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BVB-Präsident Rauball im Exklusiv-Interview: „Ein besonderer Zusammenhalt“
Borussia Dortmund
Hinter Borussia Dortmund liegt ein turbulentes Jahr. Im Exklusiv-Interview spricht BVB-Präsident Dr. Reinhard Rauball über die Corona-Krise, Entfremdung der Fans und besonderen Zusammenhalt.
Mit sorgenvollem Blick geht Dr. Reinhard Rauball in das neue Jahr. Denn die Auswirkungen des Coronavirus machen dem BVB schwer zu schaffen. Borussia Dortmunds Präsident, der am ersten Weihnachtsfeiertag seinen 74. Geburtstag feiert, spricht im Exklusiv-Interview über die Entfremdung der Fans inmitten der Pandemie - und darüber, wie die Corona-Krise den Profifußball verändern kann.
Herr Dr. Rauball, die jüngsten fünf Heimspiele, die der BVB in der Bundesliga ohne Fans austragen musste, gingen allesamt verloren. Kann die Borussia nicht ohne Schub von den Rängen?
Es kann gut sein, dass die Unterstützung der Zuschauer eine noch größere Rolle spielt, als man ohnehin annehmen durfte. Wir sind in Dortmund seit Jahren die Nummer eins in punkto Fans im Stadion, die Gelbe Wand ist so gefürchtet wie keine andere Tribüne in der Bundesliga oder auch international. Augenscheinlich fehlt den Spielern diese gewaltige Unterstützung, denn wir haben in der Tat zuhause zuletzt nicht überzeugt.
Wie fühlt sich für Sie ein Geisterspiel auf der Tribüne an?
Es fehlt die Begeisterung, die kommt bei mir im Stadion derzeit nur begrenzt auf. Ohne Fans wirkt es wie ein anderes Spiel. Es fühlt sich mitunter wie ein Trainingsspiel an. Sie gucken um sich herum nur auf Beton, das finde ich sehr schwierig.
Sind also Geisterspiele notwendige Übel?
Kein Übel, aber notwendig, denn nur so können die TV-Rechte mit Leben gefüllt werden und die TV-Erträge an die Klubs fließen. Wenn das Geld nicht geflossen wäre, wäre es vermutlich jetzt schon zu Ende mit dem Betrieb an einigen Orten im Profifußball.
Es mehren sich Stimmen, dass die Stadien nach Corona nicht wieder automatisch voll sein werden. Von einer möglichen Entfremdung der Fans ist die Rede. Wie denken Sie darüber?
Der Fußball bekleidet einerseits gerade eine wichtige Rolle für das, was die Leute momentan an Lebensgefühl und Freizeitbetätigung überhaupt noch haben. Wir müssen aber selbstkritisch genug sein, dass die zunehmende Entfremdung nicht ausschließlich coronabedingt ist, sondern dass einige Entwicklungen - auch durch Diskussionen wie die um die Verteilung der TV-Erträge - Spuren hinterlassen haben. Ermüdungserscheinungen waren zuvor schon spürbar - jetzt durch Corona haben sie sich noch einmal verstärkt.
Wie können die Profiklubs gegensteuern?
Indem wir gemeinsam daran arbeiten, dass wir unseren Sport wieder in die Mitte der Gesellschaft rücken. Fairness, Miteinander, Respekt, Gleichheit von Geschlecht, Hautfarbe, Religion - solche Werte hat der Fußball sehr lange und sehr gut in die Gesellschaft transportiert. Diese Dinge müssen wieder stärker erkennbar werden.
Wird Corona den Profifußball verändern?
Mir würde es Stand jetzt schon reichen, wenn der Fußball wieder so wird, wie er einmal war. Aber wir können und dürfen uns vor Herausforderungen darüber hinaus eben nicht verschließen.
Corona hat den BVB finanziell hart getroffen. Wie prekär ist die Lage?
Wir verlieren pro Heimspiel ohne Zuschauer circa drei bis vier Millionen Euro. Auch andere Einnahmen sinken. Das Minus in Höhe von knapp 45 Millionen Euro im abgelaufenen Geschäftsjahr der KGaA war schon erheblich, und im aktuellen Spieljahr könnte sich diese Zahl sogar deutlich erhöhen. Aber: Die Lage ist für Borussia Dortmund zumindest mit Blick auf die laufende Saison beherrschbar.
Wie erleben Sie die Borussia im Umgang mit der Pandemie?
Die Borussia hat sich gesellschaftspolitisch ordentlich verhalten. Wir hatten keine Entlassungen, haben niemanden in Kurzarbeit geschickt, haben das Home Office für viele Mitarbeiter organisiert. Und wir haben Verantwortung übernommen, etwa indem wir die Räume der Nordtribüne des Stadions zur Verfügung gestellt haben für Corona-Testungen. Das war übrigens eine Idee, die aus unserer Fanszene kam. Es wurden Gaststätten unterstützt, und mit vielen weitere Aktionen wurde noch vielen Menschen mehr geholfen. Auch unsere Spieler haben sich engagiert und solidarisch gezeigt. Es zeigt sich in der Pandemie, dass Borussia Dortmund ein besonderer Verein ist. Mit dem Blick darauf kann man stolz sein als Borusse. Und erst recht, Präsident der Borussen zu sein!
Die Nähe zu den Fans war Ihnen stets wichtig. Jetzt herrscht seit Monaten nur Distanz. Wie sehr verändert das Ihr Wirken als Präsident?
Was mir in erster Linie fehlt, sind die persönlichen Kontakte. Ich bin seit 1979 Mitglied des BVB, viele Jahre davon in verantwortlicher Funktion, da kennt man natürlich sehr viele Leute in Schwarzgelb. Die Mitgliederversammlung, die in diesem Jahr leider ausfallen musste, ist für mich ein Höhepunkt des Jahres. Man nimmt dort auch immer Schwingungen auf, die man sonst eher selten mitbekommt.
Aber Sie nutzen die moderne Video-Technik.
Natürlich, digitale Lösungen für Besprechungen, wie zum Beispiel Video-Chats für die Sitzungen von Beirat und Wirtschaftsrat, sind längst normal geworden. Es hilft ungemein, dass man heute auf diese Technik zurückgreifen kann, aber die persönliche Begegnung fehlt trotzdem, das Miteinander bekommen Sie über die Technik nicht transportiert.
Ein Verein lebt von Gemeinschaft. Können die Corona-Einschränkungen dem BVB in seinem Grundgerüst schaden?
Die Borussia verzeichnet aktuell an die 158.000 Mitglieder, die Zahl ist konstant. Einmal Borusse, immer Borusse - in diesem Leitsatz erkennen sich unsere Mitglieder wieder. Da sind wir als BVB anders strukturiert als manch andere Vereine. Es ist ein besonderer Zusammenhalt.
Gehen Sie mit Sorgen in das neue Jahr?
Die Pandemie bereitet mir allgemein und ungebremst Sorgen. Und auch die geschürte Erwartung, dass durch den Impfstoff schnell alles vorbei sein könnte. Ich hege die Befürchtung, dass die Pandemie noch lange dauert.
Zum neuen Jahr haben Sie drei Wünsche frei …
Erstens mögen alle gesund bleiben oder werden, und die Medizin möge uns zu einer entspannteren Zukunft verhelfen. Zweitens sollen unsere Kinder keinen körperlichen und auch mentalen Schaden erleiden, nicht von sozialer Vereinsamung bedroht sein, von Gewichtsproblemen infolge mangelnder Bewegung, und dergleichen mehr.
Den dritten Wunsch …
… behalte ich für mich. Im nächsten Jahr zu Weihnachten werde ich verraten, was es war.
Sascha Klaverkamp, Jahrgang 1975, lebt im und liebt das Münsterland. Der Familienvater beschäftigt sich seit mehr als 20 Jahren mit der Sportberichterstattung. Einer seiner journalistischen Schwerpunkte ist Borussia Dortmund.
