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Bemerkenswerter Fortschritt: Zeit der BVB-Gastgeschenke scheint beendet
Meinung
Im tristen Fußball-Herbst liefert Borussia Dortmund bei hoher Belastung solide Arbeit ab. Immer häufiger steht beim BVB hinten die Null - das ist ein bemerkenswerter Fortschritt.
Roman Bürki konnte einem leidtun. Schon früh im Spiel bei Arminia Bielefeld dürfte ihn die Vorahnung ereilt haben, dass es lange 90 Minuten werden könnten ohne wirkliche Beschäftigung und bei zunehmend empfindlichen Temperaturen. Und tatsächlich kam es so, für Bürki war es die Wiederholung der 90 Minuten vom Mitwoch gegen Zenit St. Petersburg. Auch da hatten seine Vorderleute alles weggeräumt, was an Arbeit hätte auf ihn zurollen können.
In der Diskussion um fehlende Spielkultur und mangelhaften Esprit im Spiel der Borussia auch bei den beiden vorhergegangenen Spielen dieser weiteren Englischen Woche geriet ein wenig zu kurz, dass am Ende jeweils ungefährdete Siege gestanden hatten. Michael Zorc hatte das moniert, als er vor der Partie in Ostwestfalen im Zusammenhang mit einer Frage zur schleppenden Formfindung bei Kapitän Marco Reus seiner Verwunderung darüber Ausdruck gab, welche Themenschwerpunkte derzeit in den Medien bei Borussia Dortmund gesetzt würden.
Keine andere Bundesliga-Mannschaft steht so stabil wie der BVB
Was Zorc geflissentlich verschwieg war die Tatsache, dass das 2:0 in der Champions League gegen St. Petersburg auch (oder nur?) unter tatkräftiger Mithilfe der Russen zustande gekommen war. Diskussionen ganz anderer Schärfe wären die Folge gewesen, wenn es beim 0:0 geblieben wäre, wofür bis zum ungestümen Einsteigen des russischen Verteidigers Karavaev gegen Thorgan Hazard kaum 15 Minuten vor dem Ende eine Menge gesprochen hatte.
Im Kern aber hatte der Dortmunder Sportdirektor dennoch nicht Unrecht. Denn nach neun absolvierten Pflichtspielen lässt sich feststellen, dass keine andere Bundesliga-Mannschaft so stabil steht wie der BVB. Drei Gegentore in Rom, zwei am zweiten Spieltag in Augsburg - in den sieben anderen Partien, verteilt auf drei Wettbewerbe, stand jeweils hinten die Null.
Borussia Dortmund tritt immer öfter sehr effektiv auf
Das ist ein erkennbarer und bemerkenswerter Fortschritt einer Mannschaft, die in der Vergangenheit gerne mal mit dem Hintern einriss, was sie sich zuvor mühsam aufgebaut hatte. Die Zahl der Spiele, die Borussia Dortmund dominiert, am Ende aber dennoch nicht gewonnen hatte, ließ sich kaum an zwei Händen aufzählen. Sie waren der Grund dafür, dass der selbsternannte erste Bayern-Verfolger am Ende die Münchner doch immer nur aus relativ weiter Ferne gesehen hatte. Vor zwei Jahren versaute die Dortmunder Nachlässigkeit im Verteidigungsverhalten sogar den neunten Griff zur Meisterschale. Das Thema Verbesserung der Defensivarbeit und Konsequenz im Veredeln herausgespielter Führungen waren sie alle Leid in Dortmund.
Nun spielt der BVB faktisch bislang nicht den berauschenden Fußball, den es in der Vergangenheit so oft zu sehen gab, aber sie bringen die Spiele nach Hause. Bisweilen schmucklos, aber immer öfter sehr effektiv tritt Borussia Dortmund auf.
Im ersten Saisondrittel zählen für den BVB allein die nackten Resultate
Dass es mit dem Glanz ein wenig hapert, dürfen die Schöngeister monieren. Es ist aber in dieser Phase der Saison noch nicht weiter schlimm. Auch der BVB lernt erst gerade, wie sich die intensive Taktung dieser Saison auf den Kräfteverschleiß auswirken wird. Bis Weihnachten ist der Spielplan straff durchgetaktet, die Winterpause fällt aus, danach geht es munter weiter. Und deshalb zählen im ersten Saisondrittel allein die nackten Resultate, weniger der schöne Stil. Die Bayern haben unter der Woche in Moskau nicht die Sterne vom Himmel gespielt und auch am Samstag in Köln am Ende gewackelt, aber sie haben auch diese beiden Spiele gewonnen. Dafür werden sie zu Recht gerühmt. Also darf sich auch Borussia Dortmund ein Lob für einen solide erarbeiteten und ungefährdeten Dreier wie in Bielefeld auf die Fahnen schreiben.
In München dürften sie registriert haben, dass die Zeit der Gastgeschenke, die Borussia Dortmund oft verteilt hat, vorbei zu sein scheint. „Wir verteidigen gemeinsam sehr gut“, lobte Lucien Favre. Nachdem der BVB die Pflichtaufgaben in Bielefeld mit mehr oder weniger Glanz erfolgreich gelöst hat, wartet nun die ultimative Herausforderung. Borussia Dortmund ist schon mit schlechteren Voraussetzungen ins Duell mit den aktuell punktgleichen Bayern gegangen.
Dirk Krampe, Jahrgang 1965, war als Außenverteidiger ähnlich schnell wie Achraf Hakimi. Leider kamen seine Flanken nicht annähernd so präzise. Heute nicht mehr persönlich am Ball, dafür viel mit dem Crossbike unterwegs. Schreibt seit 1991 für Lensing Media, seit 2008 über Borussia Dortmund.
