Hohe Verluste und zum Erfolg gezwungen: „Der BVB steckt in der Falle“

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Hohe Verluste und zum Erfolg gezwungen: „Der BVB steckt in der Falle“

rnBorussia Dortmund

Der Bundesliga fehlen Stars und Wettbewerb - laut Sportökonom Christoph Breuer könnte der deutsche Fußball international den Anschluss verlieren. Die Corona-Verluste abzutragen werde Jahre dauern.

Dortmund

, 03.02.2022, 06:00 Uhr / Lesedauer: 7 min

Sportökonom Christoph Breuer doziert seit 2004 als Professor an der Deutschen Sporthochschule in Köln. Im Interview erklärt er, warum der Profifußball im Vergleich mit anderen Sportarten noch gut dasteht, warum er Schalke 04 nicht versteht und wie lange sich die Corona-Krise auf den Sport mindestens auswirken wird.


Die Covid-Pandemie bedeutet für den Profisport längst eine existenzielle wirtschaftliche Krise. Ist es an der Zeit, sich mit einem „Worst-case-Szenario“ zu beschäftigen?

Je länger die Pandemie und damit die Restriktionen im Bereich der Stadien und Hallen anhalten, desto größer ist natürlich dann auch das finanzielle Risiko. Aber im Gegensatz zu Sportarten wie Handball, Eishockey oder Basketball ist der Profifußball in Deutschland noch ganz gut aufgestellt, weil sein Geschäftsmodell maßgeblich über TV-Gelder finanziert wird. Während andere Sportarten auf Dauer ohne Zuschauereinnahmen nicht solide wirtschaften können, wäre das beim Profifußball - mit beträchtlichen Einschränkungen – immer noch möglich. Das stimmt mich optimistisch. Es ist nicht zu befürchten, dass der Profifußball vor dem Aussterben steht.

Prof. Christoph Breuer rät den Bundesliga-Klubs zu mehr Kreativität im Wirtschaften.

Prof. Christoph Breuer rät den Bundesliga-Klubs zu mehr Kreativität im Wirtschaften. © dpa/DSHS-Pressestelle

Wie müssten direkte Konsequenzen aussehen?

Die logische Folge wäre, die Ausgaben zu reduzieren. Durch niedrigere Spielergehälter würden einem Klub wie Borussia Dortmund im internationalen Wettbewerb aber enorme Nachteile entstehen.

Der frühere DFL-Chef Christian Seifert hat sinngemäß gesagt, wenn die Pandemie vorbei ist und der Schnee schmilzt, wird man sehen, wo die Haufen liegen.

Erstens: Klubs, die schon vor der Pandemie wirtschaftlich nicht gut aufgestellt waren, werden extrem zu knabbern haben. Zweitens werden sich die Auswirkungen eines Abstiegs aus der Bundesliga finanziell noch dramatischer darstellen als vor Corona. Und wenn drittens das Niveau der Gehälter sinkt, wird Deutschland das Nachsehen haben im Ringen um internationale Toptalente. Entscheidend ist, dass die deutschen Klubs in einer doppelten Wettbewerbssituation sind.

National und international?

Neben der Konkurrenz im eigenen Land, die zumindest unter ähnlichen Voraussetzungen agiert, stehen alle Klubs auch im Wettbewerb mit englischen, spanischen oder französischen Vereinen. Wenn die aktuell vor vollen Rängen spielen können, verschärft das noch mal das finanzielle Ungleichgewicht, was wir im europäischen Fußball haben, und zwar zu Ungunsten der deutschen Teams.

Ist das in einem aufgeblähten Business eine gesunde Schrumpfung, oder redet man von der existenzbedrohenden Notlage?

In sehr vielen Klubs ist die Finanzierung auf Kante genäht. Die Logik und die Prinzipien des Fußballgeschäfts sind halt so, dass wir ein Rattenrennen haben. Ich muss immer Geld in Spieler und in den Trainerstab investieren, um konkurrenzfähig zu sein im Wettbewerb um europäische Qualifikationsplätze oder, weiter hinten, um den Klassenerhalt zu sichern. Es bewerben sich immer mehr Klubs um diese Ziele, als Plätze zur Verfügung stehen. Nur vier Teams kommen in die Champions League, und alle 18 Bundesligisten wollen in der Liga bleiben. Das wird nicht gehen. Deshalb zahlt sich bei einigen diese Investition in die sportliche Wettbewerbsfähigkeit nicht aus. Und deswegen schaffen es viele Klubs nicht, eine finanzielle Rücklage zu schaffen. Diese Klubs sind dann von Einbußen besonders stark betroffen.

Welche Auswege sehen Sie?

Über die Spielergehälter haben wir gesprochen. Borussia Dortmund hat die besondere Möglichkeit genutzt, über eine Kapitalerhöhung frisches Geld zu akquirieren. Man kann auch einen Investor an Bord holen wie Hertha BSC. Dann ist die kurzfristige finanzielle Situation deutlich besser.

Ist das perspektivisch auch klug?

Dort wird man eher nicht zur Vernunft kommen und den Spielern weniger zahlen, sondern man sieht den Vorteil, dass man in dem Moment vielleicht eine bessere Chance hat, weil man einen besseren Kader stellen kann. Deswegen vermute ich sehr stark, dass wir nur eine Gehaltsdelle haben werden. Sobald die Einnahmen durch die Zuschauer wieder normal strömen, wird ein Großteil davon nicht in finanzielle Rücklagen fließen, sondern direkt wieder in Spielergehälter.

Sie haben diese Kapitalerhöhung bei Borussia Dortmund angesprochen. Der Klub kann das machen. Als börsennotierte KGaA sicherlich ein legaler Schachzug. Ist es auch legitim im Wettbewerb?

Ja. Ich kritisiere auch nicht grundsätzlich die 50+1-Regel, aber ich kritisiere seit Längerem, dass wir uns eine Chancengleichheit vorgaukeln, die es nicht gibt. Wenn wir genau hinschauen, gibt es diese Gleichheit nicht. Nicht nur, weil wir Ausnahmen von der Regel haben, sondern auch, weil die Klubs unterschiedlich mit ihren Möglichkeiten umgehen. Bei Schalke 04 haben wir immer noch einen klassischen e.V., der gar nicht zur entsprechenden Kapitalerhöhung greifen kann. Man muss überlegen, ob das nicht fahrlässig ist, in so einer Situation kein finanzielles Sicherheitsnetz einziehen zu können.

Kritisiert werden eher die Ausnahmen bei den Klubs, die subventioniert werden.

Wir finden höchst unterschiedliche finanzielle Konstellationen und haben keine Waffengleichheit finanzieller Art, insbesondere wenn wir auf Klubs wie Wolfsburg oder Leverkusen schauen. Dort gibt es nicht nur Gewinnabtretungsverträge, sondern auch Verlustabtretungsverträge mit dem Mutterkonzern. Spätestens in der Not wird also mit allen finanztaktischen Finessen gespielt, die das System ermöglicht. Auch in Leipzig, wo Verbindlichkeiten gegenüber Red Bull umgewandelt wurden in Eigenkapital. Legal betrachtet ist das ein einwandfreies Finanzgebaren. Aber es verdeutlicht, dass nicht alle mit gleichen Waffen kämpfen.

Das Kartellamt und die DFL beschäftigen sich ja mit diesen Sonderregelungen. Wenn es mit der 50+1 bereits so viele Ausnahmen gibt, müsste man die Regel im Sinne der Chancengleichheit ganz kippen. Wäre das Ihr Plädoyer?

Man kann ja auf zweierlei Weise Gleichheit schaffen. Entweder man legt 50+1 sehr restriktiv aus. Das lässt sich aber anscheinend politisch nicht umsetzen. Die andere Möglichkeit wäre, dass man die freien Kräfte des Marktes wirken lassen würde.

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Das ist in Deutschland mehrheitlich nicht gewollt.

Dann muss man andere Lösungen suchen. Es verbietet niemand dem Verein Schalke 04, die Profiabteilung als Kapitalgesellschaft auszugliedern. Es verbietet auch niemand Vereinen wie Borussia Mönchengladbach oder dem 1. FC Köln, von ihren 100 Prozent an der Profiabteilung einen Anteil an Investoren zu veräußern. Aber sie haben sich aus unterschiedlichen Gründen dafür entschieden, das nicht zu machen.

Erwarten Sie, dass mehr Vereine aus finanziellen Engpässen heraus anderweitig Geld beschaffen?

Die Varianten werden sicherlich planerisch durchgespielt. Derzeit erscheint vielen Klubs eine weitere Verschuldung attraktiver als Anteile zu veräußern. Da gibt es eine Koalition von Geschäftsführung und Fans: Beide wollen Mitbestimmung Dritter vermeiden. Deswegen einigt man sich leicht auf den Nenner einer weiteren Verschuldung. Für die finanzielle Gesundung eines Unternehmens ist das nicht der Königsweg. Das steht dem entgegen, was sonst in der Wirtschaft üblich ist.

Was halten Sie von Fußballaktien, die in Deutschland ja noch relativ vereinzelt sind, aber international häufiger zu finden sind?

Als Anlageobjekt eignen sie sich nicht sonderlich, weil das Wachstum eines solchen Unternehmens relativ schnell begrenzt ist. Wenn man einmal im Champions-League-Finale war, kann man nicht viel mehr erreichen. Aber um zusätzliche Mittel zu generieren, ist die Börse ein interessanter Ansatz. Mir steckt in der Diskussion darüber zu viel Schwarz-Weiß-Denke. Ich finde eher die Grautöne spannend.

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Nennen Sie ein Beispiel!

Das Football-Team der Green Bay Packers in den USA ist auch als Aktienunternehmen organisiert und es gilt die Deckelung, dass ein Aktienbesitzer nur eine bestimmte Stückzahl maximal halten darf. Wenn man das so organisiert, hätte man bei einem Fußballklub keine Großaktionäre mit unwägbaren Absichten, sondern viele Kleinaktionäre. Wenn dann tatsächlich die Fans Kleinaktionäre werden, hätte man beides: eine Kapitalgesellschaft, die entsprechend viel Eigenkapital aufweist und gesund dasteht sowie die Stimmrechte allein in der Hand von Fans. Das wäre ein fanorientiertes Beispiel für eine kreative Lösung und eine Win-win-Situation.

Tendenziell würde ich behaupten, dass der Fußball seine Boomzeit bereits hatte. Die TV-Vermarktung kannte lange Zeit nur eine Richtung und stagniert erstmals seit Jahrzehnten.

Ja, der Profifußball scheint auf hohem Niveau zu stagnieren. Und jetzt leidet er zusätzlich unter der Krise, weil letztendlich die emotionalen Stadionerlebnisse ein wichtiger Schlüssel für die Verbindung zu den Fans und steigendes Interesse sind. Wir wissen aus eigenen Studien, dass selbst für Fernsehzuschauer Spiele mit Publikum vor Ort interessanter sind als diese Geisterspiele. Wenn sich das Gewohnheitstier Fußballfan von seinem Produkt entwöhnt, wäre das problematisch. Die Fans sind nicht zwangsweise auf die Ware Fußball angewiesen.

Sie suchen sich, gerade in der jüngeren Generation, andere Felder aus.

Wenn Kinder und Jugendliche Fifa an der Konsole spielen, wollen sie natürlich mit den internationalen Starspielern antreten, mit denen man häufiger gewinnt. Da konzentriert es sich auf ein knappes Dutzend internationaler Topklubs. Und dadurch wird es doppelt schwierig für viele Bundesligisten, hier langfristig neue Fans zu generieren. Der Mittelstürmer des regionalen Bundesligaklubs ist mit großer Wahrscheinlichkeit weniger attraktiv als Ronaldo oder Messi.

Entwickelt die Bundesliga genug kreative Geschäftsmodelle im digitalen Bereich?

Die Voraussetzungen hierfür sind strategisch sehr gut getroffen worden. Die DFL hat früh die Zeichen der Zeit erkannt und sich wie ein Medienunternehmen aufgestellt. Die neue Geschäftsführerin Donata Hopfen kennt sich im digitalen Geschäft sehr gut aus. Die Frage ist, ob der Inhalt für ein globales Publikum spannend genug ist. Je weiter wir uns von Deutschland entfernen, desto größer ist die Strahlkraft von Stars, die eben nicht in Deutschland spielen.

Hinzu kommt, dass der Wettbewerb in Deutschland nicht besonders spannend ist. Bayern München wird vermutlich zum zehnten Mal in Serie Deutscher Meister. Und selbst die Bayern können finanziell kaum mithalten mit den fremdfinanzierten Klubs in England oder Frankreich.

Auch wenn das nicht immer mit unseren gängigen moralischen Vorstellungen einhergeht, scheinen diese internationalen Investorenklubs sehr attraktive Produkte zu generieren. Die Nachfrage danach ist weltweit groß. PSG, Manchester City und andere machen also offensichtlich auch etwas richtig. Fußballtraditionalisten mag es empören, dass da so viel Geld investiert wird, dass kaum ein klassischer Verein ohne Hilfe von Investoren mithalten kann. Das wird selbst für den FC Bayern schwierig. Und der hat einen fast doppelt so teuren Kader wie der Zweitplatzierte aus Dortmund. Und einen 15 mal so teuren Kader wie die Klubs, die gegen den Abstieg spielen.

Die Bundesliga braucht also mehr Wettbewerb und mehr Stars.

Um international Aufmerksamkeit zu generieren, wäre das zwingend nötig. Weder das asiatische noch das amerikanische Publikum sind langfristig an Klubs interessiert, die in der Champions League nach der Vorrunde die Segel streichen. Sie wollen sich mit Siegern und Stars identifizieren. Da machen gerade andere Klubs das Rennen. Gleichwohl gibt es keine Alternative für die DFL, diesen Weg der Digitalisierung und der Internationalisierung weiter zu beschreiten. Aber es ist schwierig, weil sie bis auf Bayern München kaum Premiuminhalte in ihr Konzept packen kann.

Wie viel Risiko darf ein Klub wie Borussia Dortmund nach einer Kosten-Nutzen-Abwägung eingehen?

Der BVB muss ein gewisses Risiko eingehen. Ohne die Teilnahme an der Champions League oder mit einem frühen Ausscheiden sind deutliche finanzielle Einbußen verbunden. Gerade für einen Klub wie Borussia Dortmund, der immer so halb auf dem Sprung zur europäischen Elite ist, wäre es besonders schwierig, wenn er einmal den Anschluss verpasst. Dortmund steckt in einer Falle: Wenn ich nur vorsichtig agiere, werde ich mit Sicherheit alle sportlichen Ziele auf der europäischen Ebene verpassen und global noch weniger Strahlkraft erzielen. Gäbe es die finanziell so lukrative Champions League nicht, könnte man viel einfacher alle Fünfe gerade sein lassen und eine konservative Strategie fahren. Aber das minimiert direkt die internationalen Chancen, denn dort weht noch mal ein ganz anderer Wind als in der Bundesliga.

Wenn wir abschließend davon ausgehen, dass die Pandemie und ihre Auswirkungen im nächsten halben Jahr deutlich weniger Sorgen bereiten: Wie lange, glauben Sie, braucht der Profisport, um sich davon zu erholen? Für über welche Zeitspannen reden wir da?

Das wird je nach Klub bis zu fünf Jahre benötigen. Und ungeklärt ist ja noch die Frage, ob die Fans tatsächlich alle wieder ins Stadion kommen. Da hat es ein Magnet wie Borussia Dortmund vermutlich leichter, wo die Nachfrage die Kapazität oft überstiegen hat. Aber selbst im Signal Iduna Park kann man die vielen Tickets, die man nicht verkaufen konnte, nach Corona nicht ein zweites Mal anbieten und on top verkaufen. Dieser Verlust muss erstmal abgebaut werden.

Die Preise zu erhöhen wäre ein naheliegender Schritt. Aber damit vergrault man womöglich viele Fans, die gerade auf der Kippe stehen.

Die Klubs sind sich bewusst, dass die Fans die Keimzelle für eine erfolgreiche Zukunft darstellen. Sie müssen eher gehegt und gepflegt werden als geschröpft.