Der Ruf nach Ultras: Wie die Stimmung im BVB-Stadion noch zu retten ist

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Der Ruf nach Ultras: Wie die Stimmung im BVB-Stadion noch zu retten ist

rnBorussia Dortmund

Der Signal Iduna Park erlebt derzeit ein Stimmungstief, das zur aktuellen Saison des BVB passt. Viele Fans hoffen auf eine Rückkehr der Ultras. Diese alleine können das Problem aber nicht lösen.

Dortmund

, 02.03.2022, 06:00 Uhr / Lesedauer: 4 min

„Danke an die BVB-Ultras und die Rangers-Fans, dass sie mich daran erinnert haben, warum ich Fußball spiele“, schrieb Borussia Dortmunds Rechtsverteidiger Thomas Meunier bei Instagram nach dem Ausscheiden aus der Europa League in Glasgow. Triste Wochen lagen da hinter ihm und seinen Mitspielern. Sportlich, aber auch stimmungstechnisch. Aus den Cup-Wettbewerben raus, in der Liga abgeschlagen hinter den Bayern auf Platz zwei und selbst bei Heimspielen kam auf den Rängen keine besonders gute Stimmung auf. Warum ist das so in Dortmund? Eine Spurensuche unter BVB-Fans.


BVB-Fans lassen ihre Mannschaft im Heimspiel im Stich

Nina Tillmann schreibt schon seit längerer Zeit als Gastautorin für „schwatzgelb.de“, seit Ende Januar ist sie fester Bestandteil der Fanzine-Redaktion. Mit ihrem Text nach der 2:5-Heimpleite gegen Leverkusen zur Stimmung im Dortmunder Stadion traf die 41-Jährige den Nagel auf den Kopf, so ist es jedenfalls aus vielen Stimmen der Fanszene zu hören.

„Liebe Mannschaft, lieber Trainer, es tut mir leid, wir haben Euch hängen lassen. Wir sollten der 12. Mann sein, mit diesem ‚weichen Faktor‘ wurdet ihr bei der Anwerbung geködert. In dieser Rechenart musstet ihr heute faktisch mit einem Mann weniger antreten. Ich kann nur um Verzeihung bitten“, schrieb sie in dem Artikel „Kollektives Versagen auf dem Platz und auf der Tribüne“. Ein gellendes Pfeifkonzert und fehlender Support im eigenen Stadion waren diesen Zeilen vorausgegangen.

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Auch einige Wochen nach Veröffentlichung ihres Textes steht sie noch zu ihren Aussagen. „Es ist doch so“, erklärt sie im Gespräch mit den Ruhr Nachrichten, „das Stadion ist ein Mitmach-Theater. Die Ultras sind in der Vergangenheit oft kritisiert worden für ihre Deutungshoheit oder den Dauer-Singsang. Das hat es aber Vielen leicht gemacht, in den speziellen Momenten einzusteigen.“ Nun fehlten aber die Ultras – und mit ihnen der Spiritus, der das Feuer der Gelben Wand in der Vergangenheit erst so richtig habe lodern lassen.

Ultras bleiben den BVB-Heimspielen fern: „Alle oder keiner“

Um zu verstehen, warum die organisierte Fanszene dem Stadionerlebnis in Dortmund – und damit den Heimspielen ihres heißgeliebten BVB – fernbleibt, muss man ihr Selbstverständnis von Zusammenhalt verstehen. „Alle oder keiner“ verstehen die Ultras nicht bloß als blanke Plattitüde oder pubertären Corona-Trotz. Es geht um den komplexen Gruppen-Gedanken an sich, über den die Ultragruppierungen sich letztendlich definieren.

In Dortmund wünscht man sich Bilder wie dieses aus dem Jahr 2018 zurück.

In Dortmund wünscht man sich Bilder wie dieses aus dem Jahr 2018 zurück. © picture alliance/dpa

Auswärts bei den Rangers waren sie dabei, weil in Schottland die Stadien voll ausgelastet sein durften - jeder Fan hatte also die Möglichkeit, sich ein Ticket zu besorgen. Auch in Deutschland soll das ab dem 20. März wieder so sein, wenn entsprechende Corona-Schutzmaßnahmen dann wegfallen. Für den BVB würde das zunächst ein volles Haus gegen RB Leipzig bedeuten. Wer denkt, dass sich mit der Rückkehr der Ultras aber auch das Stimmungsproblem im Dortmunder Stadion im Handumdrehen beheben ließe, der irrt.

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Das liegt zum einen am fußballfremden Publikum. Während der Pandemie und der schrittweisen Öffnung der Stadien kamen zum Teil Zuschauer an Karten, die ansonsten selten bis gar nicht bei Spielen des BVB zu Gast waren und nicht auf der Tribüne „sozialisiert“ worden sind.

Fußballfremdes Publikum kommt während der Pandemie ins BVB-Stadion

„Man ist sehr verwöhnt in Dortmund. Da herrscht ein Anspruchsdenken vor, das die Mannschaft oft nicht erfüllen kann“, sagt Alex Skroblin aus der Fanabteilung des BVB. Er selbst geht schon viele Jahre selbst ins Stadion und nimmt einen coronabedingten Publikumswechsel auf den Rängen wahr. „Das habe ich eigentlich nicht so erwartet. Die Kommentare sind zum Teil schon recht schnell sehr negativ. Der Geduldsfaden reißt beim zweiten Fehlpass“, sagt er und stellt fest: „Das klassische Nach-Vorne-Peitschen, egal bei welchem Spielstand, fehlt völlig.“ Zum anderen liegt das aber auch an dem von Skroblin angesprochenen gewachsenen Anspruchsdenken der Fans an die BVB-Spieler.

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Matthias Herzog ist Mentalcoach und Vortragsredner zum Thema „mentale und körperliche Stärke“. Darüber hinaus unterstützt er Spitzensportler, Nationalmannschaften und Bundestrainer, ihr vorhandenes Potenzial noch effizienter zu nutzen und spitze zu sein, wenn es drauf ankommt. Das Verhalten einiger Fans deutet er so: „Du hast viele Monate darauf gewartet, deine Stars unten auf dem Rasen spielen zu sehen. Dann spielen sie aber vielleicht nicht so die Sterne vom Himmel, wie du es dir gerne gewünscht hättest – und ganz schnell verwandelt sich die kindliche Vorfreude in Frustration.“

Pfiffe verschlechtern die Leistungen der BVB-Profis

Pfiffe und Unmutsbekundungen seien die Folge, die sich wiederum in der Leistung der Spieler niederschlagen. „Die Spieler haben ewig lange keine Fans gehabt und sehnen sich nach dem 12. Mann. Plötzlich haben sie aber einen 12. Gegner und wünschen sich vielleicht sogar das leere Stadion zurück. Das schlägt aufs Gemüt und schließlich auch auf die Leistungsfähigkeit, weil sich eine Lustlosigkeit und Verkrampftheit einstellt“, sagt Herzog.

In Dortmund steht man noch immer auf echte Kämpferherzen wie etwa Kevin Großkreutz im Jahr 2011.

In Dortmund steht man noch immer auf echte Kämpferherzen wie etwa Kevin Großkreutz im Jahr 2011. © picture alliance / dpa

Diesen Teufelskreis können beide, Spieler und Fans, durchbrechen. „Für viele Fans würde es schon einen Unterschied machen, wenn die Profis Gas geben und dann verlieren, als wenn sie sich einfach ihrem Schicksal ergeben und untergehen“, sagt Mentalcoach Herzog.

„Auf geht‘s Dortmund, kämpfen und siegen“, dieser Fangesang verdeutliche, was bei den BVB-Fans gefragt sei. Die Fans seien aber laut Herzog auch selbst in der Pflicht, ihre Mannschaft anzutreiben – ob mit oder ohne Ultras.

BVB-Fans vermissen ihr gewohntes Umfeld im Stadion

„Das Fehlen der Ultras macht sich natürlich insofern bemerkbar, als dass man keinen zentralen Punkt hat, von dem die gute Stimmung ausgehen kann“, sagt Schwatzgelb-Autorin Tillmann, die seit der Saison 1996/97 im Besitz einer Dauerkarte ist. Für viele Fans, auch für jene, die schon jahrelang in den Dortmunder Fußballtempel pilgern, ist aber nicht nur das ein großes Problem.

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Manch einer findet nicht mehr so viel Gefallen am Stadionbesuch wie vor der Pandemie. „Es macht einfach mehr Spaß in größeren Gruppen, das fehlt einigen total. Generell fehlt ihnen ihr gewohntes Umfeld auf der Tribüne“, meint BVB-Fanabteilungsmitglied Skroblin. Teilweise hat eine Art Entwöhnung stattgefunden.

BVB-Fans in der Pflicht: „Ein Stück weit auch Eigenverantwortung“

Die nahende Vollauslastung und bevorstehende Rückkehr zur magischen Zuschauerzahl von 81.000 dürften dennoch in Dortmund einen Stimmungswandel zum Positiven nach sich ziehen. Ein volles Stadion allein zündet allerdings noch kein Feuerwerk. „Das Stadion-Erlebnis erst einmal zu einem zu machen“, so Tillmann, „ist ein Stück weit auch Eigenverantwortung.“ Das unterscheide den Fußball schließlich auch von allen anderen Dingen, bei denen man sich nur berieseln lasse. „Beim Fußball kommt es darauf an, dass du selber Bock hast“, sagt die Schwatzgelb-Autorin.

Das geht zwar auch ohne Ultras. Ihre Anwesenheit dürfte in Kürze jedoch wieder dabei helfen, den Erlebnisfaktor im Stadion zu steigern – wie nicht nur BVB-Profi Thomas Meunier zuletzt in Glasgow feststellte.