Signal-Iduna-Chef Ulrich Leitermann hat die jüngste BVB-Choreo zum Westfalenstadion scharf kritisiert – und eine hitzige Diskussion um den Dortmunder Stadionnamen entfacht. Im Interview mit Jürgen Koers ordnet Prof. Dr. Axel Faix (FH Dortmund) die Aussagen ein, spricht über die Kommerzialisierung im Profifußball und warnt vor Premier-League-Verhältnissen.
Wie haben Sie die aufgefrischte Kontroverse um den Stadionnamen bei Borussia Dortmund verfolgt? Wie bewerten Sie die Positionen?
Ich kann die BVB-Fans sehr gut verstehen. Für sie geht es beim Stadion und seinem Namen auch um ein Stück Identität. Das darf man nicht unterschätzen.
Was meinen Sie mit Identität?
Beim Stadion handelt es für Fans nicht nur um Rasen, Steine, Tribünen und Bierstände. Es ist mindestens am Spieltag gefühlt ihre Heimat, ihr Zuhause, in dem sie sich vielleicht schon viele Jahre wohlfühlen. Weil es auch noch Westfalenstadion hieß, steckte auch der lokale und regionale Bezug darin. Das ist eine sehr sensible Angelegenheit. Die Diskussion hinter dem Widerstand, den Namen „Signal Iduna Park“ zu akzeptieren, ordnet sich dabei in eine weitere, größere Entwicklung ein: In den vergangenen Jahrzehnten ist eine brachiale Kommerzialisierung über den Fußball hergezogen, die den Überbau für die Namensdiskussion liefert. Am Ende läuft es auf die Fragen hinaus: Was will der Fußball? Wofür soll Fußball stehen? Das muss man im Hinterkopf haben.
Also ist die Debatte um den Stadionnamen beispielhaft.
Ja. Wir haben aus unseren wissenschaftlichen Umfragen bei „FanQ“ gelernt: Die Fans sind nicht naiv, sie sind auch keine romantisch verklärten Traditionalisten. Sie sind bereit, für den Fußball viel zu ertragen, auch wenn sie die Ticketpreise und Merchandising-Produkte als zu teuer erachten. Das machen sie oft noch mit, weil es auch zur Identität als Fan beiträgt. Sie steigen aber aus bei absurden Ablösesummen, den hohen Spielergehältern oder dann, wenn sie eine Handvoll Pay-TV-Abos abschließen müssen, um alle Spiele zu sehen.
Nochmal zurück zu den verkauften Namensrechten: Die sind bei Stadien und Hallen bundesweit doch seit 20 Jahren Normalität.
Darf ich etwas ausholen bei der Erklärung? Wir müssen uns klar machen, was ein heimisches Stadion am Spieltag für einen Fan bedeuten kann und dass Heimspiele für Klubs Vorteile bieten.

Nur zu!
Das Thema „Heimvorteil“ ist ein Phänomen, das viel untersucht worden ist. Es ist nicht in Gänze, aber zum Teil erklärbar. Wesentlich dazu gehört das Heimpublikum, das das Heimteam in der Regel anfeuert und bei umstrittenen Szenen aufspringt und auf die Akteure auf dem Platz einwirkt. Schiedsrichter zeigen signifikant mehr Gelbe und Rote Karten für die Auswärtsmannschaften. Das kann entscheidend sein! Und ein weiterer Faktor ist das Territorialverhalten.
Das müssen Sie erklären!
Spieler wie Fans bewegen sich auf ihrem eigenen Platz, auf ihrer eigenen Scholle anders. Dort sind sie der Platzhirsch, entwickeln ein Verteidigungsverhalten. Das Gefühl dahinter: Das ist mein Platz! Das lässt sich argumentativ verlängern bis zum Namen. Viele BVB-Fans sind mit dem „Westfalenstadion“ aufgewachsen. Der neue Name „Signal Iduna Park“ wird als Eindringling empfunden. Dieses Gefühl, das tiefere Verständnis für die Fans und die Fankultur, hat Signal-Iduna-Chef Ulrich Leitermann meiner Meinung nach nicht ausreichend beachtet, wenn er die Ressentiments gegen den Namen als „inakzeptabel“ bezeichnet.
Können Sie die Sichtweise des Sponsors nachvollziehen?
Ich kann das ein Stück weit verstehen. Die Signal Iduna war da, als es dem BVB schlecht ging. Das sollten die Fans auch anerkennen. Doch statt einer gelasseneren Reaktion auf die Choreografie vor zwei Wochen haben die jüngsten Äußerungen für mein Verständnis eher Öl ins Feuer gekippt. Eine sensiblere Wortwahl, gerne mit kritischem Unterton versehen, wäre wohl die überlegenere Alternative gewesen.
PR-Eigentor oder PR-Coup, weil der Name deutschlandweit in den Schlagzeilen stand?
Eigentor. Das Unternehmen steht für Seriosität und Verlässlichkeit, gerade als Versicherung, und möchte das Image des Fußballs mit seiner Dynamik, Ästhetik und den Emotionen auf das eigene Image übertragen. Wenn man dann als „beleidigt“ wahrgenommen wird, ist das schwierig.
Wie wäre dieser Interessenskonflikt lösbar?
Das Dilemma steckt in der Konstellation, denn es handelt sich sogar mindestens um eine Dreierbeziehung: Die Sponsoren und Werbepartner haben kommerzielle Interessen. Dann gibt es da die Führung des Vereins, und als dritten Stakeholder, wie man heute sagen würde, die Gruppe der Fans. Deren Interessen sind aber definitiv nicht immer deckungsgleich mit der Klubführung. Die haben ihre eigenen Vorstellungen, wie etwa die Auseinandersetzungen um Pyrotechnik im Stadion zeigen. Der Dialog zwischen Fans und Vereinen ist seit Jahren an vielen Standorten schwieriger geworden. Die Zuschauer, zumindest die aktive Szene, will nicht nur zahlende Masse sein, sondern ernstgenommen werden und mitreden. Man darf in keiner Sekunde vergessen: Ohne Fans ist alles nichts! Das Spiel ist ein anderes, für das TV wird es weniger interessant, damit auch für Sponsoren.
Wieviel Einfluss sollten die Fans denn nehmen dürfen?
Man darf den Ultras nicht die Entscheidungen überlassen, auf keinen Fall, bitte nicht falsch verstehen! Aber sie verdienen eine Kommunikation auf Augenhöhe und mit Respekt. Sie leisten enorm viel für die Vereine.
Sind Funktionäre und die Riegen der Sponsoren und Finanziers also zu weit weg von der Basis? Die einen sprechen von Fankultur, die anderen vom „Produkt“ Fußball.
Wenn man auf die Diskussion um den Investoreneinstieg bei der DFL schaut, verfestigt sich dieser Eindruck. Die große Diskussion in Fankreisen lautet: Was soll der Fußball in Zukunft für uns bedeuten? Welchen Fußball wollen wir haben? Und das ist erstmal eine sehr bodennahe Debatte.
Wie lauten die Antworten?
Bei der abgehobenen Diskussion um einen strategischen Partner der Bundesligen gibt es bisher keine plausible Antwort auf die Frage: Wofür braucht man das Geld? Da wird über zwei oder drei Milliarden Euro geredet, über einen Vertrag über 20 oder 30 Jahre. Aber keiner erklärt konkret, wozu das Geld dienen soll. Welche Vereine profitieren? Welche Regelungen für die folgenden Investitionen soll es geben? Wandert das Geld in die Schuldentilgung? Werden Nachwuchs und Nachhaltigkeit gefördert? Oder steigen dann einfach Spielergehälter, Ablösesummen und Beraterhonorare?
Wir haben in Deutschland etwa beim Hamburger SV oder Hertha BSC abschreckende Beispiele gesehen.
Hertha BSC hat seine Schulden getilgt und bei den weiteren Millionen hat man den Eindruck, da hätte jemand ein Streichholz an die Geldscheine gehalten. Von daher ist die Sorge der Fans berechtigt. Im Berliner Vergleich: Das kleine Union Berlin macht aus viel weniger Geld viel mehr als der selbsternannte Big City Club. Da schlägt eindeutig das Konzept die Kohle. Ich will Investoren gar nicht verteufeln, aber ich muss gründlich nachdenken, wie ich einen Klub und in welche Richtung ich ihn entwickeln möchte.
Was schwebt Ihnen vor?
Wir haben erforscht, was die Fans wollen, wie ein idealer Fußballklub aussieht. Die Merkmale lassen sich konkret ablesen. Ganz vorne steht, dass der Verein systematisch Nachwuchs entwickelt, idealerweise aus der eigenen Region, und diese Spieler in die Profiteams integriert. So werden Identifikationsfiguren und erfolgreiche Teams aufgebaut. Kommt es zu hohen Transfererlösen, wäre dem Klub sportlich und finanziell gedient und wir hätten ein sehr nachhaltiges Wirtschaften. Das ist der wichtigste Wunsch der Fans. Nicht Stars einkaufen und teuer bezahlen, sondern die Identität stärken.
De facto arbeiten die Bundesliga-Klubs auf kurzfristigen Erfolg hin.
Jeder Profiverein nennt als Ziele sportlichen Erfolg bei solidem Wirtschaften. Aber sobald der sportliche Erfolg gefährdet ist, scheint denen selbst negatives Eigenkapital egal zu sein. Viele Verantwortliche agieren mit engem Blick auf die Gegenwart ohne die längerfristigen Konsequenzen des Handelns einzubeziehen.
Mehr Geld wäre demnach auch keine Lösung.
Im Gegenteil: Dann kommt das vielbeschriebene Rattenrennen zum Tragen, mit der bitteren Logik: Auch wenn alle Ratten ihre Bemühungen verdoppeln, ist immer nur ein Stück Käse da. Die Anreizstruktur der Bundesliga trägt das in sich, mit Abstufungen: Nicht-Abstieg, Europapokalplätze, Meisterschaftskampf. Erfolge und Reichweiten steigern, noch mehr einnehmen, und die Chose beginnt von vorne. Wenn alle mehr Geld ausgeben, steht keiner besser da als vorher.

BVB-Chef und DFL-Aufsichtsrat Hans-Joachim Watzke fürchtet um die „internationale Wettbewerbsfähigkeit“ der deutschen Klubs. Wird der deutsche Fußball ohne Investoren international abgehängt? Oder wird er mit Investoren national verfremdet?
Von Abhängen würde ich nicht reden, das gibt das Abschneiden der deutschen Klubs in den letzten Jahren nicht her, man denke nur an die überraschenden Erfolge der Frankfurter Eintracht. Und ich kann nur warnen: Wenn die Liga Premier-League-Verhältnisse anstrebt, würde sie Gefahr laufen, alles zu verlieren, was das Fundament im deutschen Fußball ausmacht. Das Fundament sind die Fans.
Die 50+1-Regel verhindert englische Verhältnisse.
Und sie ist Gold wert! Sie trägt als Regulativ dazu bei, dass es noch einen vernünftigen Kompromiss gibt zwischen Investments und sportlicher Leistungsfähigkeit. Davon profitiert die Bundesliga. Der Fußball darf nie aufgaben, mit Maß und Mitte zu agieren. Sonst verliert er seine sehr große, sehr loyale Fanbasis.
Wie groß ist Ihre Sorge bezüglich der Investorendebatte?
Wir sind am Scheideweg. Ein Namenssponsor oder ein Trikotsponsor sind etwas anderes als ein Investor mit großem Einfluss in einem Verein. Der kann Fluch und Segen sein. Bisher überwiegen die abschreckenden Beispiele, wenn man sich den KFC Uerdingen oder 1860 München anschaut. Es ist vom Grundsatz her richtig, die Einflüsse von Investoren zu begrenzen. Auch wenn das Champions-League-Finale in weitere Ferne rückt: Mehr Geld macht den Fußball im Gesamten nicht besser. Man muss nicht auf mehr Geld setzen, sondern das vorhandene Geld besser einsetzen. Da haben einige deutsche Klubs Nachholbedarf. Eine Chance liegt in der Digitalisierung, weil dadurch mit wissenschaftlich fundierter Basis mehr richtige Entscheidungen getroffen werden können, oder sie zumindest das Bauchgefühl zu bestätigen.
Der „moderne Fußball“, der von den aktiven Fanszenen angeprangert wird, ist doch längst eine durch und durch kommerzielle Veranstaltung. Mögen manche der Wirklichkeit nicht ins Auge sehen?
Der Profifußball ist ein „Spiel“, das durch und durch kommerzialisiert ist. Manche sagen sogar überkommerzialisiert.
Zurück zu den Fans: Wie groß sehen Sie die Gefahr, dass bei allen Zwängen zur Erlössteigerung in den Klubs die Fans auf der Strecke bleiben?
Die Gefahr ist bereits Realität. Seit 2019 fragen wir mindestens einmal im Jahr die Fans: Wenn die Entwicklung im Fußball mit der Kommerzialisierung so weitergeht wie bisher, hältst du dem Fußball die Treue oder wendest du dich eher ab? In jeder Umfrage mehren sich die negativen Stimmen. Ob das auch in einer aktiven Abkehr mündet, ist eine andere Frage. Aber die Tendenz ist eindeutig. Die Fans zelebrieren das Gemeinschaftserlebnis, sie feiern die eigene Loyalität gegenüber ihrem Verein. Wenn sich immer mehr Leute abwenden wegen der Kommerzialisierung, bröckelt die Basis.
Ich fasse zusammen: Die Entscheider im Fußball müssten mehr auf die Fans hören?
Sie müssen sie zumindest anhören. Unterschiedliche Abos für mehrere Streamingdienste versteht und will keiner. Da reden wir noch nicht einmal über den Preis. Da werden die Fans genauso wenig mitgehen wie damals bei den Montagsspielen. Die Skepsis gegenüber Investorenmodellen hat eine noch größere Sprengkraft. Das sollten sich die Klubs zu Herzen nehmen. Es braucht den Dialog, keine Maßregelung. Die Klubs müssen nicht Eins-zu-eins umsetzen, was die Kurven verlangen, ganz und gar nicht. Aber die Führungskräfte müssen erkennen, dass die Fans als elementarer Bestandteil zur Schicksalsgemeinschaft dazugehören.

Prof. Dr. Axel Faix lehrt an der FH Dortmund Betriebswirtschaftslehre und Unternehmensführung. Sportmanagement ist eines seiner Fachgebiete. Zu seinen Aktivitäten gehört auch „FanQ“ – die Plattform erforscht mit Umfragen die Interessen von Fußballfans.
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