört zur Philosophie. Weil dann die Chance am größten ist, auch den Zuschlag zu bekommen von den weltweit gejagten großen Fußball-Versprechungen für die Zukunft. „Wir müssen früher dran sein“, sagt Boekamp, „sonst wird es ganz schwierig für uns.“
Denn woanders wird mit noch mehr Geldscheinen gewedelt, woanders gibt es noch schmuckere Leistungszentren. Beim BVB gibt es andere harte Währungen. Unter anderem die hervorragenden Referenzen von unzähligen Top-Talenten, die in Dortmund den Durchbruch und den Auftakt in eine internationale Karriere geschafft haben, von Mario Götze bis Christian Pulisic. Außerdem, so erklärt es Ricken, „eine familiäre Atmosphäre“. Man kennt sich. Eine Talent-Maschinerie will der Klub niemals werden.
Ziel: Spieler entwickeln
Eben diese Top-Talente auszubilden, sie auch persönlich reifen zu lassen und ihnen die Zeit zu gewähren, sich zu entwickeln, das soll ein Kennzeichen der Arbeit sein. „Es ist unser Anspruch, Spieler auszubilden, die auch in der Champions League spielen können“, sagt Ricken. Das ist wiederum der größtmögliche Schritt. Aber „ambitioniert zu sein, ist eines unserer Ausbildungsziele“.
„Es geht um die ‚high potentials‘, die wir hier entwickeln wollen, die bei uns eine sehr gute Plattform haben, um auf höchstem Niveau ihr Können zu zeigen und sich zu entwickeln“, erklärt Zorc.

„Wenn wir uns in der Spitze etablieren wollen, müssen wir einen anderen Ansatz finden als Klubs, die 250 Millionen Euro mehr Umsatz machen als wir.“ - Michael Zorc © imago
Diese Talente hätten die gleichen Ziele wie der Klub, deshalb sei der BVB eine gefragte und bestens beleumundete Adresse. „Anders geht es für uns nicht. Wenn wir uns in der Spitze etablieren wollen, müssen wir einen anderen Ansatz finden als Klubs, die 250 Millionen Euro mehr Umsatz machen als wir.“
Mehr als 50 ehemalige BVB-Nachwuchsspieler kicken aktuell in Klubs zwischen erster und dritter Liga – aber nur die wenigsten bei Borussia. Jeder Youngster, der es in den Profifußball schafft, gilt als Erfolg. Diesen Schritt in Dortmund zu vollziehen, ist eine der größtmöglichen Herausforderungen. Und dennoch bleibt es der Auftrag, natürlich in erster Linie für die eigene Profimannschaft auszubilden.
Problem Durchlässigkeit
Obwohl der BVB bundesweit und darüber hinaus für eine exzellente Talentausbildung steht und deutschlandweit in den vergangenen Jahren Maßstäbe setzt, ist für die erdrückende Mehrheit der Spieler nach der U19 oder spätestens nach einem Jahr Regionalliga in der U23 Schluss mit Schwarzgelb. „Man muss sich das wie eine Pyramide vorstellen“, sagte Zorc im Mitgliedermagazin des Vereins. „Nach oben hin wird es leistungstechnisch einfach extrem eng. Es kann sich nicht jeder Jugendspieler, auch nicht jeder Jugend-Nationalspieler, am Ende bei Borussia Dortmund durchsetzen.“

Tobias Raschl schnupperte schon Profiluft im vergangenen Wintertrainingslager in Bad Ragaz - inklusive des Testspiels gegen Willem II Tilburg. © Guido Kirchner
„Deshalb ist der Weg für einen talentierten Nachwuchsspieler nicht einfach“, ergänzt Ricken, „doch die Durchlässigkeit ist da!“ Aktuell rücken Luca Unbehaum, Tobi Raschl und Patrick Osterhage auf, sie haben Lizenzspieler-Verträge unterschrieben und dürfen bei den Profis im Training reinschnuppern. Vorhersagen, wer wann wo ein Bundesliga-Debüt geben könnte, sind nicht seriös. Manchen gelingt der Durchbruch, anderen nicht. Hinter dem derzeitigen Top-Trio „sehe ich weitere tolle Talente“, sagt Ricken.
Gleichwohl muss noch mehr Qualität her, damit die Rechnung aufgeht. Wer zig Millionen investiert, dem können der Ruhm für die Deutschen Meisterschaften bei gleichzeitiger Ausbildung für die Konkurrenz nicht genügen. Borussia Dortmund will sich in Zukunft noch mehr auf die absoluten Spitzentalente konzentrieren. Und den Übergang vom Junioren- in den Seniorenbereich geschmeidiger gestalten.
Struktur Skibbe/Addo
Michael Skibbe als Cheftrainer der A-Junioren und Chef für die höheren Jugendklassen sowie Otto Addo als „Übergangstrainer“ sollen helfen, die nächsten Bruun Larsens und Pulisics zu fördern. „Damit professionalisieren wir uns im elementar wichtigen Übergangsbereich der Altersklassen U17 bis U23, um eine konstant hohe Durchlässigkeit zur Profi-Abteilung zu gewährleisten“, erläutert Sportdirektor Michael Zorc.

Der BVB verspricht sich viel von der Verpflichtung von Michael Skibbe und den damit verbundenen externen Einflüssen. © Mallon
Der 43-jährige Addo, von 1999 bis 2005 selbst beim BVB aktiv, soll die Toptalente an die Profis heranführen, er ist für die Betreuung, zusätzliches Training sowie die Kommunikation und Koordination zwischen den Junioren, der U 23 und den Profis zuständig. „Gleichzeitig soll er die Belastung dieser Spieler optimal steuern, weil sie mitunter in mehreren Teams spielen, beispielsweise wenn sie ab und zu bei den Profis mittrainieren, in der U23 aktiv sind, aber auch in der U19, wenn wir in der UEFA Youth League antreten, und dazu noch Nationalspieler in ihrer Altersklasse sind“, berichtet Ricken.
Von der Verpflichtung von Michael Skibbe (53) und damit verbundenen externen Einflüssen verspricht sich der BVB viel. Der ehemalige Dortmunder Nachwuchscoach hat acht Erstligisten trainiert, war Nationaltrainer in Deutschland und Griechenland. Sein Name und seine Expertise stehen für sich. Einen so prominenten und erfahrenen Coach für die eigene Juniorenabteilung zu installieren, zementiert die Ernsthaftigkeit, mit der der BVB die Bemühungen um den Nachwuchs betreibt.
Ab der U14 standen Ende der abgelaufenen Saison alle BVB-Juniorenmannschaften auf Platz eins. Doch aktueller Erfolg ist nur ein Teil der internen Zielsetzung. Mehr denn je geht es in Zukunft darum, immer wieder Höchstbegabte auch bis ganz nach oben an die Spitze der Pyramide zu befördern.
Schon als Kind wollte ich Sportreporter werden. Aus den Stadien dieser Welt zu berichten, ist ein Traumberuf. Und manchmal auch ein echt harter Job. Seit 2007 arbeite ich bei den Ruhr Nachrichten, seit 2012 berichte ich vor allem über den BVB. Studiert habe ich Sportwissenschaft. Mein größter sportlicher Erfolg: Ironman. Meine größte Schwäche: Chips.
