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Das große Marbella-Fazit: Reyna ist der BVB-Gewinner - Probleme im Aufbauspiel eklatant
Borussia Dortmund
Lucien Favre lobt die Arbeit in Marbella, der BVB offenbart jedoch große Probleme im Aufbauspiel. Der Gewinner heißt Giovanni Reyna.
Am Ende der neun Tage an der Costa del Sol wollte Lucien Favre vor allem die positiven Dinge in den Vordergrund stellen. Es sei „eine gute Woche“ gewesen, meinte der Schweizer, die aus Verletzungen zurückgekehrten Spieler hätten am Ende sogar einige Testminuten absolvieren können, „das hatten wir so nicht erwartet, von daher sind wir weiter als gedacht.“ Vor allem die Spiele am Samstag gegen Feynoord Rotterdam (4:2) und Mainz 05 (0:2) aber zeigten, dass bis zum Rückrundenauftakt beim FC Augsburg noch einige Arbeit vor der Borussia liegt und einige Problempunkte aus der Hinrunde noch nicht aufgearbeitet werden konnten. Wir blicken auf die Tage in Spanien zurück.
Die Bedingungen: Plätze und das Umfeld an der Trainingsanlage „Dama de Noche“ waren wie immer top. Favre ließ bis auf einen freien Nachmittag am Mittwoch an allen Nicht-Spieltagen zwei Mal täglich trainieren. „Das war sehr wichtig für uns.“ Auf den ersten Blick ging es nicht immer bis an die Grenze der Belastbarkeit, aus dem Spielerkreis wurde die Intensität der Einheiten aber betont. Hotel und Verpflegung ließen keine Wünsche offen.

Der BVB fand in Marbella ideale Trainingsbedingungen vor. © Kirchner-Media
Personal: Erst gegen Ende der Tage in Spanien stießen ein halbes Dutzend verletzter Spieler so langsam wieder zum Team. Für Marcel Schmelzer war es eine frustrierende Woche, er schaffte es als einziger Rekonvaleszent nicht auf den Rasen und schleppt die Folgen seines Muskelfaserrisses mit in die letzte Vorbereitungswoche. Thomas Delaney musste nach überstandener Bänderverletzung im Sprunggelenk einen Rückschlag hinnehmen. Für den Ligaauftakt, gab Favre zu verstehen, sei der Däne, der einen Schlag aufs Knie bekam und alle Tests verpasste, wohl keine Option.
Marco Reus und Neuzugang Erling Haaland standen beim Testspiel-Doppelpack am Samstag immerhin für einmal 45 Minuten auf dem Platz. Ihr Rückstand aber ist deutlich zu erkennen. Dass drei, vier potenzielle Stammspieler nicht voll trainieren konnten, ist alles andere als optimal, von der notwendigen Wettkampfhärte für ein Bundesliga-Spiel sind vor allem Reus, Alcacer und Haaland noch weit entfernt.
Taktik: Favre musste einige für die Offensive geplanten Einheiten auf die kommende Woche verschieben. Neuzugang Haaland ins Dortmunder Spiel zu integrieren, das fand bislang praktisch noch gar nicht statt - ein Kaltstart in der Liga droht. So stand in Marbella fast ausschließlich die Defensivarbeit im Vordergrund - in den Spielen noch ohne den durchschlagenden Erfolg.
Die Dreier/Fünfer-Reihe scheint das bevorzugte System zu bleiben, in Leonardo Balerdi und Lukasz Piszczek testete Favre ausgiebig seine Alternativen für die Stammformation um die Innenverteidiger Manuel Akanji, Mats Hummels und Dan-Axel Zagadou. Luft nach oben besteht noch reichlich, das zeigte die Entstehung der Gegentore im Test gegen Rotterdam und gegen Mainz. Die Fehlerquote im Aufbau ist weiter frappierend hoch, ebenso die Zahl der einfachen Gegentore. Auch für Favre war die Entstehung der Treffer zum Teil „lächerlich“.
Nachwuchsspieler: Die hohe Meinung, die Favre von U19-Spieler Giovanni Reyna hat, bestätigte der 17-jährige US-Youngster eindrucksvoll. Er machte in Marbella einen großen Schritt in Richtung Kader. Nicht ausgeschlossen, dass er schon für die Partie in Augsburg eine echte Alternative darstellt. Einen positiven Eindruck hinterließ ob seiner Unbekümmertheit auch Chris Führich aus der U23. Allen mitgereisten Nachwuchsspielern ist allerdings gemein, dass sie körperlich noch deutlich zulegen und an Robustheit gewinnen müssen.
Form: Auch wenn die Einheiten intensiv waren, gaben fehlende Einsatzfreude und Esprit beim 0:0 gegen Lüttich zu denken. Das 4:2 gegen Rotterdam brachte offensiv immerhin kleine Fortschritte, die von den Sorgen um die weiter anfällige Defensive aber deutlich überdeckt werden. Vier Gegentore am Samstag, zum Teil einfach hergeschenkt, geben zu denken. Diese Quote muss Borussia Dortmund unbedingt senken.
Gewinner und Verlierer: Auf der Gewinner-Seite findet man vor allem Reyna, bei dem je nach Genesungsfortschritt der Konkurrenten in der Offensive sogar ein Startelf-Einsatz in Augsburg nicht abwegig erscheint. Dan-Axel Zagadou bestätigte seine starke Form der letzten Hinrunden-Wochen, auch der junge Chris Führich machte auf sich aufmerksam. Mario Götze erlebte eine gute Woche.
Von den Spielern aus der zweiten Reihe kam zu wenig, sie konnten sich kaum empfehlen. Die Dreierkette vor Roman Bürki steht auch mangels Alternativen, die vier Spieler (Hakimi, Brandt, Witsel, Guerreiro) davor weitgehend auch. Mahmoud Dahoud ließ spielerische Klasse aufblitzen, von seinen Fähigkeiten passt er ebenso zu Axel Witsel wie Brandt. Die einfachen Fehler aber bekam Dahoud auch in Spanien nicht aus seinem Spiel. Auch Brandt selbst hatte in den Tests keine gute Form und fiel vor allem durch grobe Abspielfehler auf. Ob Favre sich traut, den gegen Mainz auf der Acht getesteten und gut spielenden Götze zu bringen, bleibt eine spannende Frage. „Er kann das, er hatte nicht einen Ballverlust“, lobte Favre Götze nach der Partie gegen Mainz.
In der Offensive ist Jadon Sancho gesetzt, daneben aber gibt es viele Fragezeichen. Paco Alcacer wirkt lustlos und uninspiriert, er ist so keine Hilfe. Marco Reus fehlt noch einiges zur Fitness, das gilt auch für Haaland. Delaney und Schmelzer blicken aufgrund ihrer weiter angeschlagenen Fitness auf eine durchwachsene Woche zurück.
Fazit: Favre demonstriert gute Laune, er weiß aber um die vielen Probleme. Längst nicht alle konnte er in Marbella angehen, gerade die Defensive strahlt noch nicht die notwendige Stabilität aus. Nicht einmal konnte er in den Tests eine Art Wunschformation für Augsburg gemeinsam auf den Platz bringen, das soll im Training in einem Elf-gegen-Elf in der kommenden Woche passieren. „Die Vorbereitung geht weiter“, meinte er treffend. Das Trainingslager hat den BVB trotz perfekter Bedingungen nur kleine Schritte nach vorne gebracht. Aktuell sind die Sorgen vor dem Rückrundenstart großer als der Optimismus.
Dirk Krampe, Jahrgang 1965, war als Außenverteidiger ähnlich schnell wie Achraf Hakimi. Leider kamen seine Flanken nicht annähernd so präzise. Heute nicht mehr persönlich am Ball, dafür viel mit dem Crossbike unterwegs. Schreibt seit 1991 für Lensing Media, seit 2008 über Borussia Dortmund.
